Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der getreue Eckart.
er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde
über seine Söhne setze, weil dieser sich als den
edelsten erwiesen. So starb er.

Seitdem nahm sich Eckart der Regierung mit
allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte
seinen hohen männlichen Muth bewundern. Es
währte nicht lange, so verbreitete sich in allen Ge-
genden das wunderbare Gerücht von dem Spiel-
manne, der aus dem Venusberge gekommen, das
ganze Land durchziehe und mit seinen Tönen die
Menschen entführe, welche verschwänden, ohne daß
man eine Spur von ihnen wieder finden könne.
Viele glaubten dem Gerüchte, andre nicht, und
Eckart gedachte des unglücklichen Greises wieder.

Ich habe Euch zu meinen Söhnen angenom-
men, sprach er zu den unmündigen Jünglingen,
als er sich einst mit ihnen auf dem Berge vor dem
Schlosse befand; Euer Glück ist jetzt meine Nach-
kommenschaft, ich will in Eurer Freude nach mei-
nem Tode fortleben. Sie lagerten sich auf dem
Abhange, von wo sie weit in das schöne Land hin-
ein sehn konnten, und Eckart unterdrückte das An-
denken an seine Kinder, denn sie schienen ihm von
den Bergen herüber zu schreiten, indem er aus der
Ferne einen lieblichen Klang vernahm.

Kommt es nicht wie Träumen
Aus den grünen Räumen
Zu uns wallend nieder,
Wie Verstorbner Lieder?

Der getreue Eckart.
er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde
uͤber ſeine Soͤhne ſetze, weil dieſer ſich als den
edelſten erwieſen. So ſtarb er.

Seitdem nahm ſich Eckart der Regierung mit
allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte
ſeinen hohen maͤnnlichen Muth bewundern. Es
waͤhrte nicht lange, ſo verbreitete ſich in allen Ge-
genden das wunderbare Geruͤcht von dem Spiel-
manne, der aus dem Venusberge gekommen, das
ganze Land durchziehe und mit ſeinen Toͤnen die
Menſchen entfuͤhre, welche verſchwaͤnden, ohne daß
man eine Spur von ihnen wieder finden koͤnne.
Viele glaubten dem Geruͤchte, andre nicht, und
Eckart gedachte des ungluͤcklichen Greiſes wieder.

Ich habe Euch zu meinen Soͤhnen angenom-
men, ſprach er zu den unmuͤndigen Juͤnglingen,
als er ſich einſt mit ihnen auf dem Berge vor dem
Schloſſe befand; Euer Gluͤck iſt jetzt meine Nach-
kommenſchaft, ich will in Eurer Freude nach mei-
nem Tode fortleben. Sie lagerten ſich auf dem
Abhange, von wo ſie weit in das ſchoͤne Land hin-
ein ſehn konnten, und Eckart unterdruͤckte das An-
denken an ſeine Kinder, denn ſie ſchienen ihm von
den Bergen heruͤber zu ſchreiten, indem er aus der
Ferne einen lieblichen Klang vernahm.

Kommt es nicht wie Traͤumen
Aus den gruͤnen Raͤumen
Zu uns wallend nieder,
Wie Verſtorbner Lieder?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0228" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der getreue Eckart</hi>.</fw><lb/>
er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;eine So&#x0364;hne &#x017F;etze, weil die&#x017F;er &#x017F;ich als den<lb/>
edel&#x017F;ten erwie&#x017F;en. So &#x017F;tarb er.</p><lb/>
            <p>Seitdem nahm &#x017F;ich Eckart der Regierung mit<lb/>
allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte<lb/>
&#x017F;einen hohen ma&#x0364;nnlichen Muth bewundern. Es<lb/>
wa&#x0364;hrte nicht lange, &#x017F;o verbreitete &#x017F;ich in allen Ge-<lb/>
genden das wunderbare Geru&#x0364;cht von dem Spiel-<lb/>
manne, der aus dem Venusberge gekommen, das<lb/>
ganze Land durchziehe und mit &#x017F;einen To&#x0364;nen die<lb/>
Men&#x017F;chen entfu&#x0364;hre, welche ver&#x017F;chwa&#x0364;nden, ohne daß<lb/>
man eine Spur von ihnen wieder finden ko&#x0364;nne.<lb/>
Viele glaubten dem Geru&#x0364;chte, andre nicht, und<lb/>
Eckart gedachte des unglu&#x0364;cklichen Grei&#x017F;es wieder.</p><lb/>
            <p>Ich habe Euch zu meinen So&#x0364;hnen angenom-<lb/>
men, &#x017F;prach er zu den unmu&#x0364;ndigen Ju&#x0364;nglingen,<lb/>
als er &#x017F;ich ein&#x017F;t mit ihnen auf dem Berge vor dem<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e befand; Euer Glu&#x0364;ck i&#x017F;t jetzt meine Nach-<lb/>
kommen&#x017F;chaft, ich will in Eurer Freude nach mei-<lb/>
nem Tode fortleben. Sie lagerten &#x017F;ich auf dem<lb/>
Abhange, von wo &#x017F;ie weit in das &#x017F;cho&#x0364;ne Land hin-<lb/>
ein &#x017F;ehn konnten, und Eckart unterdru&#x0364;ckte das An-<lb/>
denken an &#x017F;eine Kinder, denn &#x017F;ie &#x017F;chienen ihm von<lb/>
den Bergen heru&#x0364;ber zu &#x017F;chreiten, indem er aus der<lb/>
Ferne einen lieblichen Klang vernahm.</p><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Kommt es nicht wie Tra&#x0364;umen</l><lb/>
                <l>Aus den gru&#x0364;nen Ra&#x0364;umen</l><lb/>
                <l>Zu uns wallend nieder,</l><lb/>
                <l>Wie Ver&#x017F;torbner Lieder?</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0228] Der getreue Eckart. er den Eckart, den getreuen Mann, zum Vormunde uͤber ſeine Soͤhne ſetze, weil dieſer ſich als den edelſten erwieſen. So ſtarb er. Seitdem nahm ſich Eckart der Regierung mit allem Fleiße an, und jedermann im Lande mußte ſeinen hohen maͤnnlichen Muth bewundern. Es waͤhrte nicht lange, ſo verbreitete ſich in allen Ge- genden das wunderbare Geruͤcht von dem Spiel- manne, der aus dem Venusberge gekommen, das ganze Land durchziehe und mit ſeinen Toͤnen die Menſchen entfuͤhre, welche verſchwaͤnden, ohne daß man eine Spur von ihnen wieder finden koͤnne. Viele glaubten dem Geruͤchte, andre nicht, und Eckart gedachte des ungluͤcklichen Greiſes wieder. Ich habe Euch zu meinen Soͤhnen angenom- men, ſprach er zu den unmuͤndigen Juͤnglingen, als er ſich einſt mit ihnen auf dem Berge vor dem Schloſſe befand; Euer Gluͤck iſt jetzt meine Nach- kommenſchaft, ich will in Eurer Freude nach mei- nem Tode fortleben. Sie lagerten ſich auf dem Abhange, von wo ſie weit in das ſchoͤne Land hin- ein ſehn konnten, und Eckart unterdruͤckte das An- denken an ſeine Kinder, denn ſie ſchienen ihm von den Bergen heruͤber zu ſchreiten, indem er aus der Ferne einen lieblichen Klang vernahm. Kommt es nicht wie Traͤumen Aus den gruͤnen Raͤumen Zu uns wallend nieder, Wie Verſtorbner Lieder?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/228
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/228>, abgerufen am 18.05.2024.