Nein, Rosa, Ihre Ideen sind dem Freunde nicht unverständlich. Ist es nicht endlich ein- mahl Zeit, daß ich Sie und Ihre Meinung ganz fasse?
Freilich kann alles, was ich außer mir wahr- zunehmen glaube, nur in mir selber existiren. Meine äussern Sinne modificiren die Erschei- nungen, und mein innerer Sinn ordnet sie und giebt ihnen Zusammenhang. Dieser innere Sinn gleicht einem künstlich geschliffenen Spiegel, der zerstreute und unkenntliche Formen in ein geordnetes Gemählde zusammenzieht.
Geh ich nicht wie ein Nachtwandler, der mit offenen Augen blind ist, durch dies Leben? Alles, was mir entgegen kommt, ist nur ein Phantom meiner innern Einbildung, meines inner- sten Geistes, der durch undurchdringliche Schran- ken von der äußern Welt zurückgehalten wird. Wüst und chaotisch liegt alles umher, unkennt- lich und ohne Form für ein Wesen, dessen Kör-
per
26. William Lovell an Roſa.
Rom.
Nein, Roſa, Ihre Ideen ſind dem Freunde nicht unverſtaͤndlich. Iſt es nicht endlich ein- mahl Zeit, daß ich Sie und Ihre Meinung ganz faſſe?
Freilich kann alles, was ich außer mir wahr- zunehmen glaube, nur in mir ſelber exiſtiren. Meine aͤuſſern Sinne modificiren die Erſchei- nungen, und mein innerer Sinn ordnet ſie und giebt ihnen Zuſammenhang. Dieſer innere Sinn gleicht einem kuͤnſtlich geſchliffenen Spiegel, der zerſtreute und unkenntliche Formen in ein geordnetes Gemaͤhlde zuſammenzieht.
Geh ich nicht wie ein Nachtwandler, der mit offenen Augen blind iſt, durch dies Leben? Alles, was mir entgegen kommt, iſt nur ein Phantom meiner innern Einbildung, meines inner- ſten Geiſtes, der durch undurchdringliche Schran- ken von der aͤußern Welt zuruͤckgehalten wird. Wuͤſt und chaotiſch liegt alles umher, unkennt- lich und ohne Form fuͤr ein Weſen, deſſen Koͤr-
per
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0328"n="320[318]"/><divn="2"><head>26.<lb/>
William Lovell an Roſa.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Rom.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">N</hi>ein, Roſa, Ihre Ideen ſind dem Freunde<lb/>
nicht unverſtaͤndlich. Iſt es nicht endlich ein-<lb/>
mahl Zeit, daß ich Sie und Ihre Meinung<lb/>
ganz faſſe?</p><lb/><p>Freilich kann alles, was ich außer mir wahr-<lb/>
zunehmen glaube, nur in mir ſelber exiſtiren.<lb/>
Meine aͤuſſern Sinne modificiren die Erſchei-<lb/>
nungen, und mein innerer Sinn ordnet ſie und<lb/>
giebt ihnen Zuſammenhang. Dieſer innere Sinn<lb/>
gleicht einem kuͤnſtlich geſchliffenen Spiegel,<lb/>
der zerſtreute und unkenntliche Formen in ein<lb/>
geordnetes Gemaͤhlde zuſammenzieht.</p><lb/><p>Geh ich nicht wie ein Nachtwandler, der<lb/>
mit offenen Augen blind iſt, durch dies Leben?<lb/>
Alles, was mir entgegen kommt, iſt nur ein<lb/>
Phantom meiner innern Einbildung, meines inner-<lb/>ſten Geiſtes, der durch undurchdringliche Schran-<lb/>
ken von der aͤußern Welt zuruͤckgehalten wird.<lb/>
Wuͤſt und chaotiſch liegt alles umher, unkennt-<lb/>
lich und ohne Form fuͤr ein Weſen, deſſen Koͤr-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">per</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[320[318]/0328]
26.
William Lovell an Roſa.
Rom.
Nein, Roſa, Ihre Ideen ſind dem Freunde
nicht unverſtaͤndlich. Iſt es nicht endlich ein-
mahl Zeit, daß ich Sie und Ihre Meinung
ganz faſſe?
Freilich kann alles, was ich außer mir wahr-
zunehmen glaube, nur in mir ſelber exiſtiren.
Meine aͤuſſern Sinne modificiren die Erſchei-
nungen, und mein innerer Sinn ordnet ſie und
giebt ihnen Zuſammenhang. Dieſer innere Sinn
gleicht einem kuͤnſtlich geſchliffenen Spiegel,
der zerſtreute und unkenntliche Formen in ein
geordnetes Gemaͤhlde zuſammenzieht.
Geh ich nicht wie ein Nachtwandler, der
mit offenen Augen blind iſt, durch dies Leben?
Alles, was mir entgegen kommt, iſt nur ein
Phantom meiner innern Einbildung, meines inner-
ſten Geiſtes, der durch undurchdringliche Schran-
ken von der aͤußern Welt zuruͤckgehalten wird.
Wuͤſt und chaotiſch liegt alles umher, unkennt-
lich und ohne Form fuͤr ein Weſen, deſſen Koͤr-
per
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 320[318]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/328>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.