Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich überließ mich jetzt dem frohern Genuß
des Lebens, alle meine dunkeln Empfindungen
lösten sich in Sinnlichkeit auf, ich glaubte, das
sey nur ein Weg dahin gewesen, eine Vorberei-
tung zu dieser Vollkommenheit.

Ich verachtete jetzt alles in mir selbst, was
mir als groß und erhaben erschienen war; mir
selbst zum Trotz zeichnete ich mir meine Liebe
als das Lächerlichste vor, ich machte mich mit
den widrigsten Vorstellungen vertraut, und galt
nun bald allenthalben für einen witzigen Kopf,
weil ich im Grunde den Verstand verloren
hatte.

So durchschwärmte ich ohne Genuß Ita-
lien und Frankreich. Man sah mich allenthal-
ben gern, und allenthalben war ich mir selbst
zur Last: ich bemerkte endlich mit Schrecken,
daß mein kleines Vermögen fast gänzlich verlo-
ren sey, ich war meinem Vaterlande ganz
fremd geworden, weil ich ohngefähr sechszehn
Jahre entfernt gewesen war; ein Zeitraum, der
mich jetzt außerordentlich kurz dünkte. -- Mit
dem Gelde, das mir übrig blieb, beschloß ich
nun nach England zurückzukehren, weil mir
indeß das Alte etwas Neues geworden war. --

D d 2

Ich uͤberließ mich jetzt dem frohern Genuß
des Lebens, alle meine dunkeln Empfindungen
loͤſten ſich in Sinnlichkeit auf, ich glaubte, das
ſey nur ein Weg dahin geweſen, eine Vorberei-
tung zu dieſer Vollkommenheit.

Ich verachtete jetzt alles in mir ſelbſt, was
mir als groß und erhaben erſchienen war; mir
ſelbſt zum Trotz zeichnete ich mir meine Liebe
als das Laͤcherlichſte vor, ich machte mich mit
den widrigſten Vorſtellungen vertraut, und galt
nun bald allenthalben fuͤr einen witzigen Kopf,
weil ich im Grunde den Verſtand verloren
hatte.

So durchſchwaͤrmte ich ohne Genuß Ita-
lien und Frankreich. Man ſah mich allenthal-
ben gern, und allenthalben war ich mir ſelbſt
zur Laſt: ich bemerkte endlich mit Schrecken,
daß mein kleines Vermoͤgen faſt gaͤnzlich verlo-
ren ſey, ich war meinem Vaterlande ganz
fremd geworden, weil ich ohngefaͤhr ſechszehn
Jahre entfernt geweſen war; ein Zeitraum, der
mich jetzt außerordentlich kurz duͤnkte. — Mit
dem Gelde, das mir uͤbrig blieb, beſchloß ich
nun nach England zuruͤckzukehren, weil mir
indeß das Alte etwas Neues geworden war. —

D d 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0426" n="419"/>
            <p>Ich u&#x0364;berließ mich jetzt dem frohern Genuß<lb/>
des Lebens, alle meine dunkeln Empfindungen<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;ich in Sinnlichkeit auf, ich glaubte, das<lb/>
&#x017F;ey nur ein Weg dahin gewe&#x017F;en, eine Vorberei-<lb/>
tung zu die&#x017F;er Vollkommenheit.</p><lb/>
            <p>Ich verachtete jetzt alles in mir &#x017F;elb&#x017F;t, was<lb/>
mir als groß und erhaben er&#x017F;chienen war; mir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zum Trotz zeichnete ich mir meine Liebe<lb/>
als das La&#x0364;cherlich&#x017F;te vor, ich machte mich mit<lb/>
den widrig&#x017F;ten Vor&#x017F;tellungen vertraut, und galt<lb/>
nun bald allenthalben fu&#x0364;r einen witzigen Kopf,<lb/>
weil ich im Grunde den Ver&#x017F;tand verloren<lb/>
hatte.</p><lb/>
            <p>So durch&#x017F;chwa&#x0364;rmte ich ohne Genuß Ita-<lb/>
lien und Frankreich. Man &#x017F;ah mich allenthal-<lb/>
ben gern, und allenthalben war ich mir &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zur La&#x017F;t: ich bemerkte endlich mit Schrecken,<lb/>
daß mein kleines Vermo&#x0364;gen fa&#x017F;t ga&#x0364;nzlich verlo-<lb/>
ren &#x017F;ey, ich war meinem Vaterlande ganz<lb/>
fremd geworden, weil ich ohngefa&#x0364;hr &#x017F;echszehn<lb/>
Jahre entfernt gewe&#x017F;en war; ein Zeitraum, der<lb/>
mich jetzt außerordentlich kurz du&#x0364;nkte. &#x2014; Mit<lb/>
dem Gelde, das mir u&#x0364;brig blieb, be&#x017F;chloß ich<lb/>
nun nach England zuru&#x0364;ckzukehren, weil mir<lb/>
indeß das Alte etwas Neues geworden war. &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 2</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[419/0426] Ich uͤberließ mich jetzt dem frohern Genuß des Lebens, alle meine dunkeln Empfindungen loͤſten ſich in Sinnlichkeit auf, ich glaubte, das ſey nur ein Weg dahin geweſen, eine Vorberei- tung zu dieſer Vollkommenheit. Ich verachtete jetzt alles in mir ſelbſt, was mir als groß und erhaben erſchienen war; mir ſelbſt zum Trotz zeichnete ich mir meine Liebe als das Laͤcherlichſte vor, ich machte mich mit den widrigſten Vorſtellungen vertraut, und galt nun bald allenthalben fuͤr einen witzigen Kopf, weil ich im Grunde den Verſtand verloren hatte. So durchſchwaͤrmte ich ohne Genuß Ita- lien und Frankreich. Man ſah mich allenthal- ben gern, und allenthalben war ich mir ſelbſt zur Laſt: ich bemerkte endlich mit Schrecken, daß mein kleines Vermoͤgen faſt gaͤnzlich verlo- ren ſey, ich war meinem Vaterlande ganz fremd geworden, weil ich ohngefaͤhr ſechszehn Jahre entfernt geweſen war; ein Zeitraum, der mich jetzt außerordentlich kurz duͤnkte. — Mit dem Gelde, das mir uͤbrig blieb, beſchloß ich nun nach England zuruͤckzukehren, weil mir indeß das Alte etwas Neues geworden war. — D d 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/426
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/426>, abgerufen am 18.05.2024.