Seltsames an sich habe, daß die Wohnung aben- theuerlich und von allen Menschen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches sey. Seine Schönheit fiel mir zwar immer auf, denn seine Federn glänzten mit allen möglichen Farben, das schönste Hellblau und das brennendste Roth wechselten an seinem Halse und Leibe, und wenn er sang, blähte er sich stolz auf, so daß sich seine Federn noch prächtiger zeigten.
Oft ging die Alte aus und kam erst am Abend zurück, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge- gen, und sie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie sich unser Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit, gewöhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich lesen, ich begriff es bald, und es ward nachher in meiner Einsamkeit eine Quelle von unendlichem Ver- gnügen, denn sie hatte einige alte geschriebene Bü- cher, die wunderbare Geschichten enthielten.
Die Erinnerung an meine damalige Lebens- art ist mir noch bis jetzt immer seltsam: von kei- nem menschlichen Geschöpfe besucht, nur in einem so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund und der Vogel machten denselben Eindruck auf mich, den sonst nur längst gekannte Freunde hervor brin- gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den seltsamen Nahmen des Hundes besinnen können, so oft ich ihn auch damals nannte.
Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefähr zwölf Jahr alt sein, als sie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge-
heimniß
Erſte Abtheilung.
Seltſames an ſich habe, daß die Wohnung aben- theuerlich und von allen Menſchen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches ſey. Seine Schoͤnheit fiel mir zwar immer auf, denn ſeine Federn glaͤnzten mit allen moͤglichen Farben, das ſchoͤnſte Hellblau und das brennendſte Roth wechſelten an ſeinem Halſe und Leibe, und wenn er ſang, blaͤhte er ſich ſtolz auf, ſo daß ſich ſeine Federn noch praͤchtiger zeigten.
Oft ging die Alte aus und kam erſt am Abend zuruͤck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge- gen, und ſie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie ſich unſer Sinn denn an alles, beſonders in der Kindheit, gewoͤhnt. In den Abendſtunden lehrte ſie mich leſen, ich begriff es bald, und es ward nachher in meiner Einſamkeit eine Quelle von unendlichem Ver- gnuͤgen, denn ſie hatte einige alte geſchriebene Buͤ- cher, die wunderbare Geſchichten enthielten.
Die Erinnerung an meine damalige Lebens- art iſt mir noch bis jetzt immer ſeltſam: von kei- nem menſchlichen Geſchoͤpfe beſucht, nur in einem ſo kleinen Familienzirkel einheimiſch, denn der Hund und der Vogel machten denſelben Eindruck auf mich, den ſonſt nur laͤngſt gekannte Freunde hervor brin- gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den ſeltſamen Nahmen des Hundes beſinnen koͤnnen, ſo oft ich ihn auch damals nannte.
Vier Jahre hatte ich ſo mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefaͤhr zwoͤlf Jahr alt ſein, als ſie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge-
heimniß
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Erſte Abtheilung.
Seltſames an ſich habe, daß die Wohnung aben-
theuerlich und von allen Menſchen entfernt liege,
und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches
ſey. Seine Schoͤnheit fiel mir zwar immer auf,
denn ſeine Federn glaͤnzten mit allen moͤglichen
Farben, das ſchoͤnſte Hellblau und das brennendſte
Roth wechſelten an ſeinem Halſe und Leibe, und
wenn er ſang, blaͤhte er ſich ſtolz auf, ſo daß ſich
ſeine Federn noch praͤchtiger zeigten.
Oft ging die Alte aus und kam erſt am Abend
zuruͤck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge-
gen, und ſie nannte mich Kind und Tochter. Ich
ward ihr endlich von Herzen gut, wie ſich unſer
Sinn denn an alles, beſonders in der Kindheit,
gewoͤhnt. In den Abendſtunden lehrte ſie mich
leſen, ich begriff es bald, und es ward nachher in
meiner Einſamkeit eine Quelle von unendlichem Ver-
gnuͤgen, denn ſie hatte einige alte geſchriebene Buͤ-
cher, die wunderbare Geſchichten enthielten.
Die Erinnerung an meine damalige Lebens-
art iſt mir noch bis jetzt immer ſeltſam: von kei-
nem menſchlichen Geſchoͤpfe beſucht, nur in einem
ſo kleinen Familienzirkel einheimiſch, denn der Hund
und der Vogel machten denſelben Eindruck auf mich,
den ſonſt nur laͤngſt gekannte Freunde hervor brin-
gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den
ſeltſamen Nahmen des Hundes beſinnen koͤnnen, ſo
oft ich ihn auch damals nannte.
Vier Jahre hatte ich ſo mit der Alten gelebt,
und ich mochte ohngefaͤhr zwoͤlf Jahr alt ſein, als
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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