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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Phantasus.

Ich strebte, mich aus rohem Wilden
Zum wahren Menschen umzubilden;
Drauf ich auch zur Geschichte kam
Die Noth der Welt zu Herzen nahm,
Die Chronikbücher unverdrossen
Hab' ich in Nächten aufgeschlossen,
Die Vorzeit kam zu mir herüber
Und immer ernster wards und trüber:
Bald schien mich an ein flüchtig Blitzen,
Dann glaubt' ich Wahrheit zu besitzen,
Dann kam die Dämmrung, faßt' es wieder
Und taucht' es in die Finstre nieder;
Die Nacht ward wieder Lichtes schwanger,
Das neue Licht macht' mich noch banger,
Wohl ahndend, daß, wenns ausgegohren
Die Finstre neu draus wird erboren:
So wies Histori mir nur Noth,
Im Leben auch nur Grab und Tod,
Das Schöne stirbt, der Glanz löscht aus,
Das Irdisch-Schlechte baut sein Haus,
Und spricht von seinem Felsenthron
Den hohen Göttersöhnen Hohn:
Natur hab' ich ergründen wollen,
Da kam ich gar auf seltsam' Schrollen,
Verlor mich in ein steinern Reich,
Ich glaubte all's nichts doch zugleich,
Wollt Pflanz, Metall und Stein verstehn,
Mußt' mir doch selbst verloren gehn,
Hatt' viel Kunstworte bald erstanden,
Ich selbst gekommen nur abhanden,
Um endlich wieder zu gelangen

Phantaſus.

Ich ſtrebte, mich aus rohem Wilden
Zum wahren Menſchen umzubilden;
Drauf ich auch zur Geſchichte kam
Die Noth der Welt zu Herzen nahm,
Die Chronikbuͤcher unverdroſſen
Hab' ich in Naͤchten aufgeſchloſſen,
Die Vorzeit kam zu mir heruͤber
Und immer ernſter wards und truͤber:
Bald ſchien mich an ein fluͤchtig Blitzen,
Dann glaubt' ich Wahrheit zu beſitzen,
Dann kam die Daͤmmrung, faßt' es wieder
Und taucht' es in die Finſtre nieder;
Die Nacht ward wieder Lichtes ſchwanger,
Das neue Licht macht' mich noch banger,
Wohl ahndend, daß, wenns ausgegohren
Die Finſtre neu draus wird erboren:
So wies Hiſtori mir nur Noth,
Im Leben auch nur Grab und Tod,
Das Schoͤne ſtirbt, der Glanz loͤſcht aus,
Das Irdiſch-Schlechte baut ſein Haus,
Und ſpricht von ſeinem Felſenthron
Den hohen Goͤtterſoͤhnen Hohn:
Natur hab' ich ergruͤnden wollen,
Da kam ich gar auf ſeltſam' Schrollen,
Verlor mich in ein ſteinern Reich,
Ich glaubte all's nichts doch zugleich,
Wollt Pflanz, Metall und Stein verſtehn,
Mußt' mir doch ſelbſt verloren gehn,
Hatt' viel Kunſtworte bald erſtanden,
Ich ſelbſt gekommen nur abhanden,
Um endlich wieder zu gelangen

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[155/0166] Phantaſus. Ich ſtrebte, mich aus rohem Wilden Zum wahren Menſchen umzubilden; Drauf ich auch zur Geſchichte kam Die Noth der Welt zu Herzen nahm, Die Chronikbuͤcher unverdroſſen Hab' ich in Naͤchten aufgeſchloſſen, Die Vorzeit kam zu mir heruͤber Und immer ernſter wards und truͤber: Bald ſchien mich an ein fluͤchtig Blitzen, Dann glaubt' ich Wahrheit zu beſitzen, Dann kam die Daͤmmrung, faßt' es wieder Und taucht' es in die Finſtre nieder; Die Nacht ward wieder Lichtes ſchwanger, Das neue Licht macht' mich noch banger, Wohl ahndend, daß, wenns ausgegohren Die Finſtre neu draus wird erboren: So wies Hiſtori mir nur Noth, Im Leben auch nur Grab und Tod, Das Schoͤne ſtirbt, der Glanz loͤſcht aus, Das Irdiſch-Schlechte baut ſein Haus, Und ſpricht von ſeinem Felſenthron Den hohen Goͤtterſoͤhnen Hohn: Natur hab' ich ergruͤnden wollen, Da kam ich gar auf ſeltſam' Schrollen, Verlor mich in ein ſteinern Reich, Ich glaubte all's nichts doch zugleich, Wollt Pflanz, Metall und Stein verſtehn, Mußt' mir doch ſelbſt verloren gehn, Hatt' viel Kunſtworte bald erſtanden, Ich ſelbſt gekommen nur abhanden, Um endlich wieder zu gelangen

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/166>, abgerufen am 24.11.2024.