Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
Seltsames an sich habe, daß die Wohnung aben-
theuerlich und von allen Menschen entfernt liege,
und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches
sey. Seine Schönheit fiel mir zwar immer auf,
denn seine Federn glänzten mit allen möglichen
Farben, das schönste Hellblau und das brennendste
Roth wechselten an seinem Halse und Leibe, und
wenn er sang, blähte er sich stolz auf, so daß sich
seine Federn noch prächtiger zeigten.

Oft ging die Alte aus und kam erst am Abend
zurück, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge-
gen, und sie nannte mich Kind und Tochter. Ich
ward ihr endlich von Herzen gut, wie sich unser
Sinn denn an alles, besonders in der Kindheit,
gewöhnt. In den Abendstunden lehrte sie mich
lesen, ich begriff es bald, und es ward nachher in
meiner Einsamkeit eine Quelle von unendlichem Ver-
gnügen, denn sie hatte einige alte geschriebene Bü-
cher, die wunderbare Geschichten enthielten.

Die Erinnerung an meine damalige Lebens-
art ist mir noch bis jetzt immer seltsam: von kei-
nem menschlichen Geschöpfe besucht, nur in einem
so kleinen Familienzirkel einheimisch, denn der Hund
und der Vogel machten denselben Eindruck auf mich,
den sonst nur längst gekannte Freunde hervor brin-
gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den
seltsamen Nahmen des Hundes besinnen können, so
oft ich ihn auch damals nannte.

Vier Jahre hatte ich so mit der Alten gelebt,
und ich mochte ohngefähr zwölf Jahr alt sein, als
sie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge-

heimniß

Erſte Abtheilung.
Seltſames an ſich habe, daß die Wohnung aben-
theuerlich und von allen Menſchen entfernt liege,
und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches
ſey. Seine Schoͤnheit fiel mir zwar immer auf,
denn ſeine Federn glaͤnzten mit allen moͤglichen
Farben, das ſchoͤnſte Hellblau und das brennendſte
Roth wechſelten an ſeinem Halſe und Leibe, und
wenn er ſang, blaͤhte er ſich ſtolz auf, ſo daß ſich
ſeine Federn noch praͤchtiger zeigten.

Oft ging die Alte aus und kam erſt am Abend
zuruͤck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge-
gen, und ſie nannte mich Kind und Tochter. Ich
ward ihr endlich von Herzen gut, wie ſich unſer
Sinn denn an alles, beſonders in der Kindheit,
gewoͤhnt. In den Abendſtunden lehrte ſie mich
leſen, ich begriff es bald, und es ward nachher in
meiner Einſamkeit eine Quelle von unendlichem Ver-
gnuͤgen, denn ſie hatte einige alte geſchriebene Buͤ-
cher, die wunderbare Geſchichten enthielten.

Die Erinnerung an meine damalige Lebens-
art iſt mir noch bis jetzt immer ſeltſam: von kei-
nem menſchlichen Geſchoͤpfe beſucht, nur in einem
ſo kleinen Familienzirkel einheimiſch, denn der Hund
und der Vogel machten denſelben Eindruck auf mich,
den ſonſt nur laͤngſt gekannte Freunde hervor brin-
gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den
ſeltſamen Nahmen des Hundes beſinnen koͤnnen, ſo
oft ich ihn auch damals nannte.

Vier Jahre hatte ich ſo mit der Alten gelebt,
und ich mochte ohngefaͤhr zwoͤlf Jahr alt ſein, als
ſie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge-

