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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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widrigen Gesichte griff er jetzt in die Tasche,
und zog gähnend eine schwere Börse hervor,
er machte sie auf und gab mir ein Goldstück:
ich dankte und er ging fort. Kaum war er
einige Schritte gegangen, als er aus Nachläs-
sigkeit die Börse verlor und es nicht bemerkte.
So schnell ich konnte, lief ich hinzu, und hob
sie auf: er hatte mich nicht gesehen, und ich
war schon jenseit der Brücke, als er hinter mir
drein keuchte und mich fragte, ob ich seine
Börse nicht gesehn habe. Ich verneinte es fest,
und er fing nun an zu suchen, er kroch die
Brücke auf und ab, und ich mußte ihm helfen,
wobey ich denn sein Unglück sehr beklagte. Er
bog sich endlich über das Geländer, stieg hin-
über, um auch dort nachzusehn, weil man in
der Betrunkenheit selbst gern an den Orten
sucht, wo sich die Sachen am unwahrscheinlich-
sten finden, er kam aus dem Gleichgewichte
und stürzte in das Wasser. Da ich ihn nicht
schreyen hörte, ging auch ich stillschweigends
fort. Ich weiß nicht, ob man ihn wieder ans
Land gezogen hat.

Das Geld machte mich bald wieder an-
sehnlich; außerdem fand ich noch einige bedeu-

widrigen Geſichte griff er jetzt in die Taſche,
und zog gaͤhnend eine ſchwere Boͤrſe hervor,
er machte ſie auf und gab mir ein Goldſtuͤck:
ich dankte und er ging fort. Kaum war er
einige Schritte gegangen, als er aus Nachlaͤſ-
ſigkeit die Boͤrſe verlor und es nicht bemerkte.
So ſchnell ich konnte, lief ich hinzu, und hob
ſie auf: er hatte mich nicht geſehen, und ich
war ſchon jenſeit der Bruͤcke, als er hinter mir
drein keuchte und mich fragte, ob ich ſeine
Boͤrſe nicht geſehn habe. Ich verneinte es feſt,
und er fing nun an zu ſuchen, er kroch die
Bruͤcke auf und ab, und ich mußte ihm helfen,
wobey ich denn ſein Ungluͤck ſehr beklagte. Er
bog ſich endlich uͤber das Gelaͤnder, ſtieg hin-
uͤber, um auch dort nachzuſehn, weil man in
der Betrunkenheit ſelbſt gern an den Orten
ſucht, wo ſich die Sachen am unwahrſcheinlich-
ſten finden, er kam aus dem Gleichgewichte
und ſtuͤrzte in das Waſſer. Da ich ihn nicht
ſchreyen hoͤrte, ging auch ich ſtillſchweigends
fort. Ich weiß nicht, ob man ihn wieder ans
Land gezogen hat.

Das Geld machte mich bald wieder an-
ſehnlich; außerdem fand ich noch einige bedeu-

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[436/0443] widrigen Geſichte griff er jetzt in die Taſche, und zog gaͤhnend eine ſchwere Boͤrſe hervor, er machte ſie auf und gab mir ein Goldſtuͤck: ich dankte und er ging fort. Kaum war er einige Schritte gegangen, als er aus Nachlaͤſ- ſigkeit die Boͤrſe verlor und es nicht bemerkte. So ſchnell ich konnte, lief ich hinzu, und hob ſie auf: er hatte mich nicht geſehen, und ich war ſchon jenſeit der Bruͤcke, als er hinter mir drein keuchte und mich fragte, ob ich ſeine Boͤrſe nicht geſehn habe. Ich verneinte es feſt, und er fing nun an zu ſuchen, er kroch die Bruͤcke auf und ab, und ich mußte ihm helfen, wobey ich denn ſein Ungluͤck ſehr beklagte. Er bog ſich endlich uͤber das Gelaͤnder, ſtieg hin- uͤber, um auch dort nachzuſehn, weil man in der Betrunkenheit ſelbſt gern an den Orten ſucht, wo ſich die Sachen am unwahrſcheinlich- ſten finden, er kam aus dem Gleichgewichte und ſtuͤrzte in das Waſſer. Da ich ihn nicht ſchreyen hoͤrte, ging auch ich ſtillſchweigends fort. Ich weiß nicht, ob man ihn wieder ans Land gezogen hat. Das Geld machte mich bald wieder an- ſehnlich; außerdem fand ich noch einige bedeu-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/443>, abgerufen am 22.11.2024.