Sie kommen also wirklich nicht zu uns zurück? Wir alle sprechen unaufhörlich von Ihnen, wir alle wünschen Sie wieder in unsre Gesellschaft. Ich habe gehört, daß Sie in Florenz Verdrüß- lichkeiten haben, Sie sollten daher wieder nach Rom kommen, um sich zu zerstreuen, Andrea findet gewiß Mittel Sie zu trösten. Wer ei- gensinnig war, Adriano, hat nur noch selten seine Absichten durchgesetzt, und wenn die Um- stände sich nicht nach uns fügen wollen, so zeigt sich der Mensch eben darinn am vernünftigsten, daß er sich nach ihnen fügt: denn was soll er auch sonst thun? Jeder Mensch kann und darf zwar seine eigne Meinung haben, und es ist ge- wissermaßen gut, wenn er es in diesem Leben so weit gebracht hat, aber sehr oft ist es unsre Pflicht, diese Meinung zu verläugnen und auf eine Zeitlang die Gesinnung eines andern zu adoptiren. Was ist es auch für ein Opfer, das
18. Roſa an Adriano.
Tivoli.
Sie kommen alſo wirklich nicht zu uns zuruͤck? Wir alle ſprechen unaufhoͤrlich von Ihnen, wir alle wuͤnſchen Sie wieder in unſre Geſellſchaft. Ich habe gehoͤrt, daß Sie in Florenz Verdruͤß- lichkeiten haben, Sie ſollten daher wieder nach Rom kommen, um ſich zu zerſtreuen, Andrea findet gewiß Mittel Sie zu troͤſten. Wer ei- genſinnig war, Adriano, hat nur noch ſelten ſeine Abſichten durchgeſetzt, und wenn die Um- ſtaͤnde ſich nicht nach uns fuͤgen wollen, ſo zeigt ſich der Menſch eben darinn am vernuͤnftigſten, daß er ſich nach ihnen fuͤgt: denn was ſoll er auch ſonſt thun? Jeder Menſch kann und darf zwar ſeine eigne Meinung haben, und es iſt ge- wiſſermaßen gut, wenn er es in dieſem Leben ſo weit gebracht hat, aber ſehr oft iſt es unſre Pflicht, dieſe Meinung zu verlaͤugnen und auf eine Zeitlang die Geſinnung eines andern zu adoptiren. Was iſt es auch fuͤr ein Opfer, das
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0222"n="215"/><divn="2"><head>18.<lb/><hirendition="#g">Roſa</hi> an <hirendition="#g">Adriano</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Tivoli</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>ie kommen alſo wirklich nicht zu uns zuruͤck?<lb/>
Wir alle ſprechen unaufhoͤrlich von Ihnen, wir<lb/>
alle wuͤnſchen Sie wieder in unſre Geſellſchaft.<lb/>
Ich habe gehoͤrt, daß Sie in Florenz Verdruͤß-<lb/>
lichkeiten haben, Sie ſollten daher wieder nach<lb/>
Rom kommen, um ſich zu zerſtreuen, Andrea<lb/>
findet gewiß Mittel Sie zu troͤſten. Wer ei-<lb/>
genſinnig war, Adriano, hat nur noch ſelten<lb/>ſeine Abſichten durchgeſetzt, und wenn die Um-<lb/>ſtaͤnde ſich nicht nach uns fuͤgen wollen, ſo zeigt<lb/>ſich der Menſch eben darinn am vernuͤnftigſten,<lb/>
daß er ſich nach ihnen fuͤgt: denn was ſoll er<lb/>
auch ſonſt thun? Jeder Menſch kann und darf<lb/>
zwar ſeine eigne Meinung haben, und es iſt ge-<lb/>
wiſſermaßen gut, wenn er es in dieſem Leben<lb/>ſo weit gebracht hat, aber ſehr oft iſt es unſre<lb/>
Pflicht, dieſe Meinung zu verlaͤugnen und auf<lb/>
eine Zeitlang die Geſinnung eines andern zu<lb/>
adoptiren. Was iſt es auch fuͤr ein Opfer, das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[215/0222]
18.
Roſa an Adriano.
Tivoli.
Sie kommen alſo wirklich nicht zu uns zuruͤck?
Wir alle ſprechen unaufhoͤrlich von Ihnen, wir
alle wuͤnſchen Sie wieder in unſre Geſellſchaft.
Ich habe gehoͤrt, daß Sie in Florenz Verdruͤß-
lichkeiten haben, Sie ſollten daher wieder nach
Rom kommen, um ſich zu zerſtreuen, Andrea
findet gewiß Mittel Sie zu troͤſten. Wer ei-
genſinnig war, Adriano, hat nur noch ſelten
ſeine Abſichten durchgeſetzt, und wenn die Um-
ſtaͤnde ſich nicht nach uns fuͤgen wollen, ſo zeigt
ſich der Menſch eben darinn am vernuͤnftigſten,
daß er ſich nach ihnen fuͤgt: denn was ſoll er
auch ſonſt thun? Jeder Menſch kann und darf
zwar ſeine eigne Meinung haben, und es iſt ge-
wiſſermaßen gut, wenn er es in dieſem Leben
ſo weit gebracht hat, aber ſehr oft iſt es unſre
Pflicht, dieſe Meinung zu verlaͤugnen und auf
eine Zeitlang die Geſinnung eines andern zu
adoptiren. Was iſt es auch fuͤr ein Opfer, das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/222>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.