der Gärtner sprach von mir mit Burton, und dieser ließ mich in das Schloß bringen, mir ein Zimmer anweisen, und mich mit Essen und Trin- ken versorgen. Emilie kannte ich schon etwas aus vorigen Zeiten, und ich beschloß mit ihr einen Versuch zu machen. Ich konnte darauf rechnen, daß sie vorzüglich neugierig war, wer ich seyn möchte, ich suchte daher ihre Aufmerk- samkeit noch mehr auf mein stilles, melancholi- sches Wesen zu richten. Es gelang mir. Ihr Bruder war an einem Tage abwesend, und ich sehe sie allein nach dem Garten gehen, und sich in ihre Lieblingslaube setzen. -- O Rosa! Sie hat sich wirklich sehr verschönert, seit dem ich sie nicht gesehen habe; ihr Wuchs ist sehr gra- ziös, und ihr Auge klug und sanft.
Sie hat einen gewissen Verstand, den sie be- sonders an sich schätzt; sie hat viele Bücher gelesen, und manches darüber gedacht, daher ist sie im Leben ihrer Sache immer sehr ge- wiß; sie meinet daß es keine kritische Fälle gebe, in denen man zweifeln könne, wie man sich zu betragen habe. Ich brauche Ihnen, Ro- sa, wohl nicht zu sagen, daß diese Geschöpfe grade am leichtesten zu gewinnen sind, daß sie
der Gaͤrtner ſprach von mir mit Burton, und dieſer ließ mich in das Schloß bringen, mir ein Zimmer anweiſen, und mich mit Eſſen und Trin- ken verſorgen. Emilie kannte ich ſchon etwas aus vorigen Zeiten, und ich beſchloß mit ihr einen Verſuch zu machen. Ich konnte darauf rechnen, daß ſie vorzuͤglich neugierig war, wer ich ſeyn moͤchte, ich ſuchte daher ihre Aufmerk- ſamkeit noch mehr auf mein ſtilles, melancholi- ſches Weſen zu richten. Es gelang mir. Ihr Bruder war an einem Tage abweſend, und ich ſehe ſie allein nach dem Garten gehen, und ſich in ihre Lieblingslaube ſetzen. — O Roſa! Sie hat ſich wirklich ſehr verſchoͤnert, ſeit dem ich ſie nicht geſehen habe; ihr Wuchs iſt ſehr gra- zioͤs, und ihr Auge klug und ſanft.
Sie hat einen gewiſſen Verſtand, den ſie be- ſonders an ſich ſchaͤtzt; ſie hat viele Buͤcher geleſen, und manches daruͤber gedacht, daher iſt ſie im Leben ihrer Sache immer ſehr ge- wiß; ſie meinet daß es keine kritiſche Faͤlle gebe, in denen man zweifeln koͤnne, wie man ſich zu betragen habe. Ich brauche Ihnen, Ro- ſa, wohl nicht zu ſagen, daß dieſe Geſchoͤpfe grade am leichteſten zu gewinnen ſind, daß ſie
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[50/0057]
der Gaͤrtner ſprach von mir mit Burton, und
dieſer ließ mich in das Schloß bringen, mir ein
Zimmer anweiſen, und mich mit Eſſen und Trin-
ken verſorgen. Emilie kannte ich ſchon etwas
aus vorigen Zeiten, und ich beſchloß mit ihr
einen Verſuch zu machen. Ich konnte darauf
rechnen, daß ſie vorzuͤglich neugierig war, wer
ich ſeyn moͤchte, ich ſuchte daher ihre Aufmerk-
ſamkeit noch mehr auf mein ſtilles, melancholi-
ſches Weſen zu richten. Es gelang mir. Ihr
Bruder war an einem Tage abweſend, und ich
ſehe ſie allein nach dem Garten gehen, und ſich
in ihre Lieblingslaube ſetzen. — O Roſa! Sie
hat ſich wirklich ſehr verſchoͤnert, ſeit dem ich
ſie nicht geſehen habe; ihr Wuchs iſt ſehr gra-
zioͤs, und ihr Auge klug und ſanft.
Sie hat einen gewiſſen Verſtand, den ſie be-
ſonders an ſich ſchaͤtzt; ſie hat viele Buͤcher
geleſen, und manches daruͤber gedacht, daher iſt
ſie im Leben ihrer Sache immer ſehr ge-
wiß; ſie meinet daß es keine kritiſche Faͤlle
gebe, in denen man zweifeln koͤnne, wie man
ſich zu betragen habe. Ich brauche Ihnen, Ro-
ſa, wohl nicht zu ſagen, daß dieſe Geſchoͤpfe
grade am leichteſten zu gewinnen ſind, daß ſie
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/57>, abgerufen am 23.11.2024.
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