Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

auf eine unrechtmäßige Weise besitze, wie mir
nun nichts übrig sey, als das unbedeutende
Waterhall und das armseelige Kensea. Der
Haß stand verdoppelt in meiner Brust auf, wenn
ich bedachte, daß dieß derselbe Mensch sey, der
immer so viel über Edelmuth und Tugend ge-
schwatzt habe. Es kam mir von neuem in den
Sinn, wie mir von je alle Plane mißlangen,
wie der heimtückische Mortimer mir nun Ama-
lien entrissen hat, wie sie selbst mich so schnell
vergessen konnte, der Eigensinn meines Vaters,
die Niederträchtigkeit des alten Burton, -- o
alles kam so frisch und neu in meine Seele,
daß ich mit den Zähnen knirschte, daß ich wü-
thend daran dachte, wie armseelig es um mein
eignes Her; aussehe, daß ich mir zürnend vor-
nahm, mich endlich zu rächen, Bosheit gegen
Bosheit zu setzen und durch einen großen Streich
dem Kriege ein Ende zu machen. Wir können
nichts anders thun, als siegen oder besiegt
werden; die sogenannte Tugend ist nur Geschwätz
und besteht meistentheils nur in Trägheit oder
Einfalt, bey den andern ist sie erzwungen, oder
hängt mit ihr[e]m Vortheile zusammen; sie ist
eben so gut ein Gewerbe, wie irgend ein anderes.

F 2

auf eine unrechtmaͤßige Weiſe beſitze, wie mir
nun nichts uͤbrig ſey, als das unbedeutende
Waterhall und das armſeelige Kenſea. Der
Haß ſtand verdoppelt in meiner Bruſt auf, wenn
ich bedachte, daß dieß derſelbe Menſch ſey, der
immer ſo viel uͤber Edelmuth und Tugend ge-
ſchwatzt habe. Es kam mir von neuem in den
Sinn, wie mir von je alle Plane mißlangen,
wie der heimtuͤckiſche Mortimer mir nun Ama-
lien entriſſen hat, wie ſie ſelbſt mich ſo ſchnell
vergeſſen konnte, der Eigenſinn meines Vaters,
die Niedertraͤchtigkeit des alten Burton, — o
alles kam ſo friſch und neu in meine Seele,
daß ich mit den Zaͤhnen knirſchte, daß ich wuͤ-
thend daran dachte, wie armſeelig es um mein
eignes Her; ausſehe, daß ich mir zuͤrnend vor-
nahm, mich endlich zu raͤchen, Bosheit gegen
Bosheit zu ſetzen und durch einen großen Streich
dem Kriege ein Ende zu machen. Wir koͤnnen
nichts anders thun, als ſiegen oder beſiegt
werden; die ſogenannte Tugend iſt nur Geſchwaͤtz
und beſteht meiſtentheils nur in Traͤgheit oder
Einfalt, bey den andern iſt ſie erzwungen, oder
haͤngt mit ihr[e]m Vortheile zuſammen; ſie iſt
eben ſo gut ein Gewerbe, wie irgend ein anderes.

F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="83"/>
auf eine unrechtma&#x0364;ßige Wei&#x017F;e be&#x017F;itze, wie mir<lb/>
nun nichts u&#x0364;brig &#x017F;ey, als das unbedeutende<lb/>
Waterhall und das arm&#x017F;eelige Ken&#x017F;ea. Der<lb/>
Haß &#x017F;tand verdoppelt in meiner Bru&#x017F;t auf, wenn<lb/>
ich bedachte, daß dieß der&#x017F;elbe Men&#x017F;ch &#x017F;ey, der<lb/>
immer &#x017F;o viel u&#x0364;ber Edelmuth und Tugend ge-<lb/>
&#x017F;chwatzt habe. Es kam mir von neuem in den<lb/>
Sinn, wie mir von je alle Plane mißlangen,<lb/>
wie der heimtu&#x0364;cki&#x017F;che Mortimer mir nun Ama-<lb/>
lien entri&#x017F;&#x017F;en hat, wie &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t mich &#x017F;o &#x017F;chnell<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;en konnte, der Eigen&#x017F;inn meines Vaters,<lb/>
die Niedertra&#x0364;chtigkeit des alten Burton, &#x2014; o<lb/>
alles kam &#x017F;o fri&#x017F;ch und neu in meine Seele,<lb/>
daß ich mit den Za&#x0364;hnen knir&#x017F;chte, daß ich wu&#x0364;-<lb/>
thend daran dachte, wie arm&#x017F;eelig es um mein<lb/>
eignes Her; aus&#x017F;ehe, daß ich mir zu&#x0364;rnend vor-<lb/>
nahm, mich endlich zu ra&#x0364;chen, Bosheit gegen<lb/>
Bosheit zu &#x017F;etzen und durch einen großen Streich<lb/>
dem Kriege ein Ende zu machen. Wir ko&#x0364;nnen<lb/>
nichts anders thun, als &#x017F;iegen oder be&#x017F;iegt<lb/>
werden; die &#x017F;ogenannte Tugend i&#x017F;t nur Ge&#x017F;chwa&#x0364;tz<lb/>
und be&#x017F;teht mei&#x017F;tentheils nur in Tra&#x0364;gheit oder<lb/>
Einfalt, bey den andern i&#x017F;t &#x017F;ie erzwungen, oder<lb/>
ha&#x0364;ngt mit ihr<supplied>e</supplied>m Vortheile zu&#x017F;ammen; &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
eben &#x017F;o gut ein Gewerbe, wie irgend ein anderes.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0090] auf eine unrechtmaͤßige Weiſe beſitze, wie mir nun nichts uͤbrig ſey, als das unbedeutende Waterhall und das armſeelige Kenſea. Der Haß ſtand verdoppelt in meiner Bruſt auf, wenn ich bedachte, daß dieß derſelbe Menſch ſey, der immer ſo viel uͤber Edelmuth und Tugend ge- ſchwatzt habe. Es kam mir von neuem in den Sinn, wie mir von je alle Plane mißlangen, wie der heimtuͤckiſche Mortimer mir nun Ama- lien entriſſen hat, wie ſie ſelbſt mich ſo ſchnell vergeſſen konnte, der Eigenſinn meines Vaters, die Niedertraͤchtigkeit des alten Burton, — o alles kam ſo friſch und neu in meine Seele, daß ich mit den Zaͤhnen knirſchte, daß ich wuͤ- thend daran dachte, wie armſeelig es um mein eignes Her; ausſehe, daß ich mir zuͤrnend vor- nahm, mich endlich zu raͤchen, Bosheit gegen Bosheit zu ſetzen und durch einen großen Streich dem Kriege ein Ende zu machen. Wir koͤnnen nichts anders thun, als ſiegen oder beſiegt werden; die ſogenannte Tugend iſt nur Geſchwaͤtz und beſteht meiſtentheils nur in Traͤgheit oder Einfalt, bey den andern iſt ſie erzwungen, oder haͤngt mit ihrem Vortheile zuſammen; ſie iſt eben ſo gut ein Gewerbe, wie irgend ein anderes. F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/90
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/90>, abgerufen am 01.05.2024.