Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Unsinn zu halten, weil ich es nicht begreifen
kann, aber verzeihen Sie mir meine Schwäche
so wie ich Ihre Größe bewundre. -- Ich spotte
jetzt nicht, Rosa, sondern es ist mein völliger
Ernst; ich habe über mich selbst nachgedacht
und gefunden, daß alle meine Schwächen mit
meinen bessern Seiten zusammenhängen, wie
es vielleicht bey jedem Menschen ist: die ge-
waltsamen Aenderungen sind auf jeden Fall
immer ein sehr mißliches Unternehmen, es giebt
keine so geschickte Hand, die mit dem Unkraute
nicht zugleich die guten Pflanzen ausraufte.
Lassen Sie mich darum lieber so, wie ich bin,
Sie möchten mich sonst ganz verderben.

Auch daß ich dies fürchte, ist eins von
den Vorurtheilen, die Sie verlachen Aber,
lieber Freund, entkleiden Sie den Menschen
von allen Vorurtheilen, und sehn Sie dann,
was Ihnen übrig bleibt. Genau genommen,
müßten wir an allem, und selbst wieder an
den Zweifeln zweifeln, denn jede Meinung ist
am Ende doch nur Vorurtheil, Sie können sich
für keine verbürgen Die Sucht, ganz als
freyer Mensch zu handeln, führt am Ende wie-
der den schlimmsten Vorurtheilen, oder dem

Unſinn zu halten, weil ich es nicht begreifen
kann, aber verzeihen Sie mir meine Schwaͤche
ſo wie ich Ihre Groͤße bewundre. — Ich ſpotte
jetzt nicht, Roſa, ſondern es iſt mein voͤlliger
Ernſt; ich habe uͤber mich ſelbſt nachgedacht
und gefunden, daß alle meine Schwaͤchen mit
meinen beſſern Seiten zuſammenhaͤngen, wie
es vielleicht bey jedem Menſchen iſt: die ge-
waltſamen Aenderungen ſind auf jeden Fall
immer ein ſehr mißliches Unternehmen, es giebt
keine ſo geſchickte Hand, die mit dem Unkraute
nicht zugleich die guten Pflanzen ausraufte.
Laſſen Sie mich darum lieber ſo, wie ich bin,
Sie moͤchten mich ſonſt ganz verderben.

Auch daß ich dies fuͤrchte, iſt eins von
den Vorurtheilen, die Sie verlachen Aber,
lieber Freund, entkleiden Sie den Menſchen
von allen Vorurtheilen, und ſehn Sie dann,
was Ihnen uͤbrig bleibt. Genau genommen,
muͤßten wir an allem, und ſelbſt wieder an
den Zweifeln zweifeln, denn jede Meinung iſt
am Ende doch nur Vorurtheil, Sie koͤnnen ſich
fuͤr keine verbuͤrgen Die Sucht, ganz als
freyer Menſch zu handeln, fuͤhrt am Ende wie-
der den ſchlimmſten Vorurtheilen, oder dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0225" n="218"/>
Un&#x017F;inn zu halten, weil ich es nicht begreifen<lb/>
kann, aber verzeihen Sie mir <choice><sic>meime</sic><corr>meine</corr></choice> Schwa&#x0364;che<lb/>
&#x017F;o wie ich Ihre Gro&#x0364;ße bewundre. &#x2014; Ich &#x017F;potte<lb/>
jetzt nicht, Ro&#x017F;a, &#x017F;ondern es i&#x017F;t mein vo&#x0364;lliger<lb/>
Ern&#x017F;t; ich habe u&#x0364;ber mich &#x017F;elb&#x017F;t nachgedacht<lb/>
und gefunden, daß alle meine Schwa&#x0364;chen mit<lb/>
meinen be&#x017F;&#x017F;ern Seiten zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen, wie<lb/>
es vielleicht bey jedem Men&#x017F;chen i&#x017F;t: die ge-<lb/>
walt&#x017F;amen Aenderungen &#x017F;ind auf jeden Fall<lb/>
immer ein &#x017F;ehr mißliches Unternehmen, es giebt<lb/>
keine &#x017F;o ge&#x017F;chickte Hand, die mit dem Unkraute<lb/>
nicht zugleich die guten Pflanzen ausraufte.<lb/>
La&#x017F;&#x017F;en Sie mich darum lieber &#x017F;o, wie ich bin,<lb/>
Sie mo&#x0364;chten mich &#x017F;on&#x017F;t ganz verderben.</p><lb/>
          <p>Auch daß ich dies fu&#x0364;rchte, i&#x017F;t eins von<lb/>
den Vorurtheilen, die Sie verlachen Aber,<lb/>
lieber Freund, entkleiden Sie den Men&#x017F;chen<lb/>
von allen Vorurtheilen, und &#x017F;ehn Sie dann,<lb/>
was Ihnen u&#x0364;brig bleibt. Genau genommen,<lb/>
mu&#x0364;ßten wir an allem, und &#x017F;elb&#x017F;t wieder an<lb/>
den Zweifeln zweifeln, denn jede Meinung i&#x017F;t<lb/>
am Ende doch nur Vorurtheil, Sie ko&#x0364;nnen &#x017F;ich<lb/>
fu&#x0364;r keine verbu&#x0364;rgen Die Sucht, ganz als<lb/>
freyer Men&#x017F;ch zu handeln, fu&#x0364;hrt am Ende wie-<lb/>
der den &#x017F;chlimm&#x017F;ten Vorurtheilen, oder dem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0225] Unſinn zu halten, weil ich es nicht begreifen kann, aber verzeihen Sie mir meine Schwaͤche ſo wie ich Ihre Groͤße bewundre. — Ich ſpotte jetzt nicht, Roſa, ſondern es iſt mein voͤlliger Ernſt; ich habe uͤber mich ſelbſt nachgedacht und gefunden, daß alle meine Schwaͤchen mit meinen beſſern Seiten zuſammenhaͤngen, wie es vielleicht bey jedem Menſchen iſt: die ge- waltſamen Aenderungen ſind auf jeden Fall immer ein ſehr mißliches Unternehmen, es giebt keine ſo geſchickte Hand, die mit dem Unkraute nicht zugleich die guten Pflanzen ausraufte. Laſſen Sie mich darum lieber ſo, wie ich bin, Sie moͤchten mich ſonſt ganz verderben. Auch daß ich dies fuͤrchte, iſt eins von den Vorurtheilen, die Sie verlachen Aber, lieber Freund, entkleiden Sie den Menſchen von allen Vorurtheilen, und ſehn Sie dann, was Ihnen uͤbrig bleibt. Genau genommen, muͤßten wir an allem, und ſelbſt wieder an den Zweifeln zweifeln, denn jede Meinung iſt am Ende doch nur Vorurtheil, Sie koͤnnen ſich fuͤr keine verbuͤrgen Die Sucht, ganz als freyer Menſch zu handeln, fuͤhrt am Ende wie- der den ſchlimmſten Vorurtheilen, oder dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/225
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/225>, abgerufen am 05.05.2024.