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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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24.
William Lovell an Rosa.


Balder hat mir geschrieben und ein merkwür-
diges Beispiel gegeben, wie weit ein Mensch
sich verirren könne, wenn er einer kranken Phan-
tasie die Zügel seiner selbst überläßt. Von
Phantomen seiner Einbildungskraft erschreckt,
von einer Krankheit gelähmt, ist er izt im Be-
griffe, an seiner eigenen Existenz zu zweifeln; der
sonderbarste und widersinnigste Widerspruch, den
sich ein moralisches Wesen nur erlauben darf.

Aber ich kenne den Gang, den die Phanta-
sie bei Balder genommen hat; auch ich war
einst dieser unglückseeligen Stimmung nahe.
Wenn es noch irgend möglich ist, Rosa, so su-
chen Sie ihn zu heilen, söhnen Sie ihn mit
dem Leben wieder aus und schieben Sie ihm
statt des ernsten Schakspear den jugendlichen
Petrarcha, oder den muthwilligen Boccaz un-
ter; die Farben sind von dem Gemählde abge-

24.
William Lovell an Roſa.


Balder hat mir geſchrieben und ein merkwuͤr-
diges Beiſpiel gegeben, wie weit ein Menſch
ſich verirren koͤnne, wenn er einer kranken Phan-
taſie die Zuͤgel ſeiner ſelbſt uͤberlaͤßt. Von
Phantomen ſeiner Einbildungskraft erſchreckt,
von einer Krankheit gelaͤhmt, iſt er izt im Be-
griffe, an ſeiner eigenen Exiſtenz zu zweifeln; der
ſonderbarſte und widerſinnigſte Widerſpruch, den
ſich ein moraliſches Weſen nur erlauben darf.

Aber ich kenne den Gang, den die Phanta-
ſie bei Balder genommen hat; auch ich war
einſt dieſer ungluͤckſeeligen Stimmung nahe.
Wenn es noch irgend moͤglich iſt, Roſa, ſo ſu-
chen Sie ihn zu heilen, ſoͤhnen Sie ihn mit
dem Leben wieder aus und ſchieben Sie ihm
ſtatt des ernſten Schakſpear den jugendlichen
Petrarcha, oder den muthwilligen Boccaz un-
ter; die Farben ſind von dem Gemaͤhlde abge-

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[313[311]/0321] 24. William Lovell an Roſa. Rom. Balder hat mir geſchrieben und ein merkwuͤr- diges Beiſpiel gegeben, wie weit ein Menſch ſich verirren koͤnne, wenn er einer kranken Phan- taſie die Zuͤgel ſeiner ſelbſt uͤberlaͤßt. Von Phantomen ſeiner Einbildungskraft erſchreckt, von einer Krankheit gelaͤhmt, iſt er izt im Be- griffe, an ſeiner eigenen Exiſtenz zu zweifeln; der ſonderbarſte und widerſinnigſte Widerſpruch, den ſich ein moraliſches Weſen nur erlauben darf. Aber ich kenne den Gang, den die Phanta- ſie bei Balder genommen hat; auch ich war einſt dieſer ungluͤckſeeligen Stimmung nahe. Wenn es noch irgend moͤglich iſt, Roſa, ſo ſu- chen Sie ihn zu heilen, ſoͤhnen Sie ihn mit dem Leben wieder aus und ſchieben Sie ihm ſtatt des ernſten Schakſpear den jugendlichen Petrarcha, oder den muthwilligen Boccaz un- ter; die Farben ſind von dem Gemaͤhlde abge-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 313[311]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/321>, abgerufen am 25.11.2024.