Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Der blonde Eckbert.
hatte ein solches Mitleid mit mir selber, daß ich
zu sterben wünschte. Ich fürchtete den Anbruch des
Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfan-
gen sollte, ich wünschte mir alle mögliche Geschick-
lichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich
einfältiger sey, als die übrigen Kinder meiner Be-
kanntschaft. Ich war der Verzweiflung nahe.

Als der Tag graute, stand ich auf und eröff-
nete, fast ohne daß ich es wußte, die Thür unsrer
kleinen Hütte. Ich stand auf dem freien Felde,
bald darauf war ich in einem Walde, in den der
Tag fast noch nicht hinein blickte. Ich lief immer-
fort, ohne mich umzusehn, ich fühlte keine Müdig-
keit, denn ich glaubte immer mein Vater würde
mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht
gereizt mich noch grausamer behandeln.

Als ich aus dem Walde wieder heraus trat,
stand die Sonne schon ziemlich hoch, ich sah jetzt
etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter
Nebel bedeckte. Bald mußte ich über Hügel klet-
tern, bald durch einen zwischen Felsen gewundenen
Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl
in dem benachbarten Gebirge befinden müsse, wor-
über ich anfing mich in der Einsamkeit zu fürch-
ten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge
gesehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich
davon hatte reden hören, war meinem kindischen
Ohr ein fürchterlicher Ton gewesen. Ich hatte
nicht das Herz zurück zu gehn, sondern eben meine
Angst trieb mich vorwärts; oft sah ich mich erschrok-
ken um, wenn der Wind über mir weg durch die

Der blonde Eckbert.
hatte ein ſolches Mitleid mit mir ſelber, daß ich
zu ſterben wuͤnſchte. Ich fuͤrchtete den Anbruch des
Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfan-
gen ſollte, ich wuͤnſchte mir alle moͤgliche Geſchick-
lichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich
einfaͤltiger ſey, als die uͤbrigen Kinder meiner Be-
kanntſchaft. Ich war der Verzweiflung nahe.

Als der Tag graute, ſtand ich auf und eroͤff-
nete, faſt ohne daß ich es wußte, die Thuͤr unſrer
kleinen Huͤtte. Ich ſtand auf dem freien Felde,
bald darauf war ich in einem Walde, in den der
Tag faſt noch nicht hinein blickte. Ich lief immer-
fort, ohne mich umzuſehn, ich fuͤhlte keine Muͤdig-
keit, denn ich glaubte immer mein Vater wuͤrde
mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht
gereizt mich noch grauſamer behandeln.

