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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Der Runenberg.
Gewächse so erzürnt auf mich, und stehn mir nach
dem Leben; sie wollen jene geliebte Figur in mei-
nem Herzen auslöschen, und in jedem Frühling mit
ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen.
Unerlaubt und tückisch ist es, wie sie dich, alter
Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele
haben sie gänzlich Besitz genommen. Frage nur
die Steine, du wirst erstaunen, wenn du sie reden
hörst.

Der Vater sah ihn lange an, und konnte ihm
nichts mehr antworten. Sie gingen schweigend
zurück nach Hause, und der Alte mußte sich jetzt
ebenfalls vor der Lustigkeit seines Sohnes entsetzen,
denn sie dünkte ihm ganz fremdartig, und als wenn
ein andres Wesen aus ihm, wie aus einer Ma-
schine, unbeholfen und ungeschickt heraus spiele. --

Das Erndtefest sollte wieder gefeyert werden,
die Gemeine ging in die Kirche, und auch Elisa-
beth zog sich mit den Kindern an, um dem Got-
tesdienste beizuwohnen; ihr Mann machte auch
Anstalten, sie zu begleiten, aber noch vor der Kir-
chenthür kehrte er um, und ging tiefsinnend vor
das Dorf hinaus. Er setzte sich auf die Anhöhe
und sahe wieder die rauchenden Dächer unter sich,
er hörte den Gesang und Orgelton von der Kirche
her, geputzte Kinder tanzten und spielten auf dem
grünen Rasen. Wie habe ich mein Leben in einem
Traume verloren! sagte er zu sich selbst; Jahre
sind verflossen, daß ich von hier hinunter stieg,
unter die Kinder hinein; die damals hier spielten
sind heute dort ernsthaft in der Kirche; ich trat

Der Runenberg.
Gewaͤchſe ſo erzuͤrnt auf mich, und ſtehn mir nach
dem Leben; ſie wollen jene geliebte Figur in mei-
nem Herzen ausloͤſchen, und in jedem Fruͤhling mit
ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen.
Unerlaubt und tuͤckiſch iſt es, wie ſie dich, alter
Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele
haben ſie gaͤnzlich Beſitz genommen. Frage nur
die Steine, du wirſt erſtaunen, wenn du ſie reden
hoͤrſt.

Der Vater ſah ihn lange an, und konnte ihm
nichts mehr antworten. Sie gingen ſchweigend
zuruͤck nach Hauſe, und der Alte mußte ſich jetzt
ebenfalls vor der Luſtigkeit ſeines Sohnes entſetzen,
denn ſie duͤnkte ihm ganz fremdartig, und als wenn
ein andres Weſen aus ihm, wie aus einer Ma-
ſchine, unbeholfen und ungeſchickt heraus ſpiele. —

Das Erndtefeſt ſollte wieder gefeyert werden,
die Gemeine ging in die Kirche, und auch Eliſa-
beth zog ſich mit den Kindern an, um dem Got-
tesdienſte beizuwohnen; ihr Mann machte auch
Anſtalten, ſie zu begleiten, aber noch vor der Kir-
chenthuͤr kehrte er um, und ging tiefſinnend vor
das Dorf hinaus. Er ſetzte ſich auf die Anhoͤhe
und ſahe wieder die rauchenden Daͤcher unter ſich,
er hoͤrte den Geſang und Orgelton von der Kirche
her, geputzte Kinder tanzten und ſpielten auf dem
gruͤnen Raſen. Wie habe ich mein Leben in einem
Traume verloren! ſagte er zu ſich ſelbſt; Jahre
ſind verfloſſen, daß ich von hier hinunter ſtieg,
unter die Kinder hinein; die damals hier ſpielten
ſind heute dort ernſthaft in der Kirche; ich trat

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[265/0276] Der Runenberg. Gewaͤchſe ſo erzuͤrnt auf mich, und ſtehn mir nach dem Leben; ſie wollen jene geliebte Figur in mei- nem Herzen ausloͤſchen, und in jedem Fruͤhling mit ihrer verzerrten Leichenmiene meine Seele gewinnen. Unerlaubt und tuͤckiſch iſt es, wie ſie dich, alter Mann, hintergangen haben, denn von deiner Seele haben ſie gaͤnzlich Beſitz genommen. Frage nur die Steine, du wirſt erſtaunen, wenn du ſie reden hoͤrſt. Der Vater ſah ihn lange an, und konnte ihm nichts mehr antworten. Sie gingen ſchweigend zuruͤck nach Hauſe, und der Alte mußte ſich jetzt ebenfalls vor der Luſtigkeit ſeines Sohnes entſetzen, denn ſie duͤnkte ihm ganz fremdartig, und als wenn ein andres Weſen aus ihm, wie aus einer Ma- ſchine, unbeholfen und ungeſchickt heraus ſpiele. — Das Erndtefeſt ſollte wieder gefeyert werden, die Gemeine ging in die Kirche, und auch Eliſa- beth zog ſich mit den Kindern an, um dem Got- tesdienſte beizuwohnen; ihr Mann machte auch Anſtalten, ſie zu begleiten, aber noch vor der Kir- chenthuͤr kehrte er um, und ging tiefſinnend vor das Dorf hinaus. Er ſetzte ſich auf die Anhoͤhe und ſahe wieder die rauchenden Daͤcher unter ſich, er hoͤrte den Geſang und Orgelton von der Kirche her, geputzte Kinder tanzten und ſpielten auf dem gruͤnen Raſen. Wie habe ich mein Leben in einem Traume verloren! ſagte er zu ſich ſelbſt; Jahre ſind verfloſſen, daß ich von hier hinunter ſtieg, unter die Kinder hinein; die damals hier ſpielten ſind heute dort ernſthaft in der Kirche; ich trat

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/276>, abgerufen am 22.11.2024.