Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

quaal, die zu den ausgesuchtesten und raffinirte-
sten gehört, etwas recht lebhaft zu wünschen,
und doch die Erfüllung seines Wunsches nicht
gern sehn zu dürfen. Denn wenn Emilie mich
liebt, muß sie sich nothwendig unglücklich füh-
len, ich reise bald fort, ihr Vater projektirt
wahrscheinlich eine reiche Heirath, -- ach, was
weiß ich alles, wie viele hundert Umstände sich
miteinander verschwören können, um einem gu-
ten frohen Menschen die Freuden seines Lebens
zu verbittern? -- Ich mag gar nicht lebhaft
daran denken, so wenig wie an meine Abreise;
und doch hab' ich sie in wenigen Tagen fest-
gesetzt.

Wenn man etwas mit sich selber vertraut
ist, so muß man sehr oft über sich lächeln.
Man nimmt sich manchmahl sehr ernsthaft zu-
sammen; mit aller Gravität setzt sich der Ver-
stand in seinen Großvaterstuhl und versammelt
alle Leidenschaften und Launen um sich her und
hält ihnen eine gesetzte und ernsthafte Rede als-
denn folgendermaaßen: -- "Hört, meine Kin-
"der, ihr werdet es wahrscheinlich alle wissen,
"wie das Wesen, welches Mensch heißt, von
"uns in Gesellschaft bewohnt und abwechselnd

quaal, die zu den ausgeſuchteſten und raffinirte-
ſten gehoͤrt, etwas recht lebhaft zu wuͤnſchen,
und doch die Erfuͤllung ſeines Wunſches nicht
gern ſehn zu duͤrfen. Denn wenn Emilie mich
liebt, muß ſie ſich nothwendig ungluͤcklich fuͤh-
len, ich reiſe bald fort, ihr Vater projektirt
wahrſcheinlich eine reiche Heirath, — ach, was
weiß ich alles, wie viele hundert Umſtaͤnde ſich
miteinander verſchwoͤren koͤnnen, um einem gu-
ten frohen Menſchen die Freuden ſeines Lebens
zu verbittern? — Ich mag gar nicht lebhaft
daran denken, ſo wenig wie an meine Abreiſe;
und doch hab’ ich ſie in wenigen Tagen feſt-
geſetzt.

Wenn man etwas mit ſich ſelber vertraut
iſt, ſo muß man ſehr oft uͤber ſich laͤcheln.
Man nimmt ſich manchmahl ſehr ernſthaft zu-
ſammen; mit aller Gravitaͤt ſetzt ſich der Ver-
ſtand in ſeinen Großvaterſtuhl und verſammelt
alle Leidenſchaften und Launen um ſich her und
haͤlt ihnen eine geſetzte und ernſthafte Rede als-
denn folgendermaaßen: — »Hoͤrt, meine Kin-
»der, ihr werdet es wahrſcheinlich alle wiſſen,
»wie das Weſen, welches Menſch heißt, von
»uns in Geſellſchaft bewohnt und abwechſelnd

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="202[200]"/>
quaal, die zu den <choice><sic>ausge&#x017F;uchte&#x017F;teu</sic><corr>ausge&#x017F;uchte&#x017F;ten</corr></choice> und raffinirte-<lb/>
&#x017F;ten geho&#x0364;rt, etwas recht lebhaft zu wu&#x0364;n&#x017F;chen,<lb/>
und doch die Erfu&#x0364;llung &#x017F;eines Wun&#x017F;ches nicht<lb/>
gern &#x017F;ehn zu du&#x0364;rfen. Denn wenn Emilie mich<lb/>
liebt, muß &#x017F;ie &#x017F;ich nothwendig unglu&#x0364;cklich fu&#x0364;h-<lb/>
len, ich rei&#x017F;e bald fort, ihr Vater projektirt<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich eine reiche Heirath, &#x2014; ach, was<lb/>
weiß ich alles, wie viele hundert Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;ich<lb/>
miteinander ver&#x017F;chwo&#x0364;ren ko&#x0364;nnen, um einem gu-<lb/>
ten frohen Men&#x017F;chen die Freuden &#x017F;eines Lebens<lb/>
zu verbittern? &#x2014; Ich mag gar nicht lebhaft<lb/>
daran denken, &#x017F;o wenig wie an meine Abrei&#x017F;e;<lb/>
und doch hab&#x2019; ich &#x017F;ie in wenigen Tagen fe&#x017F;t-<lb/>
ge&#x017F;etzt.</p><lb/>
          <p>Wenn man etwas mit &#x017F;ich &#x017F;elber vertraut<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o muß man &#x017F;ehr oft u&#x0364;ber &#x017F;ich la&#x0364;cheln.<lb/>
Man nimmt &#x017F;ich manchmahl &#x017F;ehr ern&#x017F;thaft zu-<lb/>
&#x017F;ammen; mit aller Gravita&#x0364;t &#x017F;etzt &#x017F;ich der Ver-<lb/>
&#x017F;tand in &#x017F;einen Großvater&#x017F;tuhl und ver&#x017F;ammelt<lb/>
alle Leiden&#x017F;chaften und Launen um &#x017F;ich her und<lb/>
ha&#x0364;lt ihnen eine ge&#x017F;etzte und ern&#x017F;thafte Rede als-<lb/>
denn folgendermaaßen: &#x2014; »Ho&#x0364;rt, meine Kin-<lb/>
»der, ihr werdet es wahr&#x017F;cheinlich alle wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
»wie das We&#x017F;en, welches Men&#x017F;ch heißt, von<lb/>
»uns in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft bewohnt und abwech&#x017F;elnd<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202[200]/0210] quaal, die zu den ausgeſuchteſten und raffinirte- ſten gehoͤrt, etwas recht lebhaft zu wuͤnſchen, und doch die Erfuͤllung ſeines Wunſches nicht gern ſehn zu duͤrfen. Denn wenn Emilie mich liebt, muß ſie ſich nothwendig ungluͤcklich fuͤh- len, ich reiſe bald fort, ihr Vater projektirt wahrſcheinlich eine reiche Heirath, — ach, was weiß ich alles, wie viele hundert Umſtaͤnde ſich miteinander verſchwoͤren koͤnnen, um einem gu- ten frohen Menſchen die Freuden ſeines Lebens zu verbittern? — Ich mag gar nicht lebhaft daran denken, ſo wenig wie an meine Abreiſe; und doch hab’ ich ſie in wenigen Tagen feſt- geſetzt. Wenn man etwas mit ſich ſelber vertraut iſt, ſo muß man ſehr oft uͤber ſich laͤcheln. Man nimmt ſich manchmahl ſehr ernſthaft zu- ſammen; mit aller Gravitaͤt ſetzt ſich der Ver- ſtand in ſeinen Großvaterſtuhl und verſammelt alle Leidenſchaften und Launen um ſich her und haͤlt ihnen eine geſetzte und ernſthafte Rede als- denn folgendermaaßen: — »Hoͤrt, meine Kin- »der, ihr werdet es wahrſcheinlich alle wiſſen, »wie das Weſen, welches Menſch heißt, von »uns in Geſellſchaft bewohnt und abwechſelnd

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/210
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 202[200]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/210>, abgerufen am 24.11.2024.