Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Phantasus.

Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen,
Das machte ihn von Herzen lachen,
Wie sie im Pürzen, Springen, Kollern,
So ungeschlacht zur Ebne schollern,
Wie sie die nackten Hauer fletschen
Und Wald und Berg im Sturz zerquetschen.
Da war ich bang und furchtsam fast,
Ich sprach: wer ist der schlimme Gast,
Der erst ein Kindlein thöricht spielte,
An Bienen nur sein Müthlein kühlte,
Ein Tandmann schien, doch nun erwachsen
So ungeheuer, ungelachsen,
Daß kaum noch so viel Kraft der Welt,
Daß sie ihn sich vom Halse hält?
Das ist der Scherz, so sprach mein Freund,
Der groß und klein in sich vereint,
Oft ist er zart und lieb unschuldig,
Doch wird er wild und ungeduldig
So kühlt er seinen Muth den frechen
Und all's muß biegen oder brechen. --
Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? --
Das hieß ihn nur, sprach der, verkehren,
Er acht't kein noch so klug Gebot,
Und schreit nur: das thut mir nicht noth!
So lassen sie ihm seinen Willen. --
Da schlug urplötzlich aus dem Stillen
Der Sang von tausend Nachtigallen,
Die ließen ihre Klage schallen,
Und aus dem grünen Waldesraum
Erglänzt' ein leuchtend goldner Saum,
Von Purpurkleidern, die erbeben

I. [ II ]

Phantaſus.

Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen,
Das machte ihn von Herzen lachen,
Wie ſie im Puͤrzen, Springen, Kollern,
So ungeſchlacht zur Ebne ſchollern,
Wie ſie die nackten Hauer fletſchen
Und Wald und Berg im Sturz zerquetſchen.
Da war ich bang und furchtſam faſt,
Ich ſprach: wer iſt der ſchlimme Gaſt,
Der erſt ein Kindlein thoͤricht ſpielte,
An Bienen nur ſein Muͤthlein kuͤhlte,
Ein Tandmann ſchien, doch nun erwachſen
So ungeheuer, ungelachſen,
Daß kaum noch ſo viel Kraft der Welt,
Daß ſie ihn ſich vom Halſe haͤlt?
Das iſt der Scherz, ſo ſprach mein Freund,
Der groß und klein in ſich vereint,
Oft iſt er zart und lieb unſchuldig,
Doch wird er wild und ungeduldig
So kuͤhlt er ſeinen Muth den frechen
Und all's muß biegen oder brechen. —
Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? —
Das hieß ihn nur, ſprach der, verkehren,
Er acht't kein noch ſo klug Gebot,
Und ſchreit nur: das thut mir nicht noth!
So laſſen ſie ihm ſeinen Willen. —
Da ſchlug urploͤtzlich aus dem Stillen
Der Sang von tauſend Nachtigallen,
Die ließen ihre Klage ſchallen,
Und aus dem gruͤnen Waldesraum
Erglaͤnzt' ein leuchtend goldner Saum,
Von Purpurkleidern, die erbeben

I. [ II ]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="7">
              <pb facs="#f0172" n="161"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Phanta&#x017F;us</hi>.</fw><lb/>
              <l>Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen,</l><lb/>
              <l>Das machte ihn von Herzen lachen,</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;ie im Pu&#x0364;rzen, Springen, Kollern,</l><lb/>
              <l>So unge&#x017F;chlacht zur Ebne &#x017F;chollern,</l><lb/>
              <l>Wie &#x017F;ie die nackten Hauer flet&#x017F;chen</l><lb/>
              <l>Und Wald und Berg im Sturz zerquet&#x017F;chen.</l><lb/>
              <l>Da war ich bang und furcht&#x017F;am fa&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;prach: wer i&#x017F;t der &#x017F;chlimme Ga&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Der er&#x017F;t ein Kindlein tho&#x0364;richt &#x017F;pielte,</l><lb/>
              <l>An Bienen nur &#x017F;ein Mu&#x0364;thlein ku&#x0364;hlte,</l><lb/>
              <l>Ein Tandmann &#x017F;chien, doch nun erwach&#x017F;en</l><lb/>
              <l>So ungeheuer, ungelach&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Daß kaum noch &#x017F;o viel Kraft der Welt,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ie ihn &#x017F;ich vom Hal&#x017F;e ha&#x0364;lt?</l><lb/>
              <l>Das i&#x017F;t der Scherz, &#x017F;o &#x017F;prach mein Freund,</l><lb/>
              <l>Der groß und klein in &#x017F;ich vereint,</l><lb/>
              <l>Oft i&#x017F;t er zart und lieb un&#x017F;chuldig,</l><lb/>
              <l>Doch wird er wild und ungeduldig</l><lb/>
              <l>So ku&#x0364;hlt er &#x017F;einen Muth den frechen</l><lb/>
              <l>Und all's muß biegen oder brechen. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? &#x2014;</l><lb/>
              <l>Das hieß ihn nur, &#x017F;prach der, verkehren,</l><lb/>
              <l>Er acht't kein noch &#x017F;o klug Gebot,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chreit nur: das thut mir nicht noth!</l><lb/>
              <l>So la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie ihm &#x017F;einen Willen. &#x2014;</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;chlug urplo&#x0364;tzlich aus dem Stillen</l><lb/>
              <l>Der Sang von tau&#x017F;end Nachtigallen,</l><lb/>
              <l>Die ließen ihre Klage &#x017F;challen,</l><lb/>
              <l>Und aus dem gru&#x0364;nen Waldesraum</l><lb/>
              <l>Ergla&#x0364;nzt' ein leuchtend goldner Saum,</l><lb/>
              <l>Von Purpurkleidern, die erbeben</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">I. [ II ]</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0172] Phantaſus. Mit lautem Donnern, furchtbarm Krachen, Das machte ihn von Herzen lachen, Wie ſie im Puͤrzen, Springen, Kollern, So ungeſchlacht zur Ebne ſchollern, Wie ſie die nackten Hauer fletſchen Und Wald und Berg im Sturz zerquetſchen. Da war ich bang und furchtſam faſt, Ich ſprach: wer iſt der ſchlimme Gaſt, Der erſt ein Kindlein thoͤricht ſpielte, An Bienen nur ſein Muͤthlein kuͤhlte, Ein Tandmann ſchien, doch nun erwachſen So ungeheuer, ungelachſen, Daß kaum noch ſo viel Kraft der Welt, Daß ſie ihn ſich vom Halſe haͤlt? Das iſt der Scherz, ſo ſprach mein Freund, Der groß und klein in ſich vereint, Oft iſt er zart und lieb unſchuldig, Doch wird er wild und ungeduldig So kuͤhlt er ſeinen Muth den frechen Und all's muß biegen oder brechen. — Kann man nicht, fragt' ich, Sitt' ihm lehren? — Das hieß ihn nur, ſprach der, verkehren, Er acht't kein noch ſo klug Gebot, Und ſchreit nur: das thut mir nicht noth! So laſſen ſie ihm ſeinen Willen. — Da ſchlug urploͤtzlich aus dem Stillen Der Sang von tauſend Nachtigallen, Die ließen ihre Klage ſchallen, Und aus dem gruͤnen Waldesraum Erglaͤnzt' ein leuchtend goldner Saum, Von Purpurkleidern, die erbeben I. [ II ]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/172
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/172>, abgerufen am 04.05.2024.