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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
ihn, daß er Vater und Mutter seit so langer Zeit
ganz hatte vergessen können, sein einziges Kind
erinnerte ihn, welche Freude die Kinder den Eltern
sind, und so beschloß er dann endlich, sich auf
die Reise zu machen und seine Heimath wieder
zu besuchen.

Ungern verließ er seine Gattin; alle wünsch-
ten ihm Glück, und er machte sich in der schönen
Jahreszeit zu Fuß auf den Weg. Er fühlte schon
nach wenigen Stunden, wie ihn das Scheiden
peinige, zum erstenmal empfand er in seinem Leben
die Schmerzen der Trennung; die fremden Gegen-
stände erschienen ihm fast wild, ihm war, als sey
er in einer feindseligen Einsamkeit verloren. Da
kam ihm der Gedanke, daß seine Jugend vorüber
sey, daß er eine Heimath gefunden, zu der er ge-
höre, in die sein Herz Wurzel geschlagen habe;
er war fast im Begriff den verlornen Leichtsinn
der vorigen Jahre zu beklagen, und es war ihm
äußert trübselig zu Muthe, als er für die Nacht
auf einem Dorfe in dem Wirthshause einkehren
mußte. Er begriff nicht, warum er sich von seiner
freundlichen Gattin und den erworbenen Eltern ent-
fernt habe, und verdrießlich und murrend machte
er sich am Morgen auf den Weg, um seine Reise
fortzusetzen.

Seine Angst nahm zu, indem er sich dem Ge-
birge näherte, die fernen Ruinen wurden schon
sichtbar und traten nach und nach kenntlicher her-
vor, viele Bergspitzen hoben sich abgeründet aus
dem blauen Nebel. Sein Schritt wurde zaghaft,

er

Erſte Abtheilung.
ihn, daß er Vater und Mutter ſeit ſo langer Zeit
ganz hatte vergeſſen koͤnnen, ſein einziges Kind
erinnerte ihn, welche Freude die Kinder den Eltern
ſind, und ſo beſchloß er dann endlich, ſich auf
die Reiſe zu machen und ſeine Heimath wieder
zu beſuchen.

Ungern verließ er ſeine Gattin; alle wuͤnſch-
ten ihm Gluͤck, und er machte ſich in der ſchoͤnen
Jahreszeit zu Fuß auf den Weg. Er fuͤhlte ſchon
nach wenigen Stunden, wie ihn das Scheiden
peinige, zum erſtenmal empfand er in ſeinem Leben
die Schmerzen der Trennung; die fremden Gegen-
ſtaͤnde erſchienen ihm faſt wild, ihm war, als ſey
er in einer feindſeligen Einſamkeit verloren. Da
kam ihm der Gedanke, daß ſeine Jugend voruͤber
ſey, daß er eine Heimath gefunden, zu der er ge-
hoͤre, in die ſein Herz Wurzel geſchlagen habe;
er war faſt im Begriff den verlornen Leichtſinn
der vorigen Jahre zu beklagen, und es war ihm
aͤußert truͤbſelig zu Muthe, als er fuͤr die Nacht
auf einem Dorfe in dem Wirthshauſe einkehren
mußte. Er begriff nicht, warum er ſich von ſeiner
freundlichen Gattin und den erworbenen Eltern ent-
fernt habe, und verdrießlich und murrend machte
er ſich am Morgen auf den Weg, um ſeine Reiſe
fortzuſetzen.

Seine Angſt nahm zu, indem er ſich dem Ge-
birge naͤherte, die fernen Ruinen wurden ſchon
ſichtbar und traten nach und nach kenntlicher her-
vor, viele Bergſpitzen hoben ſich abgeruͤndet aus
dem blauen Nebel. Sein Schritt wurde zaghaft,

er
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[256/0267] Erſte Abtheilung. ihn, daß er Vater und Mutter ſeit ſo langer Zeit ganz hatte vergeſſen koͤnnen, ſein einziges Kind erinnerte ihn, welche Freude die Kinder den Eltern ſind, und ſo beſchloß er dann endlich, ſich auf die Reiſe zu machen und ſeine Heimath wieder zu beſuchen. Ungern verließ er ſeine Gattin; alle wuͤnſch- ten ihm Gluͤck, und er machte ſich in der ſchoͤnen Jahreszeit zu Fuß auf den Weg. Er fuͤhlte ſchon nach wenigen Stunden, wie ihn das Scheiden peinige, zum erſtenmal empfand er in ſeinem Leben die Schmerzen der Trennung; die fremden Gegen- ſtaͤnde erſchienen ihm faſt wild, ihm war, als ſey er in einer feindſeligen Einſamkeit verloren. Da kam ihm der Gedanke, daß ſeine Jugend voruͤber ſey, daß er eine Heimath gefunden, zu der er ge- hoͤre, in die ſein Herz Wurzel geſchlagen habe; er war faſt im Begriff den verlornen Leichtſinn der vorigen Jahre zu beklagen, und es war ihm aͤußert truͤbſelig zu Muthe, als er fuͤr die Nacht auf einem Dorfe in dem Wirthshauſe einkehren mußte. Er begriff nicht, warum er ſich von ſeiner freundlichen Gattin und den erworbenen Eltern ent- fernt habe, und verdrießlich und murrend machte er ſich am Morgen auf den Weg, um ſeine Reiſe fortzuſetzen. Seine Angſt nahm zu, indem er ſich dem Ge- birge naͤherte, die fernen Ruinen wurden ſchon ſichtbar und traten nach und nach kenntlicher her- vor, viele Bergſpitzen hoben ſich abgeruͤndet aus dem blauen Nebel. Sein Schritt wurde zaghaft, er

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/267>, abgerufen am 25.11.2024.