Da man nun so häufig, sprach Ernst wei- ter, diese Gespenster von Gärten sah, so er- wachte zu derselben Zeit, als man in allen Kün- sten die Natürlichkeit forderte, auch in der Gar- tenkunst bei unsern Landsleuten ein gewisser Sinn für Natur. Wir hörten von den Englischen Parks, von denen viele in der That in hoher Schönheit prangen, und so fing man denn in Deutschland ebenfalls an, mit Bäumen, Stau- den und Felsen auf mannichfache Weise zu ma- len, lebendige Wasser und Wasserfälle mußten die springenden Brunnen verdrängen, so wie alle geraden Linien nebst allem Anschein von Kunst verschwinden mußten, um der Natur und ihren Wirkungen auf unser Gemüth Raum zu gewäh- ren. Weil man sich nun hier in einem unbe- schränkten Felde bewegte, eigentlich keine Vor- bilder zur Nachahmung vor sich hatte, und der Sinn, der auf diese Weise malen und zusam- men setzen soll, vom feinsten Geschmack, vom zartesten Gefühl für das Romantische der Na- tur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage, jede Umgebung einen eigenthümlichen Garten die- ser Art erfordert, und jeder also nur einmal existiren kann, so konnte es nicht fehlen, daß man von jenem ächten Natursinn verlassen, in Verwirrung gerieth, und bald Gärten entstan- den, die nicht weniger widerlich, als jene Hol- ländischen waren. Bald genügten die Effekte der Natur und der sinnigen Bäume und Pflan-
Einleitung.
Da man nun ſo haͤufig, ſprach Ernſt wei- ter, dieſe Geſpenſter von Gaͤrten ſah, ſo er- wachte zu derſelben Zeit, als man in allen Kuͤn- ſten die Natuͤrlichkeit forderte, auch in der Gar- tenkunſt bei unſern Landsleuten ein gewiſſer Sinn fuͤr Natur. Wir hoͤrten von den Engliſchen Parks, von denen viele in der That in hoher Schoͤnheit prangen, und ſo fing man denn in Deutſchland ebenfalls an, mit Baͤumen, Stau- den und Felſen auf mannichfache Weiſe zu ma- len, lebendige Waſſer und Waſſerfaͤlle mußten die ſpringenden Brunnen verdraͤngen, ſo wie alle geraden Linien nebſt allem Anſchein von Kunſt verſchwinden mußten, um der Natur und ihren Wirkungen auf unſer Gemuͤth Raum zu gewaͤh- ren. Weil man ſich nun hier in einem unbe- ſchraͤnkten Felde bewegte, eigentlich keine Vor- bilder zur Nachahmung vor ſich hatte, und der Sinn, der auf dieſe Weiſe malen und zuſam- men ſetzen ſoll, vom feinſten Geſchmack, vom zarteſten Gefuͤhl fuͤr das Romantiſche der Na- tur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage, jede Umgebung einen eigenthuͤmlichen Garten die- ſer Art erfordert, und jeder alſo nur einmal exiſtiren kann, ſo konnte es nicht fehlen, daß man von jenem aͤchten Naturſinn verlaſſen, in Verwirrung gerieth, und bald Gaͤrten entſtan- den, die nicht weniger widerlich, als jene Hol- laͤndiſchen waren. Bald genuͤgten die Effekte der Natur und der ſinnigen Baͤume und Pflan-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0106"n="95"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/><p>Da man nun ſo haͤufig, ſprach Ernſt wei-<lb/>
ter, dieſe Geſpenſter von Gaͤrten ſah, ſo er-<lb/>
wachte zu derſelben Zeit, als man in allen Kuͤn-<lb/>ſten die Natuͤrlichkeit forderte, auch in der Gar-<lb/>
tenkunſt bei unſern Landsleuten ein gewiſſer Sinn<lb/>
fuͤr Natur. Wir hoͤrten von den Engliſchen<lb/>
Parks, von denen viele in der That in hoher<lb/>
Schoͤnheit prangen, und ſo fing man denn in<lb/>
Deutſchland ebenfalls an, mit Baͤumen, Stau-<lb/>
den und Felſen auf mannichfache Weiſe zu ma-<lb/>
len, lebendige Waſſer und Waſſerfaͤlle mußten<lb/>
die ſpringenden Brunnen verdraͤngen, ſo wie alle<lb/>
geraden Linien nebſt allem Anſchein von Kunſt<lb/>
verſchwinden mußten, um der Natur und ihren<lb/>
Wirkungen auf unſer Gemuͤth Raum zu gewaͤh-<lb/>
ren. Weil man ſich nun hier in einem unbe-<lb/>ſchraͤnkten Felde bewegte, eigentlich keine Vor-<lb/>
bilder zur Nachahmung vor ſich hatte, und der<lb/>
Sinn, der auf dieſe Weiſe malen und zuſam-<lb/>
men ſetzen ſoll, vom feinſten Geſchmack, vom<lb/>
zarteſten Gefuͤhl fuͤr das Romantiſche der Na-<lb/>
tur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage,<lb/>
jede Umgebung einen eigenthuͤmlichen Garten die-<lb/>ſer Art erfordert, und jeder alſo nur einmal<lb/>
exiſtiren kann, ſo konnte es nicht fehlen, daß<lb/>
man von jenem aͤchten Naturſinn verlaſſen, in<lb/>
Verwirrung gerieth, und bald Gaͤrten entſtan-<lb/>
den, die nicht weniger widerlich, als jene Hol-<lb/>
laͤndiſchen waren. Bald genuͤgten die Effekte<lb/>
der Natur und der ſinnigen Baͤume und Pflan-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[95/0106]
Einleitung.
Da man nun ſo haͤufig, ſprach Ernſt wei-
ter, dieſe Geſpenſter von Gaͤrten ſah, ſo er-
wachte zu derſelben Zeit, als man in allen Kuͤn-
ſten die Natuͤrlichkeit forderte, auch in der Gar-
tenkunſt bei unſern Landsleuten ein gewiſſer Sinn
fuͤr Natur. Wir hoͤrten von den Engliſchen
Parks, von denen viele in der That in hoher
Schoͤnheit prangen, und ſo fing man denn in
Deutſchland ebenfalls an, mit Baͤumen, Stau-
den und Felſen auf mannichfache Weiſe zu ma-
len, lebendige Waſſer und Waſſerfaͤlle mußten
die ſpringenden Brunnen verdraͤngen, ſo wie alle
geraden Linien nebſt allem Anſchein von Kunſt
verſchwinden mußten, um der Natur und ihren
Wirkungen auf unſer Gemuͤth Raum zu gewaͤh-
ren. Weil man ſich nun hier in einem unbe-
ſchraͤnkten Felde bewegte, eigentlich keine Vor-
bilder zur Nachahmung vor ſich hatte, und der
Sinn, der auf dieſe Weiſe malen und zuſam-
men ſetzen ſoll, vom feinſten Geſchmack, vom
zarteſten Gefuͤhl fuͤr das Romantiſche der Na-
tur geleitet werden muß, ja, weil jede Lage,
jede Umgebung einen eigenthuͤmlichen Garten die-
ſer Art erfordert, und jeder alſo nur einmal
exiſtiren kann, ſo konnte es nicht fehlen, daß
man von jenem aͤchten Naturſinn verlaſſen, in
Verwirrung gerieth, und bald Gaͤrten entſtan-
den, die nicht weniger widerlich, als jene Hol-
laͤndiſchen waren. Bald genuͤgten die Effekte
der Natur und der ſinnigen Baͤume und Pflan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/106>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.