zu sehr kalkulirt waren, die nahe, unbeholfene Einfalt tritt dazwischen und zerreißt alle Fäden, die zum leisen Gefangennehmen dienen sollten. Wer recht vorsichtig und vernünftig ist, dem wird auch bey der feinsten Machination der Gedanke nahe liegen, daß man wohl darauf ausgehn könne, ihn zu täuschen, und so ist diese Feinheit in jedem Falle verlorne Mühe. Das Unwahrscheinliche und Grobe glauben die Menschen eben darum am ersten, weil es un- wahrscheinlich ist, sie meinen, es müsse denn doch wohl irgend etwas Wahres dahinterstecken, weil sich ja sonst kein Kind dadurch würde hin- tergehn lassen. Ich habe oft über die weisen Herren lachen müssen, deren Seele ich im vor- aus so gut berechnen konnte, daß der Erfolg auch nicht um einen Gran anders war, als ich mir vorgestellt hatte.
Haben die Menschen in die Wissenschaft des Glaubens erst Einen Schritt hineingethan, so ist nachher kein Aufhalten mehr; sie fühlen sich nun über die aufgeklärten Menschen erha- ben, sie glauben über den Verstand hinwegge- kommen zu seyn, und jedes Kindermärchen, jede tolle Fiktion hat sie jetzt in der Gewalt.
Ich
zu ſehr kalkulirt waren, die nahe, unbeholfene Einfalt tritt dazwiſchen und zerreißt alle Faͤden, die zum leiſen Gefangennehmen dienen ſollten. Wer recht vorſichtig und vernuͤnftig iſt, dem wird auch bey der feinſten Machination der Gedanke nahe liegen, daß man wohl darauf ausgehn koͤnne, ihn zu taͤuſchen, und ſo iſt dieſe Feinheit in jedem Falle verlorne Muͤhe. Das Unwahrſcheinliche und Grobe glauben die Menſchen eben darum am erſten, weil es un- wahrſcheinlich iſt, ſie meinen, es muͤſſe denn doch wohl irgend etwas Wahres dahinterſtecken, weil ſich ja ſonſt kein Kind dadurch wuͤrde hin- tergehn laſſen. Ich habe oft uͤber die weiſen Herren lachen muͤſſen, deren Seele ich im vor- aus ſo gut berechnen konnte, daß der Erfolg auch nicht um einen Gran anders war, als ich mir vorgeſtellt hatte.
Haben die Menſchen in die Wiſſenſchaft des Glaubens erſt Einen Schritt hineingethan, ſo iſt nachher kein Aufhalten mehr; ſie fuͤhlen ſich nun uͤber die aufgeklaͤrten Menſchen erha- ben, ſie glauben uͤber den Verſtand hinwegge- kommen zu ſeyn, und jedes Kindermaͤrchen, jede tolle Fiktion hat ſie jetzt in der Gewalt.
Ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0455"n="448"/>
zu ſehr kalkulirt waren, die nahe, unbeholfene<lb/>
Einfalt tritt dazwiſchen und zerreißt alle Faͤden,<lb/>
die zum leiſen Gefangennehmen dienen ſollten.<lb/>
Wer recht vorſichtig und vernuͤnftig iſt, dem<lb/>
wird auch bey der feinſten Machination der<lb/>
Gedanke nahe liegen, daß man wohl darauf<lb/>
ausgehn koͤnne, ihn zu taͤuſchen, und ſo iſt<lb/>
dieſe Feinheit in jedem Falle verlorne Muͤhe.<lb/>
Das Unwahrſcheinliche und Grobe glauben die<lb/>
Menſchen eben darum am erſten, weil es un-<lb/>
wahrſcheinlich iſt, ſie meinen, es muͤſſe denn<lb/>
doch wohl irgend etwas Wahres dahinterſtecken,<lb/>
weil ſich ja ſonſt kein Kind dadurch wuͤrde hin-<lb/>
tergehn laſſen. Ich habe oft uͤber die weiſen<lb/>
Herren lachen muͤſſen, deren Seele ich im vor-<lb/>
aus ſo gut berechnen konnte, daß der Erfolg<lb/>
auch nicht um einen Gran anders war, als ich<lb/>
mir vorgeſtellt hatte.</p><lb/><p>Haben die Menſchen in die Wiſſenſchaft<lb/>
des Glaubens erſt Einen Schritt hineingethan,<lb/>ſo iſt nachher kein Aufhalten mehr; ſie fuͤhlen<lb/>ſich nun uͤber die aufgeklaͤrten Menſchen erha-<lb/>
ben, ſie glauben uͤber den Verſtand hinwegge-<lb/>
kommen zu ſeyn, und jedes Kindermaͤrchen,<lb/>
jede tolle Fiktion hat ſie jetzt in der Gewalt.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ich</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[448/0455]
zu ſehr kalkulirt waren, die nahe, unbeholfene
Einfalt tritt dazwiſchen und zerreißt alle Faͤden,
die zum leiſen Gefangennehmen dienen ſollten.
Wer recht vorſichtig und vernuͤnftig iſt, dem
wird auch bey der feinſten Machination der
Gedanke nahe liegen, daß man wohl darauf
ausgehn koͤnne, ihn zu taͤuſchen, und ſo iſt
dieſe Feinheit in jedem Falle verlorne Muͤhe.
Das Unwahrſcheinliche und Grobe glauben die
Menſchen eben darum am erſten, weil es un-
wahrſcheinlich iſt, ſie meinen, es muͤſſe denn
doch wohl irgend etwas Wahres dahinterſtecken,
weil ſich ja ſonſt kein Kind dadurch wuͤrde hin-
tergehn laſſen. Ich habe oft uͤber die weiſen
Herren lachen muͤſſen, deren Seele ich im vor-
aus ſo gut berechnen konnte, daß der Erfolg
auch nicht um einen Gran anders war, als ich
mir vorgeſtellt hatte.
Haben die Menſchen in die Wiſſenſchaft
des Glaubens erſt Einen Schritt hineingethan,
ſo iſt nachher kein Aufhalten mehr; ſie fuͤhlen
ſich nun uͤber die aufgeklaͤrten Menſchen erha-
ben, ſie glauben uͤber den Verſtand hinwegge-
kommen zu ſeyn, und jedes Kindermaͤrchen,
jede tolle Fiktion hat ſie jetzt in der Gewalt.
Ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/455>, abgerufen am 03.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.