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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

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fränkisch, so philosophisch und so unwahr, daß
ich beynahe Lust hätte, Dir alle meine Geschäf-
te zu übertragen, damit Du es selber mit Hän-
den griffest, wie sehr Du gelogen hast. Du
hast in Deiner ländlichen Ruhe gut sprechen,
aber wenn Du nur die langweiligsten, unbe-
deutendsten Sachen mit einer Emsigkeit und
Genauigkeit abschreiben müßtest, als wenn dar-
an die Seeligkeit von zehn Märtyrern hinge,
wenn Du es nur selber fühltest, wie bey einer
solchen Arbeit die Wände umher immer enger
zusammenrücken, und das Herz ängstlich klopft
und Du nach dem letzten Worte mit der flie-
genden Feder hinrennst, als wenn das Haus
einfallen wollte. Dann holt man Athem, um
es von neuem durchzulesen, und kaum ist man
eine halbe Stunde ausgegangen, so findest Du
schon neue Stöße, die auf Deine Abfertigung
warten. -- Wo da die Elasticität herkommen
soll, kann ich gar nicht einsehn. -- Die Ge-
danken im Kopfe werden immer dünner, und
gehn am Ende gar aus; statt daß ich sonst
Stellen aus dem Tristram Shandy auswendig
wußte, übe ich meine Memorie jetzt an den
mancherley Titulaturen.

fraͤnkiſch, ſo philoſophiſch und ſo unwahr, daß
ich beynahe Luſt haͤtte, Dir alle meine Geſchaͤf-
te zu uͤbertragen, damit Du es ſelber mit Haͤn-
den griffeſt, wie ſehr Du gelogen haſt. Du
haſt in Deiner laͤndlichen Ruhe gut ſprechen,
aber wenn Du nur die langweiligſten, unbe-
deutendſten Sachen mit einer Emſigkeit und
Genauigkeit abſchreiben muͤßteſt, als wenn dar-
an die Seeligkeit von zehn Maͤrtyrern hinge,
wenn Du es nur ſelber fuͤhlteſt, wie bey einer
ſolchen Arbeit die Waͤnde umher immer enger
zuſammenruͤcken, und das Herz aͤngſtlich klopft
und Du nach dem letzten Worte mit der flie-
genden Feder hinrennſt, als wenn das Haus
einfallen wollte. Dann holt man Athem, um
es von neuem durchzuleſen, und kaum iſt man
eine halbe Stunde ausgegangen, ſo findeſt Du
ſchon neue Stoͤße, die auf Deine Abfertigung
warten. — Wo da die Elaſticitaͤt herkommen
ſoll, kann ich gar nicht einſehn. — Die Ge-
danken im Kopfe werden immer duͤnner, und
gehn am Ende gar aus; ſtatt daß ich ſonſt
Stellen aus dem Triſtram Shandy auswendig
wußte, uͤbe ich meine Memorie jetzt an den
mancherley Titulaturen.

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[36/0043] fraͤnkiſch, ſo philoſophiſch und ſo unwahr, daß ich beynahe Luſt haͤtte, Dir alle meine Geſchaͤf- te zu uͤbertragen, damit Du es ſelber mit Haͤn- den griffeſt, wie ſehr Du gelogen haſt. Du haſt in Deiner laͤndlichen Ruhe gut ſprechen, aber wenn Du nur die langweiligſten, unbe- deutendſten Sachen mit einer Emſigkeit und Genauigkeit abſchreiben muͤßteſt, als wenn dar- an die Seeligkeit von zehn Maͤrtyrern hinge, wenn Du es nur ſelber fuͤhlteſt, wie bey einer ſolchen Arbeit die Waͤnde umher immer enger zuſammenruͤcken, und das Herz aͤngſtlich klopft und Du nach dem letzten Worte mit der flie- genden Feder hinrennſt, als wenn das Haus einfallen wollte. Dann holt man Athem, um es von neuem durchzuleſen, und kaum iſt man eine halbe Stunde ausgegangen, ſo findeſt Du ſchon neue Stoͤße, die auf Deine Abfertigung warten. — Wo da die Elaſticitaͤt herkommen ſoll, kann ich gar nicht einſehn. — Die Ge- danken im Kopfe werden immer duͤnner, und gehn am Ende gar aus; ſtatt daß ich ſonſt Stellen aus dem Triſtram Shandy auswendig wußte, uͤbe ich meine Memorie jetzt an den mancherley Titulaturen.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/43>, abgerufen am 26.04.2024.