ich, welche auf Sonnenauf- und Untergänge von hohen Bergen, auf Wasserfälle und Naturphä- nomene wahrhaft Jagd machen, und sich und andern manchen Morgen verderben, um einen Genuß zu erwarten, der oft nicht kömmt, und den sie nachher erheucheln müssen. Diese Leute behandeln die Natur gerade so, wie sie mit den merkwürdigen Männern umgehn, sie laufen ihnen ins Haus und stellen sich ihnen gegenüber, da stehn sie nun an der bekannten und oftmals besprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele nun gar nichts vorgeht, so sind sie nachher wenigstens doch dort gewesen.
Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Besuch an, oder vielmehr sind wir nicht immer gestimmt, ihre Heiligkeit zu fühlen. In uns selbst muß die Harmonie schon sein, um sie außer uns zu finden, sonst behelfen wir uns freilich nur mit leeren Phrasen, ohne die Schönheit zu genießen: oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Ent- zücken vom Himmel herab in unser Herz fallen, und uns die höchste Begeisterung aufschließen; dazu aber können wir nichts thun, wir können dergleichen nicht erwarten, sondern eine solche Offenbarung begiebt sich in uns nur. So viel ist gewiß, daß jeder Mensch wohl nur zwei oder dreimal in seinem Leben das Glück haben kann, wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu sehn: der- gleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwol-
Erſte Abtheilung.
ich, welche auf Sonnenauf- und Untergaͤnge von hohen Bergen, auf Waſſerfaͤlle und Naturphaͤ- nomene wahrhaft Jagd machen, und ſich und andern manchen Morgen verderben, um einen Genuß zu erwarten, der oft nicht koͤmmt, und den ſie nachher erheucheln muͤſſen. Dieſe Leute behandeln die Natur gerade ſo, wie ſie mit den merkwuͤrdigen Maͤnnern umgehn, ſie laufen ihnen ins Haus und ſtellen ſich ihnen gegenuͤber, da ſtehn ſie nun an der bekannten und oftmals beſprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele nun gar nichts vorgeht, ſo ſind ſie nachher wenigſtens doch dort geweſen.
Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Beſuch an, oder vielmehr ſind wir nicht immer geſtimmt, ihre Heiligkeit zu fuͤhlen. In uns ſelbſt muß die Harmonie ſchon ſein, um ſie außer uns zu finden, ſonſt behelfen wir uns freilich nur mit leeren Phraſen, ohne die Schoͤnheit zu genießen: oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Ent- zuͤcken vom Himmel herab in unſer Herz fallen, und uns die hoͤchſte Begeiſterung aufſchließen; dazu aber koͤnnen wir nichts thun, wir koͤnnen dergleichen nicht erwarten, ſondern eine ſolche Offenbarung begiebt ſich in uns nur. So viel iſt gewiß, daß jeder Menſch wohl nur zwei oder dreimal in ſeinem Leben das Gluͤck haben kann, wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu ſehn: der- gleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwol-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0158"n="147"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
ich, welche auf Sonnenauf- und Untergaͤnge von<lb/>
hohen Bergen, auf Waſſerfaͤlle und Naturphaͤ-<lb/>
nomene wahrhaft Jagd machen, und ſich und<lb/>
andern manchen Morgen verderben, um einen<lb/>
Genuß zu erwarten, der oft nicht koͤmmt, und<lb/>
den ſie nachher erheucheln muͤſſen. Dieſe Leute<lb/>
behandeln die Natur gerade ſo, wie ſie mit den<lb/>
merkwuͤrdigen Maͤnnern umgehn, ſie laufen ihnen<lb/>
ins Haus und ſtellen ſich ihnen gegenuͤber, da<lb/>ſtehn ſie nun an der bekannten und oftmals<lb/>
beſprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele<lb/>
nun gar nichts vorgeht, ſo ſind ſie nachher<lb/>
wenigſtens doch dort geweſen.</p><lb/><p>Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht<lb/>
in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Beſuch an,<lb/>
oder vielmehr ſind wir nicht immer geſtimmt,<lb/>
ihre Heiligkeit zu fuͤhlen. In uns ſelbſt muß<lb/>
die Harmonie ſchon ſein, um ſie außer uns zu<lb/>
finden, ſonſt behelfen wir uns freilich nur mit<lb/>
leeren Phraſen, ohne die Schoͤnheit zu genießen:<lb/>
oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Ent-<lb/>
zuͤcken vom Himmel herab in unſer Herz fallen,<lb/>
und uns die hoͤchſte Begeiſterung aufſchließen;<lb/>
dazu aber koͤnnen wir nichts thun, wir koͤnnen<lb/>
dergleichen nicht erwarten, ſondern eine ſolche<lb/>
Offenbarung begiebt ſich in uns nur. So viel<lb/>
iſt gewiß, daß jeder Menſch wohl nur zwei oder<lb/>
dreimal in ſeinem Leben das Gluͤck haben kann,<lb/>
wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu ſehn: der-<lb/>
gleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwol-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[147/0158]
Erſte Abtheilung.
ich, welche auf Sonnenauf- und Untergaͤnge von
hohen Bergen, auf Waſſerfaͤlle und Naturphaͤ-
nomene wahrhaft Jagd machen, und ſich und
andern manchen Morgen verderben, um einen
Genuß zu erwarten, der oft nicht koͤmmt, und
den ſie nachher erheucheln muͤſſen. Dieſe Leute
behandeln die Natur gerade ſo, wie ſie mit den
merkwuͤrdigen Maͤnnern umgehn, ſie laufen ihnen
ins Haus und ſtellen ſich ihnen gegenuͤber, da
ſtehn ſie nun an der bekannten und oftmals
beſprochenen Stelle, und wenn in ihrer Seele
nun gar nichts vorgeht, ſo ſind ſie nachher
wenigſtens doch dort geweſen.
Die Natur, fuhr Anton fort, nimmt nicht
in jeder Stunde jedweden vorwitzigen Beſuch an,
oder vielmehr ſind wir nicht immer geſtimmt,
ihre Heiligkeit zu fuͤhlen. In uns ſelbſt muß
die Harmonie ſchon ſein, um ſie außer uns zu
finden, ſonſt behelfen wir uns freilich nur mit
leeren Phraſen, ohne die Schoͤnheit zu genießen:
oder es kann auch wohl ein unvermuthetes Ent-
zuͤcken vom Himmel herab in unſer Herz fallen,
und uns die hoͤchſte Begeiſterung aufſchließen;
dazu aber koͤnnen wir nichts thun, wir koͤnnen
dergleichen nicht erwarten, ſondern eine ſolche
Offenbarung begiebt ſich in uns nur. So viel
iſt gewiß, daß jeder Menſch wohl nur zwei oder
dreimal in ſeinem Leben das Gluͤck haben kann,
wahrhaft einen Sonnen-Aufgang zu ſehn: der-
gleichen geht auch dann nicht, wie Sommerwol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/158>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.