Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sprang er aus dem Bette; mit einem entsetzli-
chen Tone rief er aus: Heiliger Gott,
Zwei Todtenköpfe! Was wollt ihr
von mir
?

Balder hielt hier inne. -- Ich muß gestehn,
der unerwartete Schluß der Erzählung hatte
mich frappirt, und beschäftigte izt meine Phan-
tasie, ich war nur noch begierig, welche Anwen-
dung er daraus auf seine vorigen Ideen ziehen
wollte; nach einigem Stillschweigen fuhr er
fort:

Jeder Denker, der über jene großen Gegen-
stände forschen will, die ihm am wichtigsten
sind, über Unsterblichkeit, Gott und Ewigkeit,
über Geister und den Stoff und Endzweck der
Welt, fühlt sich wie mit eisernen Banden von
seinem Ziele zurückgerissen, die menschliche See-
le zittert scheu vor der schwarzen Tafel zurück,
auf der die ewigen Wahrheiten darüber geschrie-
ben stehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kräf-
te aufbietet, so fühlt sie endlich, wie sie fürch-
terlich auf einer schmalen Spitze schwankt und
im Begriffe ist, in das Gebiet des Wahnsinns
zu stürzen. Um sich zu retten wirft sich der er-
schrockene Mensch wieder zur Erde, -- aber we-

ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli-
chen Tone rief er aus: Heiliger Gott,
Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr
von mir
?

Balder hielt hier inne. — Ich muß geſtehn,
der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte
mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan-
taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen-
dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen
wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er
fort:

Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen-
ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten
ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit,
uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der
Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von
ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See-
le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck,
auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie-
ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf-
te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch-
terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und
im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns
zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er-
ſchrockene Menſch wieder zur Erde, — aber we-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0282" n="274[272]"/>
&#x017F;prang er aus dem Bette; mit einem ent&#x017F;etzli-<lb/>
chen Tone rief er aus: <hi rendition="#g">Heiliger Gott,<lb/>
Zwei Todtenko&#x0364;pfe! Was wollt ihr<lb/>
von mir</hi>?</p><lb/>
          <p>Balder hielt hier inne. &#x2014; Ich muß ge&#x017F;tehn,<lb/>
der unerwartete Schluß der Erza&#x0364;hlung hatte<lb/>
mich frappirt, und be&#x017F;cha&#x0364;ftigte izt meine Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie, ich war nur noch begierig, welche Anwen-<lb/>
dung er daraus auf &#x017F;eine vorigen Ideen ziehen<lb/>
wollte; nach einigem Still&#x017F;chweigen fuhr er<lb/>
fort:</p><lb/>
          <p>Jeder Denker, der u&#x0364;ber jene großen Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde for&#x017F;chen will, die ihm am wichtig&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;ind, u&#x0364;ber Un&#x017F;terblichkeit, Gott und Ewigkeit,<lb/>
u&#x0364;ber Gei&#x017F;ter und den Stoff und Endzweck der<lb/>
Welt, fu&#x0364;hlt &#x017F;ich wie mit ei&#x017F;ernen Banden von<lb/>
&#x017F;einem Ziele zuru&#x0364;ckgeri&#x017F;&#x017F;en, die men&#x017F;chliche See-<lb/>
le zittert &#x017F;cheu vor der &#x017F;chwarzen Tafel zuru&#x0364;ck,<lb/>
auf der die ewigen Wahrheiten daru&#x0364;ber ge&#x017F;chrie-<lb/>
ben &#x017F;tehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kra&#x0364;f-<lb/>
te aufbietet, &#x017F;o fu&#x0364;hlt &#x017F;ie endlich, wie &#x017F;ie fu&#x0364;rch-<lb/>
terlich auf einer &#x017F;chmalen Spitze &#x017F;chwankt und<lb/>
im Begriffe i&#x017F;t, in das Gebiet des Wahn&#x017F;inns<lb/>
zu &#x017F;tu&#x0364;rzen. Um &#x017F;ich zu retten wirft &#x017F;ich der er-<lb/>
&#x017F;chrockene Men&#x017F;ch wieder zur Erde, &#x2014; aber we-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[274[272]/0282] ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli- chen Tone rief er aus: Heiliger Gott, Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr von mir? Balder hielt hier inne. — Ich muß geſtehn, der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan- taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen- dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er fort: Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen- ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit, uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See- le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck, auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie- ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf- te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch- terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er- ſchrockene Menſch wieder zur Erde, — aber we-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/282
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 274[272]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/282>, abgerufen am 10.05.2024.