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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Einleitung.
überrinnt, sagte Clara, und Lämmchen drinne
hüpfend und blökend in der Frühlingszeit, und
krausbebuschte Berge dahinter, aus denen ein
Holzschlag in den Gesang der Waldvögel tönt,
dies kann vorzüglich Abends, oder am frühsten
Morgen so himmlische Eindrücke von Ruhe, Ein-
samkeit und lieblicher Befangenheit erregen, daß
unser Gemüth in diesen Augenblicken sich nichts
Höheres wünschen kann.

Die Gärten der alten Burgen und Schlös-
ser waren auf ihren Höhen gewiß nur beschränkt,
sagte Ernst, der jagdliebende Ritter lebte im
Walde, oder auf Reisen und Turniren, oder in
Fehden und Kriegen. Als die neueren Palläste
entstanden und die fürstliche Architektur, als mit
dem milderen Leben Kunst, Witz und heitere Ge-
selligkeit in die Schlösser der Großen und Rei-
chen zogen, wandte sich die architektonische Regel
ebenfalls in die Gärten; in ihnen sollte dieselbe
Reinlichkeit und Ordnung herrschen, wie in den
Säulengängen und Sälen der Palläste, sie soll-
ten der Geselligkeit den heitersten Raum gewäh-
ren, und so entstanden die regelmäßigen, weiten
und vielfachen Baumgänge, so wurde der un-
ordentliche Wuchs zu grünen Wänden erzogen,
Hügel ordneten sich in Terrassen und bequemen
breiten Treppen, die Blumen standen in Reihen
und Beeten, und alles Wildscheinende, so wie
alles, was an das Bedürfniß erinnert, wurde
sorgfältigst entfernt; auf großen runden oder vier-

Einleitung.
uͤberrinnt, ſagte Clara, und Laͤmmchen drinne
huͤpfend und bloͤkend in der Fruͤhlingszeit, und
krausbebuſchte Berge dahinter, aus denen ein
Holzſchlag in den Geſang der Waldvoͤgel toͤnt,
dies kann vorzuͤglich Abends, oder am fruͤhſten
Morgen ſo himmliſche Eindruͤcke von Ruhe, Ein-
ſamkeit und lieblicher Befangenheit erregen, daß
unſer Gemuͤth in dieſen Augenblicken ſich nichts
Hoͤheres wuͤnſchen kann.

Die Gaͤrten der alten Burgen und Schloͤſ-
ſer waren auf ihren Hoͤhen gewiß nur beſchraͤnkt,
ſagte Ernſt, der jagdliebende Ritter lebte im
Walde, oder auf Reiſen und Turniren, oder in
Fehden und Kriegen. Als die neueren Pallaͤſte
entſtanden und die fuͤrſtliche Architektur, als mit
dem milderen Leben Kunſt, Witz und heitere Ge-
ſelligkeit in die Schloͤſſer der Großen und Rei-
chen zogen, wandte ſich die architektoniſche Regel
ebenfalls in die Gaͤrten; in ihnen ſollte dieſelbe
Reinlichkeit und Ordnung herrſchen, wie in den
Saͤulengaͤngen und Saͤlen der Pallaͤſte, ſie ſoll-
ten der Geſelligkeit den heiterſten Raum gewaͤh-
ren, und ſo entſtanden die regelmaͤßigen, weiten
und vielfachen Baumgaͤnge, ſo wurde der un-
ordentliche Wuchs zu gruͤnen Waͤnden erzogen,
Huͤgel ordneten ſich in Terraſſen und bequemen
breiten Treppen, die Blumen ſtanden in Reihen
und Beeten, und alles Wildſcheinende, ſo wie
alles, was an das Beduͤrfniß erinnert, wurde
ſorgfaͤltigſt entfernt; auf großen runden oder vier-

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[92/0103] Einleitung. uͤberrinnt, ſagte Clara, und Laͤmmchen drinne huͤpfend und bloͤkend in der Fruͤhlingszeit, und krausbebuſchte Berge dahinter, aus denen ein Holzſchlag in den Geſang der Waldvoͤgel toͤnt, dies kann vorzuͤglich Abends, oder am fruͤhſten Morgen ſo himmliſche Eindruͤcke von Ruhe, Ein- ſamkeit und lieblicher Befangenheit erregen, daß unſer Gemuͤth in dieſen Augenblicken ſich nichts Hoͤheres wuͤnſchen kann. Die Gaͤrten der alten Burgen und Schloͤſ- ſer waren auf ihren Hoͤhen gewiß nur beſchraͤnkt, ſagte Ernſt, der jagdliebende Ritter lebte im Walde, oder auf Reiſen und Turniren, oder in Fehden und Kriegen. Als die neueren Pallaͤſte entſtanden und die fuͤrſtliche Architektur, als mit dem milderen Leben Kunſt, Witz und heitere Ge- ſelligkeit in die Schloͤſſer der Großen und Rei- chen zogen, wandte ſich die architektoniſche Regel ebenfalls in die Gaͤrten; in ihnen ſollte dieſelbe Reinlichkeit und Ordnung herrſchen, wie in den Saͤulengaͤngen und Saͤlen der Pallaͤſte, ſie ſoll- ten der Geſelligkeit den heiterſten Raum gewaͤh- ren, und ſo entſtanden die regelmaͤßigen, weiten und vielfachen Baumgaͤnge, ſo wurde der un- ordentliche Wuchs zu gruͤnen Waͤnden erzogen, Huͤgel ordneten ſich in Terraſſen und bequemen breiten Treppen, die Blumen ſtanden in Reihen und Beeten, und alles Wildſcheinende, ſo wie alles, was an das Beduͤrfniß erinnert, wurde ſorgfaͤltigſt entfernt; auf großen runden oder vier-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/103>, abgerufen am 22.11.2024.