Als ich aus dem Walde wieder heraus trat,
ſtand die Sonne ſchon ziemlich hoch, ich ſah jetzt
etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter
Nebel bedeckte. Bald mußte ich uͤber Huͤgel klet-
tern, bald durch einen zwiſchen Felſen gewundenen
Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl
in dem benachbarten Gebirge befinden muͤſſe, wor-
uͤber ich anfing mich in der Einſamkeit zu fuͤrch-
ten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge
geſehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich
davon hatte reden hoͤren, war meinem kindiſchen
Ohr ein fuͤrchterlicher Ton geweſen. Ich hatte
nicht das Herz zuruͤck zu gehn, ſondern eben meine
Angſt trieb mich vorwaͤrts; oft ſah ich mich erſchrok-
ken um, wenn der Wind uͤber mir weg durch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0180" n="169"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Der blonde Eckbert</hi>.</fw><lb/>
hatte ein &#x017F;olches Mitleid mit mir &#x017F;elber, daß ich<lb/>
zu &#x017F;terben wu&#x0364;n&#x017F;chte. Ich fu&#x0364;rchtete den Anbruch des<lb/>
Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfan-<lb/>
gen &#x017F;ollte, ich wu&#x0364;n&#x017F;chte mir alle mo&#x0364;gliche Ge&#x017F;chick-<lb/>
lichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich<lb/>
einfa&#x0364;ltiger &#x017F;ey, als die u&#x0364;brigen Kinder meiner Be-<lb/>
kannt&#x017F;chaft. Ich war der Verzweiflung nahe.</p><lb/>
          <p>Als der Tag graute, &#x017F;tand ich auf und ero&#x0364;ff-<lb/>
nete, fa&#x017F;t ohne daß ich es wußte, die Thu&#x0364;r un&#x017F;rer<lb/>
kleinen Hu&#x0364;tte. Ich &#x017F;tand auf dem freien Felde,<lb/>
bald darauf war ich in einem Walde, in den der<lb/>
Tag fa&#x017F;t noch nicht hinein blickte. Ich lief immer-<lb/>
fort, ohne mich umzu&#x017F;ehn, ich fu&#x0364;hlte keine Mu&#x0364;dig-<lb/>
keit, denn ich glaubte immer mein Vater wu&#x0364;rde<lb/>
mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht<lb/>
gereizt mich noch grau&#x017F;amer behandeln.</p><lb/>
          <p>Als ich aus dem Walde wieder heraus trat,<lb/>
&#x017F;tand die Sonne &#x017F;chon ziemlich hoch, ich &#x017F;ah jetzt<lb/>
etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter<lb/>
Nebel bedeckte. Bald mußte ich u&#x0364;ber Hu&#x0364;gel klet-<lb/>
tern, bald durch einen zwi&#x017F;chen Fel&#x017F;en gewundenen<lb/>
Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl<lb/>
in dem benachbarten Gebirge befinden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, wor-<lb/>
u&#x0364;ber ich anfing mich in der Ein&#x017F;amkeit zu fu&#x0364;rch-<lb/>
ten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge<lb/>
ge&#x017F;ehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich<lb/>
davon hatte reden ho&#x0364;ren, war meinem kindi&#x017F;chen<lb/>
Ohr ein fu&#x0364;rchterlicher Ton gewe&#x017F;en. Ich hatte<lb/>
nicht das Herz zuru&#x0364;ck zu gehn, &#x017F;ondern eben meine<lb/>
Ang&#x017F;t trieb mich vorwa&#x0364;rts; oft &#x017F;ah ich mich er&#x017F;chrok-<lb/>
ken um, wenn der Wind u&#x0364;ber mir weg durch die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0180] Der blonde Eckbert. hatte ein ſolches Mitleid mit mir ſelber, daß ich zu ſterben wuͤnſchte. Ich fuͤrchtete den Anbruch des Tages, ich wußte durchaus nicht, was ich anfan- gen ſollte, ich wuͤnſchte mir alle moͤgliche Geſchick- lichkeit und konnte gar nicht begreifen, warum ich einfaͤltiger ſey, als die uͤbrigen Kinder meiner Be- kanntſchaft. Ich war der Verzweiflung nahe. Als der Tag graute, ſtand ich auf und eroͤff- nete, faſt ohne daß ich es wußte, die Thuͤr unſrer kleinen Huͤtte. Ich ſtand auf dem freien Felde, bald darauf war ich in einem Walde, in den der Tag faſt noch nicht hinein blickte. Ich lief immer- fort, ohne mich umzuſehn, ich fuͤhlte keine Muͤdig- keit, denn ich glaubte immer mein Vater wuͤrde mich noch wieder einholen, und durch meine Flucht gereizt mich noch grauſamer behandeln. Als ich aus dem Walde wieder heraus trat, ſtand die Sonne ſchon ziemlich hoch, ich ſah jetzt etwas dunkles vor mir liegen, welches ein dichter Nebel bedeckte. Bald mußte ich uͤber Huͤgel klet- tern, bald durch einen zwiſchen Felſen gewundenen Weg gehn, und ich errieth nun, daß ich mich wohl in dem benachbarten Gebirge befinden muͤſſe, wor- uͤber ich anfing mich in der Einſamkeit zu fuͤrch- ten. Denn ich hatte in der Ebene noch keine Berge geſehn, und das bloße Wort Gebirge, wenn ich davon hatte reden hoͤren, war meinem kindiſchen Ohr ein fuͤrchterlicher Ton geweſen. Ich hatte nicht das Herz zuruͤck zu gehn, ſondern eben meine Angſt trieb mich vorwaͤrts; oft ſah ich mich erſchrok- ken um, wenn der Wind uͤber mir weg durch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/180
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/180>, abgerufen am 03.05.2024.