Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nes hören, und ihm mit meinem Troste den
Gram etwas aus seinem düstern Angesichte
schmeicheln.

Niemand kennt ihn hier und Niemand weiß
daß ich ihn kenne, ich muß Ihnen seinen Nah-
men auch noch verhehlen, weil es sein Wille so
ist und weil er gegründete Ursachen dazu hat.

Es ist so etwas Wunderbares um ihn her,
daß man sich in seiner Gegenwart wie in eine
andre Welt entrückt fühlt. Alle, selbst die all-
täglichsten Ideen, erhebt er zur höchsten Poesie,
so daß er wie ein fremder Geist auf dieser Er-
de wandelt. Wenn ich dabey an sein Unglück
denke, so kann ich nicht müde werden, von
ihm zu sprechen, mich freut es, daß er mich
seine Freundinn nennt, da ihn kein Wesen auf
dieser Erde weiter liebt. -- O, denken Sie
sich den schrecklichen Gedanken: ich bin das ein-
zige Geschöpf, das sich für ihn interessirt!

Wozu sind die Millionen Menschen auf die-
ser Erde, da so wenige nur Einen finden, der
sie liebt! -- Ach, sie kömmt mir wüst und ent-
völkert vor, wenn ich daran recht lebhaft den-
ke, sie ist nur eine große Erdmasse, voller stum-
men Leichen, die in und auf ihr sind. Sind

nes hoͤren, und ihm mit meinem Troſte den
Gram etwas aus ſeinem duͤſtern Angeſichte
ſchmeicheln.

Niemand kennt ihn hier und Niemand weiß
daß ich ihn kenne, ich muß Ihnen ſeinen Nah-
men auch noch verhehlen, weil es ſein Wille ſo
iſt und weil er gegruͤndete Urſachen dazu hat.

Es iſt ſo etwas Wunderbares um ihn her,
daß man ſich in ſeiner Gegenwart wie in eine
andre Welt entruͤckt fuͤhlt. Alle, ſelbſt die all-
taͤglichſten Ideen, erhebt er zur hoͤchſten Poeſie,
ſo daß er wie ein fremder Geiſt auf dieſer Er-
de wandelt. Wenn ich dabey an ſein Ungluͤck
denke, ſo kann ich nicht muͤde werden, von
ihm zu ſprechen, mich freut es, daß er mich
ſeine Freundinn nennt, da ihn kein Weſen auf
dieſer Erde weiter liebt. — O, denken Sie
ſich den ſchrecklichen Gedanken: ich bin das ein-
zige Geſchoͤpf, das ſich fuͤr ihn intereſſirt!

Wozu ſind die Millionen Menſchen auf die-
ſer Erde, da ſo wenige nur Einen finden, der
ſie liebt! — Ach, ſie koͤmmt mir wuͤſt und ent-
voͤlkert vor, wenn ich daran recht lebhaft den-
ke, ſie iſt nur eine große Erdmaſſe, voller ſtum-
men Leichen, die in und auf ihr ſind. Sind

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="39"/>
nes ho&#x0364;ren, und ihm mit meinem Tro&#x017F;te den<lb/>
Gram etwas aus &#x017F;einem du&#x0364;&#x017F;tern Ange&#x017F;ichte<lb/>
&#x017F;chmeicheln.</p><lb/>
          <p>Niemand kennt ihn hier und Niemand weiß<lb/>
daß ich ihn kenne, ich muß Ihnen &#x017F;einen Nah-<lb/>
men auch noch verhehlen, weil es &#x017F;ein Wille &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t und weil er gegru&#x0364;ndete Ur&#x017F;achen dazu hat.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t &#x017F;o etwas Wunderbares um ihn her,<lb/>
daß man &#x017F;ich in &#x017F;einer Gegenwart wie in eine<lb/>
andre Welt entru&#x0364;ckt fu&#x0364;hlt. Alle, &#x017F;elb&#x017F;t die all-<lb/>
ta&#x0364;glich&#x017F;ten Ideen, erhebt er zur ho&#x0364;ch&#x017F;ten Poe&#x017F;ie,<lb/>
&#x017F;o daß er wie ein fremder Gei&#x017F;t auf die&#x017F;er Er-<lb/>
de wandelt. Wenn ich dabey an &#x017F;ein Unglu&#x0364;ck<lb/>
denke, &#x017F;o kann ich nicht mu&#x0364;de werden, von<lb/>
ihm zu &#x017F;prechen, mich freut es, daß er mich<lb/>
&#x017F;eine Freundinn nennt, da ihn kein We&#x017F;en auf<lb/>
die&#x017F;er Erde weiter liebt. &#x2014; O, denken Sie<lb/>
&#x017F;ich den &#x017F;chrecklichen Gedanken: ich bin das ein-<lb/>
zige Ge&#x017F;cho&#x0364;pf, das &#x017F;ich fu&#x0364;r ihn intere&#x017F;&#x017F;irt!</p><lb/>
          <p>Wozu &#x017F;ind die Millionen Men&#x017F;chen auf die-<lb/>
&#x017F;er Erde, da &#x017F;o wenige nur Einen finden, der<lb/>
&#x017F;ie liebt! &#x2014; Ach, &#x017F;ie ko&#x0364;mmt mir wu&#x0364;&#x017F;t und ent-<lb/>
vo&#x0364;lkert vor, wenn ich daran recht lebhaft den-<lb/>
ke, &#x017F;ie i&#x017F;t nur eine große Erdma&#x017F;&#x017F;e, voller &#x017F;tum-<lb/>
men Leichen, die in und auf ihr &#x017F;ind. Sind<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0046] nes hoͤren, und ihm mit meinem Troſte den Gram etwas aus ſeinem duͤſtern Angeſichte ſchmeicheln. Niemand kennt ihn hier und Niemand weiß daß ich ihn kenne, ich muß Ihnen ſeinen Nah- men auch noch verhehlen, weil es ſein Wille ſo iſt und weil er gegruͤndete Urſachen dazu hat. Es iſt ſo etwas Wunderbares um ihn her, daß man ſich in ſeiner Gegenwart wie in eine andre Welt entruͤckt fuͤhlt. Alle, ſelbſt die all- taͤglichſten Ideen, erhebt er zur hoͤchſten Poeſie, ſo daß er wie ein fremder Geiſt auf dieſer Er- de wandelt. Wenn ich dabey an ſein Ungluͤck denke, ſo kann ich nicht muͤde werden, von ihm zu ſprechen, mich freut es, daß er mich ſeine Freundinn nennt, da ihn kein Weſen auf dieſer Erde weiter liebt. — O, denken Sie ſich den ſchrecklichen Gedanken: ich bin das ein- zige Geſchoͤpf, das ſich fuͤr ihn intereſſirt! Wozu ſind die Millionen Menſchen auf die- ſer Erde, da ſo wenige nur Einen finden, der ſie liebt! — Ach, ſie koͤmmt mir wuͤſt und ent- voͤlkert vor, wenn ich daran recht lebhaft den- ke, ſie iſt nur eine große Erdmaſſe, voller ſtum- men Leichen, die in und auf ihr ſind. Sind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/46
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/46>, abgerufen am 20.04.2024.