Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

um die Flamme des Lichtes, um sich zu ver-
sengen und zu sterben. Ein Zweig des Bau-
mes klatscht gegen mein Fenster, er fährt auf
und nieder und verdeckt mir bald die Sterne,
bald zeigt er sie mir im bläulicht grünen Luft-
raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er-
schreckt, warum der Himmel mit seinen Ster-
nen so wehmüthig über mir steht. -- In der
Einsamkeit liegt eine Bangigkeit, die unsre
ganze Seele zusammenzieht; wir entsetzen uns
vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein
Sonnenschein die große Scene beleuchtet und
unsern Blick und unsre Aufmerksamkeit auf die
einzelnen Parthien richtet, sondern wenn die
Finsterniß alles zu einem unübersehlichen Chaos
vereinigt. Dann gehen wir völlig im wilden,
ungeheuern Meere unter, wo Wogen sich auf
Wogen wälzen und alles gestaltlos und ohne
Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann
man sich festhalten; unsre Welt sieht dann aus
wie eine ehemalige Erde, die so eben in der
Zertrümmerung begriffen ist -- und wir werden
unbemerkt mit verschlungen.

Ich wünsche in Rom zu seyn und Andrea
zu sehn und zu sprechen. -- Das Leben hier

um die Flamme des Lichtes, um ſich zu ver-
ſengen und zu ſterben. Ein Zweig des Bau-
mes klatſcht gegen mein Fenſter, er faͤhrt auf
und nieder und verdeckt mir bald die Sterne,
bald zeigt er ſie mir im blaͤulicht gruͤnen Luft-
raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er-
ſchreckt, warum der Himmel mit ſeinen Ster-
nen ſo wehmuͤthig uͤber mir ſteht. — In der
Einſamkeit liegt eine Bangigkeit, die unſre
ganze Seele zuſammenzieht; wir entſetzen uns
vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein
Sonnenſchein die große Scene beleuchtet und
unſern Blick und unſre Aufmerkſamkeit auf die
einzelnen Parthien richtet, ſondern wenn die
Finſterniß alles zu einem unuͤberſehlichen Chaos
vereinigt. Dann gehen wir voͤllig im wilden,
ungeheuern Meere unter, wo Wogen ſich auf
Wogen waͤlzen und alles geſtaltlos und ohne
Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann
man ſich feſthalten; unſre Welt ſieht dann aus
wie eine ehemalige Erde, die ſo eben in der
Zertruͤmmerung begriffen iſt — und wir werden
unbemerkt mit verſchlungen.

Ich wuͤnſche in Rom zu ſeyn und Andrea
zu ſehn und zu ſprechen. — Das Leben hier

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0292" n="285"/>
um die Flamme des Lichtes, um &#x017F;ich zu ver-<lb/>
&#x017F;engen und zu &#x017F;terben. Ein Zweig des Bau-<lb/>
mes klat&#x017F;cht gegen mein Fen&#x017F;ter, er fa&#x0364;hrt auf<lb/>
und nieder und verdeckt mir bald die Sterne,<lb/>
bald zeigt er &#x017F;ie mir im bla&#x0364;ulicht gru&#x0364;nen Luft-<lb/>
raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er-<lb/>
&#x017F;chreckt, warum der Himmel mit &#x017F;einen Ster-<lb/>
nen &#x017F;o wehmu&#x0364;thig u&#x0364;ber mir &#x017F;teht. &#x2014; In der<lb/>
Ein&#x017F;amkeit liegt eine Bangigkeit, die un&#x017F;re<lb/>
ganze Seele zu&#x017F;ammenzieht; wir ent&#x017F;etzen uns<lb/>
vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein<lb/>
Sonnen&#x017F;chein die große Scene beleuchtet und<lb/>
un&#x017F;ern Blick und un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit auf die<lb/>
einzelnen Parthien richtet, &#x017F;ondern wenn die<lb/>
Fin&#x017F;terniß alles zu einem unu&#x0364;ber&#x017F;ehlichen Chaos<lb/>
vereinigt. Dann gehen wir vo&#x0364;llig im wilden,<lb/>
ungeheuern Meere unter, wo Wogen &#x017F;ich auf<lb/>
Wogen wa&#x0364;lzen und alles ge&#x017F;taltlos und ohne<lb/>
Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann<lb/>
man &#x017F;ich fe&#x017F;thalten; un&#x017F;re Welt &#x017F;ieht dann aus<lb/>
wie eine ehemalige Erde, die &#x017F;o eben in der<lb/>
Zertru&#x0364;mmerung begriffen i&#x017F;t &#x2014; und wir werden<lb/>
unbemerkt mit ver&#x017F;chlungen.</p><lb/>
          <p>Ich wu&#x0364;n&#x017F;che in Rom zu &#x017F;eyn und Andrea<lb/>
zu &#x017F;ehn und zu &#x017F;prechen. &#x2014; Das Leben hier<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0292] um die Flamme des Lichtes, um ſich zu ver- ſengen und zu ſterben. Ein Zweig des Bau- mes klatſcht gegen mein Fenſter, er faͤhrt auf und nieder und verdeckt mir bald die Sterne, bald zeigt er ſie mir im blaͤulicht gruͤnen Luft- raume. Ich weiß nicht, warum mich alles er- ſchreckt, warum der Himmel mit ſeinen Ster- nen ſo wehmuͤthig uͤber mir ſteht. — In der Einſamkeit liegt eine Bangigkeit, die unſre ganze Seele zuſammenzieht; wir entſetzen uns vor der großen, ungeheuren Natur, wenn kein Sonnenſchein die große Scene beleuchtet und unſern Blick und unſre Aufmerkſamkeit auf die einzelnen Parthien richtet, ſondern wenn die Finſterniß alles zu einem unuͤberſehlichen Chaos vereinigt. Dann gehen wir voͤllig im wilden, ungeheuern Meere unter, wo Wogen ſich auf Wogen waͤlzen und alles geſtaltlos und ohne Regel durcheinander fluthet. Nirgends kann man ſich feſthalten; unſre Welt ſieht dann aus wie eine ehemalige Erde, die ſo eben in der Zertruͤmmerung begriffen iſt — und wir werden unbemerkt mit verſchlungen. Ich wuͤnſche in Rom zu ſeyn und Andrea zu ſehn und zu ſprechen. — Das Leben hier

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/292
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/292>, abgerufen am 21.05.2024.