liche Bildung, ich bin von Gottes Güte hieher zum Wächter gesetzt, um des Menschen bösen Für- witz zurück zu halten. -- Ich drang hindurch.
Wie in einem unterirdischen Bergwerke war nun mein Weg. Der Steg war so schmal, daß ich mich hindurch drängen mußte, ich vernahm den Klang der verborgenen wandernden Gewässer, ich hörte die Geister, die die Erze und Gold und Silber bildeten, um den Menschengeist zu locken, ich fand die tiefen Klänge und Töne hier einzeln und verborgen, aus denen die irdische Musik ent- steht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein Schleier vor meinem Angesichte hinweg.
Ich ruhte aus und sah andre Menschengestal- ten heran wanken, mein Freund Rudolf war un- ter ihnen; ich begriff gar nicht, wie sie mir vor- bei kommen würden, da der Weg so sehr enge war, aber sie gingen mitten durch die Steine hindurch, ohne daß sie mich gewahr wurden.
Alsbald vernahm ich Musik, aber eine ganz andre, als bis dahin zu meinem Gehör gedrungen war, meine Geister in mir arbeiteten den Tönen entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Far- ben glänzten mich von allen Seiten an. Das war es, was ich immer gewünscht hatte. Dicht am Herzen fühlte ich die Gegenwart der gesuchten, endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich spiel- ten die Entzückungen mit allen ihren Kräften hin- ein. So kam mir das Gewimmel der frohen heid- nischen Götter entgegen, Frau Venus an ihrer Spitze, alle begrüßten mich; sie sind dorthin ge-
Erſte Abtheilung.
liche Bildung, ich bin von Gottes Guͤte hieher zum Waͤchter geſetzt, um des Menſchen boͤſen Fuͤr- witz zuruͤck zu halten. — Ich drang hindurch.
Wie in einem unterirdiſchen Bergwerke war nun mein Weg. Der Steg war ſo ſchmal, daß ich mich hindurch draͤngen mußte, ich vernahm den Klang der verborgenen wandernden Gewaͤſſer, ich hoͤrte die Geiſter, die die Erze und Gold und Silber bildeten, um den Menſchengeiſt zu locken, ich fand die tiefen Klaͤnge und Toͤne hier einzeln und verborgen, aus denen die irdiſche Muſik ent- ſteht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein Schleier vor meinem Angeſichte hinweg.
Ich ruhte aus und ſah andre Menſchengeſtal- ten heran wanken, mein Freund Rudolf war un- ter ihnen; ich begriff gar nicht, wie ſie mir vor- bei kommen wuͤrden, da der Weg ſo ſehr enge war, aber ſie gingen mitten durch die Steine hindurch, ohne daß ſie mich gewahr wurden.
