ist, sie hat als Witwe das Ansehn des liebens[-] würdigsten Mädchens und sie würde noch ge- fährlicher seyn, wenn sich die Koquette in ihr nicht bald verriethe. -- Der alte Graf ist noch ganz der Mann, der er ehedem war, er gehört zu denen Leuten, die wenn sie sich ändern sollen, nothwendig verliehren müssen, das heißt: sie sind auf einen gewissen Punkt der Ausbildung gekommen, über den sie ihre ganze Lebenszeit hindurch nicht wegschreiten, sie sind mit ihrem Verstande und allen ihren Begriffen glücklich in den Hafen eingelaufen und wagen nun um Alles keine zweite Fahrt. Sein Haus ist noch immer so angenehm, wie vormahls, er versammelt gern witzige Köpfe, schöne Geister, Gelehrte und Po- litiker um sich her; aus mehreren Strahlen wird doch endlich ein Schein und dadurch wür- de ihn mancher von unsern Doktoren auf ein ganzes Vierteljahr für einen sehr gescheidten Mann halten. -- Dort hab' ich auch einen Ita- liäner Rosa kennen lernen, dessen genauere Be- kanntschaft ich suchen werde. Ich kenne wenige so feine Gesichter; ein sprechendes Auge, das jede seiner Behauptungen begleitet und sie gleich- sam deutlicher macht; einen Mund, gleich schnell
iſt, ſie hat als Witwe das Anſehn des liebens[-] wuͤrdigſten Maͤdchens und ſie wuͤrde noch ge- faͤhrlicher ſeyn, wenn ſich die Koquette in ihr nicht bald verriethe. — Der alte Graf iſt noch ganz der Mann, der er ehedem war, er gehoͤrt zu denen Leuten, die wenn ſie ſich aͤndern ſollen, nothwendig verliehren muͤſſen, das heißt: ſie ſind auf einen gewiſſen Punkt der Ausbildung gekommen, uͤber den ſie ihre ganze Lebenszeit hindurch nicht wegſchreiten, ſie ſind mit ihrem Verſtande und allen ihren Begriffen gluͤcklich in den Hafen eingelaufen und wagen nun um Alles keine zweite Fahrt. Sein Haus iſt noch immer ſo angenehm, wie vormahls, er verſammelt gern witzige Koͤpfe, ſchoͤne Geiſter, Gelehrte und Po- litiker um ſich her; aus mehreren Strahlen wird doch endlich ein Schein und dadurch wuͤr- de ihn mancher von unſern Doktoren auf ein ganzes Vierteljahr fuͤr einen ſehr geſcheidten Mann halten. — Dort hab’ ich auch einen Ita- liaͤner Roſa kennen lernen, deſſen genauere Be- kanntſchaft ich ſuchen werde. Ich kenne wenige ſo feine Geſichter; ein ſprechendes Auge, das jede ſeiner Behauptungen begleitet und ſie gleich- ſam deutlicher macht; einen Mund, gleich ſchnell
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[78[76]/0086]
iſt, ſie hat als Witwe das Anſehn des liebens-
wuͤrdigſten Maͤdchens und ſie wuͤrde noch ge-
faͤhrlicher ſeyn, wenn ſich die Koquette in ihr
nicht bald verriethe. — Der alte Graf iſt noch
ganz der Mann, der er ehedem war, er gehoͤrt
zu denen Leuten, die wenn ſie ſich aͤndern ſollen,
nothwendig verliehren muͤſſen, das heißt: ſie
ſind auf einen gewiſſen Punkt der Ausbildung
gekommen, uͤber den ſie ihre ganze Lebenszeit
hindurch nicht wegſchreiten, ſie ſind mit ihrem
Verſtande und allen ihren Begriffen gluͤcklich in
den Hafen eingelaufen und wagen nun um Alles
keine zweite Fahrt. Sein Haus iſt noch immer
ſo angenehm, wie vormahls, er verſammelt gern
witzige Koͤpfe, ſchoͤne Geiſter, Gelehrte und Po-
litiker um ſich her; aus mehreren Strahlen
wird doch endlich ein Schein und dadurch wuͤr-
de ihn mancher von unſern Doktoren auf ein
ganzes Vierteljahr fuͤr einen ſehr geſcheidten
Mann halten. — Dort hab’ ich auch einen Ita-
liaͤner Roſa kennen lernen, deſſen genauere Be-
kanntſchaft ich ſuchen werde. Ich kenne wenige
ſo feine Geſichter; ein ſprechendes Auge, das
jede ſeiner Behauptungen begleitet und ſie gleich-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 78[76]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/86>, abgerufen am 22.11.2024.
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