Ich komme bald, Rosa, sehr bald, ich brauche nur noch eine kleine Frist, um auf dem Wege manches zu erfahren, was ich schon seit lange gerne wissen möchte. Ich sagte es schon neu- lich, daß es nichts Wunderbares giebt und daß sich alles um mich her vereinigt, um mich an Seltsamkeiten zu gewöhnen.
Ich streifte gestern Abends durch die Gas- sen der Stadt, der Mondschein und die kühle Luft lockten mich heraus. Ich wollte mich ein- mal wieder im Taumel der Phantasie vergessen, wie ich mich denn jetzt zuweilen mit Vorsatz in einen gewissen poetischen Rausch versetze, um alle Gegenstände anders zu sehn und zu fühlen. Einzelne Mädchen streiften in den einsamen Gassen umher, und es währte nicht lange, so folgte ich einer nach ihrer abgelegenen Woh- nung. Warum mich diese gerade und keine an- dre anzog, weiß ich nicht zu sagen.
7. William Lovell an Roſa.
Padua.
Ich komme bald, Roſa, ſehr bald, ich brauche nur noch eine kleine Friſt, um auf dem Wege manches zu erfahren, was ich ſchon ſeit lange gerne wiſſen moͤchte. Ich ſagte es ſchon neu- lich, daß es nichts Wunderbares giebt und daß ſich alles um mich her vereinigt, um mich an Seltſamkeiten zu gewoͤhnen.
Ich ſtreifte geſtern Abends durch die Gaſ- ſen der Stadt, der Mondſchein und die kuͤhle Luft lockten mich heraus. Ich wollte mich ein- mal wieder im Taumel der Phantaſie vergeſſen, wie ich mich denn jetzt zuweilen mit Vorſatz in einen gewiſſen poetiſchen Rauſch verſetze, um alle Gegenſtaͤnde anders zu ſehn und zu fuͤhlen. Einzelne Maͤdchen ſtreiften in den einſamen Gaſſen umher, und es waͤhrte nicht lange, ſo folgte ich einer nach ihrer abgelegenen Woh- nung. Warum mich dieſe gerade und keine an- dre anzog, weiß ich nicht zu ſagen.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0333"n="326"/><divn="2"><head>7.<lb/><hirendition="#g">William Lovell</hi> an <hirendition="#g">Roſa</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Padua</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch komme bald, Roſa, ſehr bald, ich brauche<lb/>
nur noch eine kleine Friſt, um auf dem Wege<lb/>
manches zu erfahren, was ich ſchon ſeit lange<lb/>
gerne wiſſen moͤchte. Ich ſagte es ſchon neu-<lb/>
lich, daß es nichts Wunderbares giebt und daß<lb/>ſich alles um mich her vereinigt, um mich an<lb/>
Seltſamkeiten zu gewoͤhnen.</p><lb/><p>Ich ſtreifte geſtern Abends durch die Gaſ-<lb/>ſen der Stadt, der Mondſchein und die kuͤhle<lb/>
Luft lockten mich heraus. Ich wollte mich ein-<lb/>
mal wieder im Taumel der Phantaſie vergeſſen,<lb/>
wie ich mich denn jetzt zuweilen mit Vorſatz in<lb/>
einen gewiſſen poetiſchen Rauſch verſetze, um<lb/>
alle Gegenſtaͤnde anders zu ſehn und zu fuͤhlen.<lb/>
Einzelne Maͤdchen ſtreiften in den einſamen<lb/>
Gaſſen umher, und es waͤhrte nicht lange, ſo<lb/>
folgte ich einer nach ihrer abgelegenen Woh-<lb/>
nung. Warum mich dieſe gerade und keine an-<lb/>
dre anzog, weiß ich nicht zu ſagen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[326/0333]
7.
William Lovell an Roſa.
Padua.
Ich komme bald, Roſa, ſehr bald, ich brauche
nur noch eine kleine Friſt, um auf dem Wege
manches zu erfahren, was ich ſchon ſeit lange
gerne wiſſen moͤchte. Ich ſagte es ſchon neu-
lich, daß es nichts Wunderbares giebt und daß
ſich alles um mich her vereinigt, um mich an
Seltſamkeiten zu gewoͤhnen.
Ich ſtreifte geſtern Abends durch die Gaſ-
ſen der Stadt, der Mondſchein und die kuͤhle
Luft lockten mich heraus. Ich wollte mich ein-
mal wieder im Taumel der Phantaſie vergeſſen,
wie ich mich denn jetzt zuweilen mit Vorſatz in
einen gewiſſen poetiſchen Rauſch verſetze, um
alle Gegenſtaͤnde anders zu ſehn und zu fuͤhlen.
Einzelne Maͤdchen ſtreiften in den einſamen
Gaſſen umher, und es waͤhrte nicht lange, ſo
folgte ich einer nach ihrer abgelegenen Woh-
nung. Warum mich dieſe gerade und keine an-
dre anzog, weiß ich nicht zu ſagen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/333>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.