verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und die scharfe Lust an fremden Gegenständen schon gebrochen sind, wenn ein reifes Gemüth mit Kenntniß und Liebe gleich sehr erfüllt, an die Ruinen und Grabmäler der Vorzeit tritt, die Natur und Kunst wie die Erfüllung eines oft geträumten Traums begrüßt, auf jedem Schritte alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen- wart in ein großes, rührend erhabenes Gemälde zerfließen.
Diese elegischen Stimmungen würden mich nur ängstigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr andern, ihr ernsthaften Leute, verbindet so wi- derwärtige Begriffe mit dem Zerstreutsein, da es doch in einfachen Menschen oft nur das wahre Beisammensein mit der Natur ist, wie mit einem frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer tiefes Eindringen sehr häufig eine unermeßliche Ferne. Auf welche Weise aber, mein Freund, würdest du deine Ansicht über dergleichen Gegen- stände mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi- derwillen künftig etwas mehr bezwingen solltest.
Schon früh, sagte Ernst, bevor ich noch die Welt und mich kennen gelernt hatte, war ich mit meiner Erziehung, so wie mit allem Un- terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War es doch nicht anders, als verschwiege man ge- flissentlich das, was wissenswürdig sei, oder er- wähnte es zuweilen nur, um mit hochmüthigem Verhöhnen das zu erniedrigen, was selbst in die-
Einleitung.
verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und die ſcharfe Luſt an fremden Gegenſtaͤnden ſchon gebrochen ſind, wenn ein reifes Gemuͤth mit Kenntniß und Liebe gleich ſehr erfuͤllt, an die Ruinen und Grabmaͤler der Vorzeit tritt, die Natur und Kunſt wie die Erfuͤllung eines oft getraͤumten Traums begruͤßt, auf jedem Schritte alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen- wart in ein großes, ruͤhrend erhabenes Gemaͤlde zerfließen.
Dieſe elegiſchen Stimmungen wuͤrden mich nur aͤngſtigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr andern, ihr ernſthaften Leute, verbindet ſo wi- derwaͤrtige Begriffe mit dem Zerſtreutſein, da es doch in einfachen Menſchen oft nur das wahre Beiſammenſein mit der Natur iſt, wie mit einem frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer tiefes Eindringen ſehr haͤufig eine unermeßliche Ferne. Auf welche Weiſe aber, mein Freund, wuͤrdeſt du deine Anſicht uͤber dergleichen Gegen- ſtaͤnde mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi- derwillen kuͤnftig etwas mehr bezwingen ſollteſt.
Schon fruͤh, ſagte Ernſt, bevor ich noch die Welt und mich kennen gelernt hatte, war ich mit meiner Erziehung, ſo wie mit allem Un- terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War es doch nicht anders, als verſchwiege man ge- fliſſentlich das, was wiſſenswuͤrdig ſei, oder er- waͤhnte es zuweilen nur, um mit hochmuͤthigem Verhoͤhnen das zu erniedrigen, was ſelbſt in die-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0018"n="7"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und<lb/>
die ſcharfe Luſt an fremden Gegenſtaͤnden ſchon<lb/>
gebrochen ſind, wenn ein reifes Gemuͤth mit<lb/>
Kenntniß und Liebe gleich ſehr erfuͤllt, an die<lb/>
Ruinen und Grabmaͤler der Vorzeit tritt, die<lb/>
Natur und Kunſt wie die Erfuͤllung eines oft<lb/>
getraͤumten Traums begruͤßt, auf jedem Schritte<lb/>
alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen-<lb/>
wart in ein großes, ruͤhrend erhabenes Gemaͤlde<lb/>
zerfließen.</p><lb/><p>Dieſe elegiſchen Stimmungen wuͤrden mich<lb/>
nur aͤngſtigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr<lb/>
andern, ihr ernſthaften Leute, verbindet ſo wi-<lb/>
derwaͤrtige Begriffe mit dem Zerſtreutſein, da es<lb/>
doch in einfachen Menſchen oft nur das wahre<lb/>
Beiſammenſein mit der Natur iſt, wie mit einem<lb/>
frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer<lb/>
tiefes Eindringen ſehr haͤufig eine unermeßliche<lb/>
Ferne. Auf welche Weiſe aber, mein Freund,<lb/>
wuͤrdeſt du deine Anſicht uͤber dergleichen Gegen-<lb/>ſtaͤnde mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi-<lb/>
derwillen kuͤnftig etwas mehr bezwingen ſollteſt.</p><lb/><p>Schon fruͤh, ſagte Ernſt, bevor ich noch<lb/>
die Welt und mich kennen gelernt hatte, war<lb/>
ich mit meiner Erziehung, ſo wie mit allem Un-<lb/>
terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War<lb/>
es doch nicht anders, als verſchwiege man ge-<lb/>
fliſſentlich das, was wiſſenswuͤrdig ſei, oder er-<lb/>
waͤhnte es zuweilen nur, um mit hochmuͤthigem<lb/>
Verhoͤhnen das zu erniedrigen, was ſelbſt in die-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[7/0018]
Einleitung.
verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und
die ſcharfe Luſt an fremden Gegenſtaͤnden ſchon
gebrochen ſind, wenn ein reifes Gemuͤth mit
Kenntniß und Liebe gleich ſehr erfuͤllt, an die
Ruinen und Grabmaͤler der Vorzeit tritt, die
Natur und Kunſt wie die Erfuͤllung eines oft
getraͤumten Traums begruͤßt, auf jedem Schritte
alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen-
wart in ein großes, ruͤhrend erhabenes Gemaͤlde
zerfließen.
Dieſe elegiſchen Stimmungen wuͤrden mich
nur aͤngſtigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr
andern, ihr ernſthaften Leute, verbindet ſo wi-
derwaͤrtige Begriffe mit dem Zerſtreutſein, da es
doch in einfachen Menſchen oft nur das wahre
Beiſammenſein mit der Natur iſt, wie mit einem
frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer
tiefes Eindringen ſehr haͤufig eine unermeßliche
Ferne. Auf welche Weiſe aber, mein Freund,
wuͤrdeſt du deine Anſicht uͤber dergleichen Gegen-
ſtaͤnde mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi-
derwillen kuͤnftig etwas mehr bezwingen ſollteſt.
Schon fruͤh, ſagte Ernſt, bevor ich noch
die Welt und mich kennen gelernt hatte, war
ich mit meiner Erziehung, ſo wie mit allem Un-
terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War
es doch nicht anders, als verſchwiege man ge-
fliſſentlich das, was wiſſenswuͤrdig ſei, oder er-
waͤhnte es zuweilen nur, um mit hochmuͤthigem
Verhoͤhnen das zu erniedrigen, was ſelbſt in die-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/18>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.