Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Abtheilung.
möchte ich am liebsten den Park mit einem
Shakspearschen, und den regelmäßigen Garten
mit einem Calderonschen Luftspiel vergleichen.
Scheinbare Willkühr in jenem, von einem un-
sichtbaren Geist der Ordnung gelenkt, Künstlich-
keit, in anscheinender Natürlichkeit, der Anklang
aller Empfindungen auf phantasirende Weise,
Ernst und Heiterkeit wechselnd, Erinnerung an
das Leben und seine Bedürfnisse, und ein Sinn
der Liebe und Freundschaft, welcher alle Theile
verbindet. Im südlichen Garten und Gedicht
Regel und Richtschnur, Ehre, Liebe, Eifersucht
in großen Massen und scharfen Antithesen, eben
so Freundschaft und Haß, aber ohne tiefe oder
bizarre Individualität, oft mit den nehmlichen
Bildern und Worten wiederholt, Künstlichkeit
und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles
dessen, was unmittelbar an Natur erinnert, das
Ganze endlich verbunden durch einen begeister-
ten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht
berauscht erscheint. Ich lasse das Gegenbild des
Gartens unausgemahlt, aber man könnte selbst
die Reden in Stanzen oder andern künstlichen
Versmaßen, (die sich gewiß ganz von dem, was
die Naturalisten Natur nennen wollen, entfer-
nen) mit den beschnittenen glänzenden Taxus- und
Buxus-Wänden vergleichen, wenn man witzig im
Bilde fortspielen wollte.

Auch diese, sagte Manfred, dürfen in einem
Kunstgarten nicht fehlen, auch vertragen diese

I. [ I0 ]

Erſte Abtheilung.
moͤchte ich am liebſten den Park mit einem
Shakſpearſchen, und den regelmaͤßigen Garten
mit einem Calderonſchen Luftſpiel vergleichen.
Scheinbare Willkuͤhr in jenem, von einem un-
ſichtbaren Geiſt der Ordnung gelenkt, Kuͤnſtlich-
keit, in anſcheinender Natuͤrlichkeit, der Anklang
aller Empfindungen auf phantaſirende Weiſe,
Ernſt und Heiterkeit wechſelnd, Erinnerung an
das Leben und ſeine Beduͤrfniſſe, und ein Sinn
der Liebe und Freundſchaft, welcher alle Theile
verbindet. Im ſuͤdlichen Garten und Gedicht
Regel und Richtſchnur, Ehre, Liebe, Eiferſucht
in großen Maſſen und ſcharfen Antitheſen, eben
ſo Freundſchaft und Haß, aber ohne tiefe oder
bizarre Individualitaͤt, oft mit den nehmlichen
Bildern und Worten wiederholt, Kuͤnſtlichkeit
und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles
deſſen, was unmittelbar an Natur erinnert, das
Ganze endlich verbunden durch einen begeiſter-
ten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht
berauſcht erſcheint. Ich laſſe das Gegenbild des
Gartens unausgemahlt, aber man koͤnnte ſelbſt
die Reden in Stanzen oder andern kuͤnſtlichen
Versmaßen, (die ſich gewiß ganz von dem, was
die Naturaliſten Natur nennen wollen, entfer-
nen) mit den beſchnittenen glaͤnzenden Taxus- und
Buxus-Waͤnden vergleichen, wenn man witzig im
Bilde fortſpielen wollte.

Auch dieſe, ſagte Manfred, duͤrfen in einem
Kunſtgarten nicht fehlen, auch vertragen dieſe

