das Gesause einer Mühle aus der Ferne zu hören, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Grän- zen der öden Felsen erreichte, ich sah Wälder und Wiesen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hölle in ein Paradies getreten wäre, die Einsamkeit und meine Hülflosigkeit schienen mir nun gar nicht fürch- terlich.
Statt der gehofften Mühle stieß ich auf einen Wasserfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich schöpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir plötzlich war, als höre ich in einiger Entfernung ein leises Husten. Nie bin ich so angenehm überrascht worden, als in die- sem Augenblick, ich ging näher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die aus- zuruhen schien. Sie war fast ganz schwarz geklei- det und eine schwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Theil des Gesichtes, in der Hand hielt sie einen Krückenstock.
Ich näherte mich ihr und bat um ihre Hülfe, sie ließ mich neben sich niedersitzen und gab mir Brod und etwas Wein. Indem ich aß, sang sie mit kreischendem Ton ein geistliches Lied. Als sie geendet hatte, sagte sie mir, ich möchte ihr folgen.
Ich war über diesen Antrag sehr erfreut, so wunderlich mir auch die Stimme und das Wesen der Alten vorkam. Mit ihrem Krückenstocke ging sie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog sie ihr Gesicht so, daß ich im Anfange darüber
Erſte Abtheilung.
das Geſauſe einer Muͤhle aus der Ferne zu hoͤren, ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Graͤn- zen der oͤden Felſen erreichte, ich ſah Waͤlder und Wieſen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hoͤlle in ein Paradies getreten waͤre, die Einſamkeit und meine Huͤlfloſigkeit ſchienen mir nun gar nicht fuͤrch- terlich.
Statt der gehofften Muͤhle ſtieß ich auf einen Waſſerfall, der meine Freude freilich um vieles minderte; ich ſchoͤpfte mit der Hand einen Trunk aus dem Bache, als mir ploͤtzlich war, als hoͤre ich in einiger Entfernung ein leiſes Huſten. Nie bin ich ſo angenehm uͤberraſcht worden, als in die- ſem Augenblick, ich ging naͤher und ward an der Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die aus- zuruhen ſchien. Sie war faſt ganz ſchwarz geklei- det und eine ſchwarze Kappe bedeckte ihren Kopf und einen großen Theil des Geſichtes, in der Hand hielt ſie einen Kruͤckenſtock.
Ich naͤherte mich ihr und bat um ihre Huͤlfe, ſie ließ mich neben ſich niederſitzen und gab mir Brod und etwas Wein. Indem ich aß, ſang ſie mit kreiſchendem Ton ein geiſtliches Lied. Als ſie geendet hatte, ſagte ſie mir, ich moͤchte ihr folgen.
Ich war uͤber dieſen Antrag ſehr erfreut, ſo wunderlich mir auch die Stimme und das Weſen der Alten vorkam. Mit ihrem Kruͤckenſtocke ging ſie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog ſie ihr Geſicht ſo, daß ich im Anfange daruͤber
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0183"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
das Geſauſe einer Muͤhle aus der Ferne zu hoͤren,<lb/>
ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie<lb/>
leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Graͤn-<lb/>
zen der oͤden Felſen erreichte, ich ſah Waͤlder und<lb/>
Wieſen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor<lb/>
mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hoͤlle<lb/>
in ein Paradies getreten waͤre, die Einſamkeit und<lb/>
meine Huͤlfloſigkeit ſchienen mir nun gar nicht fuͤrch-<lb/>
terlich.</p><lb/><p>Statt der gehofften Muͤhle ſtieß ich auf einen<lb/>
Waſſerfall, der meine Freude freilich um vieles<lb/>
minderte; ich ſchoͤpfte mit der Hand einen Trunk<lb/>
aus dem Bache, als mir ploͤtzlich war, als hoͤre<lb/>
ich in einiger Entfernung ein leiſes Huſten. Nie<lb/>
bin ich ſo angenehm uͤberraſcht worden, als in die-<lb/>ſem Augenblick, ich ging naͤher und ward an der<lb/>
Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die aus-<lb/>
zuruhen ſchien. Sie war faſt ganz ſchwarz geklei-<lb/>
det und eine ſchwarze Kappe bedeckte ihren Kopf<lb/>
und einen großen Theil des Geſichtes, in der Hand<lb/>
hielt ſie einen Kruͤckenſtock.</p><lb/><p>Ich naͤherte mich ihr und bat um ihre Huͤlfe,<lb/>ſie ließ mich neben ſich niederſitzen und gab mir<lb/>
Brod und etwas Wein. Indem ich aß, ſang ſie<lb/>
mit kreiſchendem Ton ein geiſtliches Lied. Als ſie<lb/>
geendet hatte, ſagte ſie mir, ich moͤchte ihr folgen.</p><lb/><p>Ich war uͤber dieſen Antrag ſehr erfreut, ſo<lb/>
wunderlich mir auch die Stimme und das Weſen<lb/>
der Alten vorkam. Mit ihrem Kruͤckenſtocke ging<lb/>ſie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog<lb/>ſie ihr Geſicht ſo, daß ich im Anfange daruͤber<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[172/0183]
Erſte Abtheilung.
das Geſauſe einer Muͤhle aus der Ferne zu hoͤren,
ich verdoppelte meine Schritte, und wie wohl, wie
leicht ward mir, als ich endlich wirklich die Graͤn-
zen der oͤden Felſen erreichte, ich ſah Waͤlder und
Wieſen mit fernen angenehmen Bergen wieder vor
mir liegen. Mir war, als wenn ich aus der Hoͤlle
in ein Paradies getreten waͤre, die Einſamkeit und
meine Huͤlfloſigkeit ſchienen mir nun gar nicht fuͤrch-
terlich.
Statt der gehofften Muͤhle ſtieß ich auf einen
Waſſerfall, der meine Freude freilich um vieles
minderte; ich ſchoͤpfte mit der Hand einen Trunk
aus dem Bache, als mir ploͤtzlich war, als hoͤre
ich in einiger Entfernung ein leiſes Huſten. Nie
bin ich ſo angenehm uͤberraſcht worden, als in die-
ſem Augenblick, ich ging naͤher und ward an der
Ecke des Waldes eine alte Frau gewahr, die aus-
zuruhen ſchien. Sie war faſt ganz ſchwarz geklei-
det und eine ſchwarze Kappe bedeckte ihren Kopf
und einen großen Theil des Geſichtes, in der Hand
hielt ſie einen Kruͤckenſtock.
Ich naͤherte mich ihr und bat um ihre Huͤlfe,
ſie ließ mich neben ſich niederſitzen und gab mir
Brod und etwas Wein. Indem ich aß, ſang ſie
mit kreiſchendem Ton ein geiſtliches Lied. Als ſie
geendet hatte, ſagte ſie mir, ich moͤchte ihr folgen.
Ich war uͤber dieſen Antrag ſehr erfreut, ſo
wunderlich mir auch die Stimme und das Weſen
der Alten vorkam. Mit ihrem Kruͤckenſtocke ging
ſie ziemlich behende, und bei jedem Schritte verzog
ſie ihr Geſicht ſo, daß ich im Anfange daruͤber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/183>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.