heimniß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0187" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
Selt&#x017F;ames an &#x017F;ich habe, daß die Wohnung aben-<lb/>
theuerlich und von allen Men&#x017F;chen entfernt liege,<lb/>
und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches<lb/>
&#x017F;ey. Seine Scho&#x0364;nheit fiel mir zwar immer auf,<lb/>
denn &#x017F;eine Federn gla&#x0364;nzten mit allen mo&#x0364;glichen<lb/>
Farben, das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Hellblau und das brennend&#x017F;te<lb/>
Roth wech&#x017F;elten an &#x017F;einem Hal&#x017F;e und Leibe, und<lb/>
wenn er &#x017F;ang, bla&#x0364;hte er &#x017F;ich &#x017F;tolz auf, &#x017F;o daß &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eine Federn noch pra&#x0364;chtiger zeigten.</p><lb/>
          <p>Oft ging die Alte aus und kam er&#x017F;t am Abend<lb/>
zuru&#x0364;ck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge-<lb/>
gen, und &#x017F;ie nannte mich Kind und Tochter. Ich<lb/>
ward ihr endlich von Herzen gut, wie &#x017F;ich un&#x017F;er<lb/>
Sinn denn an alles, be&#x017F;onders in der Kindheit,<lb/>
gewo&#x0364;hnt. In den Abend&#x017F;tunden lehrte &#x017F;ie mich<lb/>
le&#x017F;en, ich begriff es bald, und es ward nachher in<lb/>
meiner Ein&#x017F;amkeit eine Quelle von unendlichem Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen, denn &#x017F;ie hatte einige alte ge&#x017F;chriebene Bu&#x0364;-<lb/>
cher, die wunderbare Ge&#x017F;chichten enthielten.</p><lb/>
          <p>Die Erinnerung an meine damalige Lebens-<lb/>
art i&#x017F;t mir noch bis jetzt immer &#x017F;elt&#x017F;am: von kei-<lb/>
nem men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe be&#x017F;ucht, nur in einem<lb/>
&#x017F;o kleinen Familienzirkel einheimi&#x017F;ch, denn der Hund<lb/>
und der Vogel machten den&#x017F;elben Eindruck auf mich,<lb/>
den &#x017F;on&#x017F;t nur la&#x0364;ng&#x017F;t gekannte Freunde hervor brin-<lb/>
gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;amen Nahmen des Hundes be&#x017F;innen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o<lb/>
oft ich ihn auch damals nannte.</p><lb/>
          <p>Vier Jahre hatte ich &#x017F;o mit der Alten gelebt,<lb/>
und ich mochte ohngefa&#x0364;hr zwo&#x0364;lf Jahr alt &#x017F;ein, als<lb/>
&#x017F;ie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">heimniß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0187] Erſte Abtheilung. Seltſames an ſich habe, daß die Wohnung aben- theuerlich und von allen Menſchen entfernt liege, und daß an dem Vogel etwas Außerordentliches ſey. Seine Schoͤnheit fiel mir zwar immer auf, denn ſeine Federn glaͤnzten mit allen moͤglichen Farben, das ſchoͤnſte Hellblau und das brennendſte Roth wechſelten an ſeinem Halſe und Leibe, und wenn er ſang, blaͤhte er ſich ſtolz auf, ſo daß ſich ſeine Federn noch praͤchtiger zeigten. Oft ging die Alte aus und kam erſt am Abend zuruͤck, ich ging ihr dann mit dem Hunde entge- gen, und ſie nannte mich Kind und Tochter. Ich ward ihr endlich von Herzen gut, wie ſich unſer Sinn denn an alles, beſonders in der Kindheit, gewoͤhnt. In den Abendſtunden lehrte ſie mich leſen, ich begriff es bald, und es ward nachher in meiner Einſamkeit eine Quelle von unendlichem Ver- gnuͤgen, denn ſie hatte einige alte geſchriebene Buͤ- cher, die wunderbare Geſchichten enthielten. Die Erinnerung an meine damalige Lebens- art iſt mir noch bis jetzt immer ſeltſam: von kei- nem menſchlichen Geſchoͤpfe beſucht, nur in einem ſo kleinen Familienzirkel einheimiſch, denn der Hund und der Vogel machten denſelben Eindruck auf mich, den ſonſt nur laͤngſt gekannte Freunde hervor brin- gen. Ich habe mich immer nicht wieder auf den ſeltſamen Nahmen des Hundes beſinnen koͤnnen, ſo oft ich ihn auch damals nannte. Vier Jahre hatte ich ſo mit der Alten gelebt, und ich mochte ohngefaͤhr zwoͤlf Jahr alt ſein, als ſie mir endlich mehr vertraute, und mir ein Ge- heimniß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/187
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/187>, abgerufen am 04.05.2024.