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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Phantasus.

Schau aus, als seist nach seinem Bilde
Formiret edel, heiter milde,
Verbrümmelt nicht und ungelachsen,
Als seyn in dir zusamm gewachsen
All Unkraut, Stacheln, Disteln, Dorn,
Mit Schimmel, Pilzen fest verworrn;
Frisch auf, laß dich von mir regieren,
Ins Frühlings-Reich will ich dich führen.

Er schwang in seiner Rechten zart
Die Tulpenblum seltsamer Art,
Wie er sie auf und nieder regte
Ein farbig Feuer sich bewegte,
Und lichte Sterne kreisten, welche
Sich schüttelten aus goldnem Kelche,
Die flogen wie die Vöglein munter
Mir um das Haupt herauf herunter
Und neckten mich mit ihrem Leuchten,
Daß ich zu thun sie fort zu scheuchen.
Ich sprach halb zornig: wer bist du,
Der mich gestört in meiner Ruh,
Du Knäblein laut, vorwitziglich,
Der du also bespöttelst mich,
Und willst, weil du ein Kindlein frei,
Daß alle Welt auch kindisch sei?
Ich habe mehr gelernt, erfahren,
Bin auch jetzund was mehr bei Jahren,
Daß Spiel, unnützer Zeitvertreib
Nicht mehr gefallen meinem Leib,
Auch ist umher die ganze Welt
Auf Ernst, Nachdenklichkeit gestellt,
Daß der nur Thor jedwedem scheint

Phantaſus.

Schau aus, als ſeiſt nach ſeinem Bilde
Formiret edel, heiter milde,
Verbruͤmmelt nicht und ungelachſen,
Als ſeyn in dir zuſamm gewachſen
All Unkraut, Stacheln, Diſteln, Dorn,
Mit Schimmel, Pilzen feſt verworrn;
Friſch auf, laß dich von mir regieren,
Ins Fruͤhlings-Reich will ich dich fuͤhren.

Er ſchwang in ſeiner Rechten zart
Die Tulpenblum ſeltſamer Art,
Wie er ſie auf und nieder regte
Ein farbig Feuer ſich bewegte,
Und lichte Sterne kreiſten, welche
Sich ſchuͤttelten aus goldnem Kelche,
Die flogen wie die Voͤglein munter
Mir um das Haupt herauf herunter
Und neckten mich mit ihrem Leuchten,
Daß ich zu thun ſie fort zu ſcheuchen.
Ich ſprach halb zornig: wer biſt du,
Der mich geſtoͤrt in meiner Ruh,
Du Knaͤblein laut, vorwitziglich,
Der du alſo beſpoͤttelſt mich,
Und willſt, weil du ein Kindlein frei,
Daß alle Welt auch kindiſch ſei?
Ich habe mehr gelernt, erfahren,
Bin auch jetzund was mehr bei Jahren,
Daß Spiel, unnuͤtzer Zeitvertreib
Nicht mehr gefallen meinem Leib,
Auch iſt umher die ganze Welt
Auf Ernſt, Nachdenklichkeit geſtellt,
Daß der nur Thor jedwedem ſcheint
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[153/0164] Phantaſus. Schau aus, als ſeiſt nach ſeinem Bilde Formiret edel, heiter milde, Verbruͤmmelt nicht und ungelachſen, Als ſeyn in dir zuſamm gewachſen All Unkraut, Stacheln, Diſteln, Dorn, Mit Schimmel, Pilzen feſt verworrn; Friſch auf, laß dich von mir regieren, Ins Fruͤhlings-Reich will ich dich fuͤhren. Er ſchwang in ſeiner Rechten zart Die Tulpenblum ſeltſamer Art, Wie er ſie auf und nieder regte Ein farbig Feuer ſich bewegte, Und lichte Sterne kreiſten, welche Sich ſchuͤttelten aus goldnem Kelche, Die flogen wie die Voͤglein munter Mir um das Haupt herauf herunter Und neckten mich mit ihrem Leuchten, Daß ich zu thun ſie fort zu ſcheuchen. Ich ſprach halb zornig: wer biſt du, Der mich geſtoͤrt in meiner Ruh, Du Knaͤblein laut, vorwitziglich, Der du alſo beſpoͤttelſt mich, Und willſt, weil du ein Kindlein frei, Daß alle Welt auch kindiſch ſei? Ich habe mehr gelernt, erfahren, Bin auch jetzund was mehr bei Jahren, Daß Spiel, unnuͤtzer Zeitvertreib Nicht mehr gefallen meinem Leib, Auch iſt umher die ganze Welt Auf Ernſt, Nachdenklichkeit geſtellt, Daß der nur Thor jedwedem ſcheint

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/164>, abgerufen am 03.05.2024.