Alsbald vernahm ich Muſik, aber eine ganz andre, als bis dahin zu meinem Gehoͤr gedrungen war, meine Geiſter in mir arbeiteten den Toͤnen entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Far- ben glaͤnzten mich von allen Seiten an. Das war es, was ich immer gewuͤnſcht hatte. Dicht am Herzen fuͤhlte ich die Gegenwart der geſuchten, endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich ſpiel- ten die Entzuͤckungen mit allen ihren Kraͤften hin- ein. So kam mir das Gewimmel der frohen heid- niſchen Goͤtter entgegen, Frau Venus an ihrer Spitze, alle begruͤßten mich; ſie ſind dorthin ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0245"n="234"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
liche Bildung, ich bin von Gottes Guͤte hieher<lb/>
zum Waͤchter geſetzt, um des Menſchen boͤſen Fuͤr-<lb/>
witz zuruͤck zu halten. — Ich drang hindurch.</p><lb/><p>Wie in einem unterirdiſchen Bergwerke war<lb/>
nun mein Weg. Der Steg war ſo ſchmal, daß<lb/>
ich mich hindurch draͤngen mußte, ich vernahm<lb/>
den Klang der verborgenen wandernden Gewaͤſſer,<lb/>
ich hoͤrte die Geiſter, die die Erze und Gold und<lb/>
Silber bildeten, um den Menſchengeiſt zu locken,<lb/>
ich fand die tiefen Klaͤnge und Toͤne hier einzeln<lb/>
und verborgen, aus denen die irdiſche Muſik ent-<lb/>ſteht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein<lb/>
Schleier vor meinem Angeſichte hinweg.</p><lb/><p>Ich ruhte aus und ſah andre Menſchengeſtal-<lb/>
ten heran wanken, mein Freund Rudolf war un-<lb/>
ter ihnen; ich begriff gar nicht, wie ſie mir vor-<lb/>
bei kommen wuͤrden, da der Weg ſo ſehr enge war,<lb/>
aber ſie gingen mitten durch die Steine hindurch,<lb/>
ohne daß ſie mich gewahr wurden.</p><lb/><p>Alsbald vernahm ich Muſik, aber eine ganz<lb/>
andre, als bis dahin zu meinem Gehoͤr gedrungen<lb/>
war, meine Geiſter in mir arbeiteten den Toͤnen<lb/>
entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Far-<lb/>
ben glaͤnzten mich von allen Seiten an. Das war<lb/>
es, was ich immer gewuͤnſcht hatte. Dicht am<lb/>
Herzen fuͤhlte ich die Gegenwart der geſuchten,<lb/>
endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich ſpiel-<lb/>
ten die Entzuͤckungen mit allen ihren Kraͤften hin-<lb/>
ein. So kam mir das Gewimmel der frohen heid-<lb/>
niſchen Goͤtter entgegen, Frau Venus an ihrer<lb/>
Spitze, alle begruͤßten mich; ſie ſind dorthin ge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[234/0245]
Erſte Abtheilung.
liche Bildung, ich bin von Gottes Guͤte hieher
zum Waͤchter geſetzt, um des Menſchen boͤſen Fuͤr-
witz zuruͤck zu halten. — Ich drang hindurch.
Wie in einem unterirdiſchen Bergwerke war
nun mein Weg. Der Steg war ſo ſchmal, daß
ich mich hindurch draͤngen mußte, ich vernahm
den Klang der verborgenen wandernden Gewaͤſſer,
ich hoͤrte die Geiſter, die die Erze und Gold und
Silber bildeten, um den Menſchengeiſt zu locken,
ich fand die tiefen Klaͤnge und Toͤne hier einzeln
und verborgen, aus denen die irdiſche Muſik ent-
ſteht; je tiefer ich ging, je mehr fiel es wie ein
Schleier vor meinem Angeſichte hinweg.
Ich ruhte aus und ſah andre Menſchengeſtal-
ten heran wanken, mein Freund Rudolf war un-
ter ihnen; ich begriff gar nicht, wie ſie mir vor-
bei kommen wuͤrden, da der Weg ſo ſehr enge war,
aber ſie gingen mitten durch die Steine hindurch,
ohne daß ſie mich gewahr wurden.
Alsbald vernahm ich Muſik, aber eine ganz
andre, als bis dahin zu meinem Gehoͤr gedrungen
war, meine Geiſter in mir arbeiteten den Toͤnen
entgegen; ich kam ins Freie, und wunderhelle Far-
ben glaͤnzten mich von allen Seiten an. Das war
es, was ich immer gewuͤnſcht hatte. Dicht am
Herzen fuͤhlte ich die Gegenwart der geſuchten,
endlich gefundenen Herrlichkeit, und in mich ſpiel-
ten die Entzuͤckungen mit allen ihren Kraͤften hin-
ein. So kam mir das Gewimmel der frohen heid-
niſchen Goͤtter entgegen, Frau Venus an ihrer
Spitze, alle begruͤßten mich; ſie ſind dorthin ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/245>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.