I. [ I0 ]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="145"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Er&#x017F;te Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
mo&#x0364;chte ich am lieb&#x017F;ten den Park mit einem<lb/>
Shak&#x017F;pear&#x017F;chen, und den regelma&#x0364;ßigen Garten<lb/>
mit einem Calderon&#x017F;chen Luft&#x017F;piel vergleichen.<lb/>
Scheinbare Willku&#x0364;hr in jenem, von einem un-<lb/>
&#x017F;ichtbaren Gei&#x017F;t der Ordnung gelenkt, Ku&#x0364;n&#x017F;tlich-<lb/>
keit, in an&#x017F;cheinender Natu&#x0364;rlichkeit, der Anklang<lb/>
aller Empfindungen auf phanta&#x017F;irende Wei&#x017F;e,<lb/>
Ern&#x017F;t und Heiterkeit wech&#x017F;elnd, Erinnerung an<lb/>
das Leben und &#x017F;eine Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, und ein Sinn<lb/>
der Liebe und Freund&#x017F;chaft, welcher alle Theile<lb/>
verbindet. Im &#x017F;u&#x0364;dlichen Garten und Gedicht<lb/>
Regel und Richt&#x017F;chnur, Ehre, Liebe, Eifer&#x017F;ucht<lb/>
in großen Ma&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;charfen Antithe&#x017F;en, eben<lb/>
&#x017F;o Freund&#x017F;chaft und Haß, aber ohne tiefe oder<lb/>
bizarre Individualita&#x0364;t, oft mit den nehmlichen<lb/>
Bildern und Worten wiederholt, Ku&#x0364;n&#x017F;tlichkeit<lb/>
und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en, was unmittelbar an Natur erinnert, das<lb/>
Ganze endlich verbunden durch einen begei&#x017F;ter-<lb/>
ten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht<lb/>
berau&#x017F;cht er&#x017F;cheint. Ich la&#x017F;&#x017F;e das Gegenbild des<lb/>
Gartens unausgemahlt, aber man ko&#x0364;nnte &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die Reden in Stanzen oder andern ku&#x0364;n&#x017F;tlichen<lb/>
Versmaßen, (die &#x017F;ich gewiß ganz von dem, was<lb/>
die Naturali&#x017F;ten Natur nennen wollen, entfer-<lb/>
nen) mit den be&#x017F;chnittenen gla&#x0364;nzenden Taxus- und<lb/>
Buxus-Wa&#x0364;nden vergleichen, wenn man witzig im<lb/>
Bilde fort&#x017F;pielen wollte.</p><lb/>
        <p>Auch die&#x017F;e, &#x017F;agte Manfred, du&#x0364;rfen in einem<lb/>
Kun&#x017F;tgarten nicht fehlen, auch vertragen die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">I. [ I0 ]</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[145/0156] Erſte Abtheilung. moͤchte ich am liebſten den Park mit einem Shakſpearſchen, und den regelmaͤßigen Garten mit einem Calderonſchen Luftſpiel vergleichen. Scheinbare Willkuͤhr in jenem, von einem un- ſichtbaren Geiſt der Ordnung gelenkt, Kuͤnſtlich- keit, in anſcheinender Natuͤrlichkeit, der Anklang aller Empfindungen auf phantaſirende Weiſe, Ernſt und Heiterkeit wechſelnd, Erinnerung an das Leben und ſeine Beduͤrfniſſe, und ein Sinn der Liebe und Freundſchaft, welcher alle Theile verbindet. Im ſuͤdlichen Garten und Gedicht Regel und Richtſchnur, Ehre, Liebe, Eiferſucht in großen Maſſen und ſcharfen Antitheſen, eben ſo Freundſchaft und Haß, aber ohne tiefe oder bizarre Individualitaͤt, oft mit den nehmlichen Bildern und Worten wiederholt, Kuͤnſtlichkeit und Erhabenheit der Sprache, Entfernung alles deſſen, was unmittelbar an Natur erinnert, das Ganze endlich verbunden durch einen begeiſter- ten hohen Sinn, der wohl trunken, aber nicht berauſcht erſcheint. Ich laſſe das Gegenbild des Gartens unausgemahlt, aber man koͤnnte ſelbſt die Reden in Stanzen oder andern kuͤnſtlichen Versmaßen, (die ſich gewiß ganz von dem, was die Naturaliſten Natur nennen wollen, entfer- nen) mit den beſchnittenen glaͤnzenden Taxus- und Buxus-Waͤnden vergleichen, wenn man witzig im Bilde fortſpielen wollte. Auch dieſe, ſagte Manfred, duͤrfen in einem Kunſtgarten nicht fehlen, auch vertragen dieſe I. [ I0 ]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/156
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/156>, abgerufen am 22.11.2024.