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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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um eine Gelegenheit zu haben, ihre guten Leh-
ren an den Mann zu bringen.

Ich ward immer aufgebrachter, und sah
doch ein, daß mein Harm nur lächerlich war.
Ich ward meines Lebens überdrüßig, das wie
eine Kette um mich lag. Ich saß auf dem
Pont neuf, und hatte schon seit Sonnenaufgang
das Mitleid der Vorübergehenden angefleht.
Hunger und Durst zehrten mich auf, ich erin-
nerte mich der Mährchen von wohlthätigen
Zauberern und Kobolden, und sah jedem Vor-
übergehenden in's Gesicht, aber alle sahen zu
sehr den Menschen ähnlich, als daß ich etwas
hätte hoffen können. Die Sonne ging unter,
und die rothen Wellen winkten mir, der Fluß
schien mir ein schönes goldenes Bette, in dem
ich endlich alle Sorgen und allen Verdruß ver-
schlafen könne. Immer gingen noch Menschen
vorüber, und keiner von allen warf mir auch
nur die kleinste Münze zu. Ich beschloß noch
zwölf Vorübergehende abzuwarten, und mich
dann, wenn mir von diesen keiner etwas gäbe,
in den Strom zu stürzen.

Da es schon spät war, gingen die Leute
schon seltner, ich verdoppelte mein Flehn, um

um eine Gelegenheit zu haben, ihre guten Leh-
ren an den Mann zu bringen.

Ich ward immer aufgebrachter, und ſah
doch ein, daß mein Harm nur laͤcherlich war.
Ich ward meines Lebens uͤberdruͤßig, das wie
eine Kette um mich lag. Ich ſaß auf dem
Pont neuf, und hatte ſchon ſeit Sonnenaufgang
das Mitleid der Voruͤbergehenden angefleht.
Hunger und Durſt zehrten mich auf, ich erin-
nerte mich der Maͤhrchen von wohlthaͤtigen
Zauberern und Kobolden, und ſah jedem Vor-
uͤbergehenden in's Geſicht, aber alle ſahen zu
ſehr den Menſchen aͤhnlich, als daß ich etwas
haͤtte hoffen koͤnnen. Die Sonne ging unter,
und die rothen Wellen winkten mir, der Fluß
ſchien mir ein ſchoͤnes goldenes Bette, in dem
ich endlich alle Sorgen und allen Verdruß ver-
ſchlafen koͤnne. Immer gingen noch Menſchen
voruͤber, und keiner von allen warf mir auch
nur die kleinſte Muͤnze zu. Ich beſchloß noch
zwoͤlf Voruͤbergehende abzuwarten, und mich
dann, wenn mir von dieſen keiner etwas gaͤbe,
in den Strom zu ſtuͤrzen.

Da es ſchon ſpaͤt war, gingen die Leute
ſchon ſeltner, ich verdoppelte mein Flehn, um

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[434/0441] um eine Gelegenheit zu haben, ihre guten Leh- ren an den Mann zu bringen. Ich ward immer aufgebrachter, und ſah doch ein, daß mein Harm nur laͤcherlich war. Ich ward meines Lebens uͤberdruͤßig, das wie eine Kette um mich lag. Ich ſaß auf dem Pont neuf, und hatte ſchon ſeit Sonnenaufgang das Mitleid der Voruͤbergehenden angefleht. Hunger und Durſt zehrten mich auf, ich erin- nerte mich der Maͤhrchen von wohlthaͤtigen Zauberern und Kobolden, und ſah jedem Vor- uͤbergehenden in's Geſicht, aber alle ſahen zu ſehr den Menſchen aͤhnlich, als daß ich etwas haͤtte hoffen koͤnnen. Die Sonne ging unter, und die rothen Wellen winkten mir, der Fluß ſchien mir ein ſchoͤnes goldenes Bette, in dem ich endlich alle Sorgen und allen Verdruß ver- ſchlafen koͤnne. Immer gingen noch Menſchen voruͤber, und keiner von allen warf mir auch nur die kleinſte Muͤnze zu. Ich beſchloß noch zwoͤlf Voruͤbergehende abzuwarten, und mich dann, wenn mir von dieſen keiner etwas gaͤbe, in den Strom zu ſtuͤrzen. Da es ſchon ſpaͤt war, gingen die Leute ſchon ſeltner, ich verdoppelte mein Flehn, um

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/441>, abgerufen am 18.05.2024.