Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ge ewig in einem ermüdenden Gleichgewichte
steht? Sollte unser Geist nur immer die Reihe
von Gedanken wie bunte Bilder mustern, ohne
sich selbst in einem einzigen zu erkennen?

Als die Zeit vorüber war, in der mich
meine Eitelkeit vorzüglich an Andrea knüpfte,
glaubte ich doch in ihm selbst eine gewisse Unvol-
lendung zu entdecken, die Sucht, mehr durch
seine Gedanken zu glänzen und zu erschrecken,
als die Wahrheit und das letzte Bedürfniß der
Seele zu suchen. Er verachtet die übrigen
Menschen so wie sich selbst, ihm ist daher
nichts in seinem Innern ehrwürdig, er spielt
mit den Menschen nur so wie mit seinen
Gedanken, er ist nichts als ein gefährlicher
philosophischer Charlatan, bey dem ein witzi-
ger Einfall und ein scharfsinniger und gro-
ßer Gedanke einerlei ist, der sich selbst bis auf
den Grund zu kennen glaubt, indem er nur seine
Fähigkeiten und Anlagen bemerkt hat. Er ist,
wenn ich mich so ausdrücken darf, die Skitze
zu einer kollossalischen Figur, aber die Vollen-
dung, die Vertheilung des Lichtes und Schat-
tens fehlt ihm gänzlich.

ge ewig in einem ermuͤdenden Gleichgewichte
ſteht? Sollte unſer Geiſt nur immer die Reihe
von Gedanken wie bunte Bilder muſtern, ohne
ſich ſelbſt in einem einzigen zu erkennen?

Als die Zeit voruͤber war, in der mich
meine Eitelkeit vorzuͤglich an Andrea knuͤpfte,
glaubte ich doch in ihm ſelbſt eine gewiſſe Unvol-
lendung zu entdecken, die Sucht, mehr durch
ſeine Gedanken zu glaͤnzen und zu erſchrecken,
als die Wahrheit und das letzte Beduͤrfniß der
Seele zu ſuchen. Er verachtet die uͤbrigen
Menſchen ſo wie ſich ſelbſt, ihm iſt daher
nichts in ſeinem Innern ehrwuͤrdig, er ſpielt
mit den Menſchen nur ſo wie mit ſeinen
Gedanken, er iſt nichts als ein gefaͤhrlicher
philoſophiſcher Charlatan, bey dem ein witzi-
ger Einfall und ein ſcharfſinniger und gro-
ßer Gedanke einerlei iſt, der ſich ſelbſt bis auf
den Grund zu kennen glaubt, indem er nur ſeine
Faͤhigkeiten und Anlagen bemerkt hat. Er iſt,
wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, die Skitze
zu einer kolloſſaliſchen Figur, aber die Vollen-
dung, die Vertheilung des Lichtes und Schat-
tens fehlt ihm gaͤnzlich.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0175" n="168"/>
ge ewig in einem ermu&#x0364;denden Gleichgewichte<lb/>
&#x017F;teht? Sollte un&#x017F;er Gei&#x017F;t nur immer die Reihe<lb/>
von Gedanken wie bunte Bilder mu&#x017F;tern, ohne<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in einem einzigen zu erkennen?</p><lb/>
          <p>Als die Zeit voru&#x0364;ber war, in der mich<lb/>
meine Eitelkeit vorzu&#x0364;glich an Andrea knu&#x0364;pfte,<lb/>
glaubte ich doch in ihm &#x017F;elb&#x017F;t eine gewi&#x017F;&#x017F;e Unvol-<lb/>
lendung zu entdecken, die Sucht, mehr durch<lb/>
&#x017F;eine Gedanken zu gla&#x0364;nzen und zu er&#x017F;chrecken,<lb/>
als die Wahrheit und das letzte Bedu&#x0364;rfniß der<lb/>
Seele zu &#x017F;uchen. Er verachtet die u&#x0364;brigen<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;o wie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, ihm i&#x017F;t daher<lb/>
nichts in &#x017F;einem Innern ehrwu&#x0364;rdig, er &#x017F;pielt<lb/>
mit den Men&#x017F;chen nur &#x017F;o wie mit &#x017F;einen<lb/>
Gedanken, er i&#x017F;t nichts als ein gefa&#x0364;hrlicher<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;cher Charlatan, bey dem ein witzi-<lb/>
ger Einfall und ein &#x017F;charf&#x017F;inniger und gro-<lb/>
ßer Gedanke einerlei i&#x017F;t, der &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bis auf<lb/>
den Grund zu kennen glaubt, indem er nur &#x017F;eine<lb/>
Fa&#x0364;higkeiten und Anlagen bemerkt hat. Er i&#x017F;t,<lb/>
wenn ich mich &#x017F;o ausdru&#x0364;cken darf, die Skitze<lb/>
zu einer kollo&#x017F;&#x017F;ali&#x017F;chen Figur, aber die Vollen-<lb/>
dung, die Vertheilung des Lichtes und Schat-<lb/>
tens fehlt ihm ga&#x0364;nzlich.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0175] ge ewig in einem ermuͤdenden Gleichgewichte ſteht? Sollte unſer Geiſt nur immer die Reihe von Gedanken wie bunte Bilder muſtern, ohne ſich ſelbſt in einem einzigen zu erkennen? Als die Zeit voruͤber war, in der mich meine Eitelkeit vorzuͤglich an Andrea knuͤpfte, glaubte ich doch in ihm ſelbſt eine gewiſſe Unvol- lendung zu entdecken, die Sucht, mehr durch ſeine Gedanken zu glaͤnzen und zu erſchrecken, als die Wahrheit und das letzte Beduͤrfniß der Seele zu ſuchen. Er verachtet die uͤbrigen Menſchen ſo wie ſich ſelbſt, ihm iſt daher nichts in ſeinem Innern ehrwuͤrdig, er ſpielt mit den Menſchen nur ſo wie mit ſeinen Gedanken, er iſt nichts als ein gefaͤhrlicher philoſophiſcher Charlatan, bey dem ein witzi- ger Einfall und ein ſcharfſinniger und gro- ßer Gedanke einerlei iſt, der ſich ſelbſt bis auf den Grund zu kennen glaubt, indem er nur ſeine Faͤhigkeiten und Anlagen bemerkt hat. Er iſt, wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf, die Skitze zu einer kolloſſaliſchen Figur, aber die Vollen- dung, die Vertheilung des Lichtes und Schat- tens fehlt ihm gaͤnzlich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/175
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/175>, abgerufen am 06.05.2024.