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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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quaal, die zu den ausgesuchtesten und raffinirte-
sten gehört, etwas recht lebhaft zu wünschen,
und doch die Erfüllung seines Wunsches nicht
gern sehn zu dürfen. Denn wenn Emilie mich
liebt, muß sie sich nothwendig unglücklich füh-
len, ich reise bald fort, ihr Vater projektirt
wahrscheinlich eine reiche Heirath, -- ach, was
weiß ich alles, wie viele hundert Umstände sich
miteinander verschwören können, um einem gu-
ten frohen Menschen die Freuden seines Lebens
zu verbittern? -- Ich mag gar nicht lebhaft
daran denken, so wenig wie an meine Abreise;
und doch hab' ich sie in wenigen Tagen fest-
gesetzt.

Wenn man etwas mit sich selber vertraut
ist, so muß man sehr oft über sich lächeln.
Man nimmt sich manchmahl sehr ernsthaft zu-
sammen; mit aller Gravität setzt sich der Ver-
stand in seinen Großvaterstuhl und versammelt
alle Leidenschaften und Launen um sich her und
hält ihnen eine gesetzte und ernsthafte Rede als-
denn folgendermaaßen: -- "Hört, meine Kin-
"der, ihr werdet es wahrscheinlich alle wissen,
"wie das Wesen, welches Mensch heißt, von
"uns in Gesellschaft bewohnt und abwechselnd

quaal, die zu den ausgeſuchteſten und raffinirte-
ſten gehoͤrt, etwas recht lebhaft zu wuͤnſchen,
und doch die Erfuͤllung ſeines Wunſches nicht
gern ſehn zu duͤrfen. Denn wenn Emilie mich
liebt, muß ſie ſich nothwendig ungluͤcklich fuͤh-
len, ich reiſe bald fort, ihr Vater projektirt
wahrſcheinlich eine reiche Heirath, — ach, was
weiß ich alles, wie viele hundert Umſtaͤnde ſich
miteinander verſchwoͤren koͤnnen, um einem gu-
ten frohen Menſchen die Freuden ſeines Lebens
zu verbittern? — Ich mag gar nicht lebhaft
daran denken, ſo wenig wie an meine Abreiſe;
und doch hab’ ich ſie in wenigen Tagen feſt-
geſetzt.

Wenn man etwas mit ſich ſelber vertraut
iſt, ſo muß man ſehr oft uͤber ſich laͤcheln.
Man nimmt ſich manchmahl ſehr ernſthaft zu-
ſammen; mit aller Gravitaͤt ſetzt ſich der Ver-
ſtand in ſeinen Großvaterſtuhl und verſammelt
alle Leidenſchaften und Launen um ſich her und
haͤlt ihnen eine geſetzte und ernſthafte Rede als-
denn folgendermaaßen: — »Hoͤrt, meine Kin-
»der, ihr werdet es wahrſcheinlich alle wiſſen,
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[202[200]/0210] quaal, die zu den ausgeſuchteſten und raffinirte- ſten gehoͤrt, etwas recht lebhaft zu wuͤnſchen, und doch die Erfuͤllung ſeines Wunſches nicht gern ſehn zu duͤrfen. Denn wenn Emilie mich liebt, muß ſie ſich nothwendig ungluͤcklich fuͤh- len, ich reiſe bald fort, ihr Vater projektirt wahrſcheinlich eine reiche Heirath, — ach, was weiß ich alles, wie viele hundert Umſtaͤnde ſich miteinander verſchwoͤren koͤnnen, um einem gu- ten frohen Menſchen die Freuden ſeines Lebens zu verbittern? — Ich mag gar nicht lebhaft daran denken, ſo wenig wie an meine Abreiſe; und doch hab’ ich ſie in wenigen Tagen feſt- geſetzt. Wenn man etwas mit ſich ſelber vertraut iſt, ſo muß man ſehr oft uͤber ſich laͤcheln. Man nimmt ſich manchmahl ſehr ernſthaft zu- ſammen; mit aller Gravitaͤt ſetzt ſich der Ver- ſtand in ſeinen Großvaterſtuhl und verſammelt alle Leidenſchaften und Launen um ſich her und haͤlt ihnen eine geſetzte und ernſthafte Rede als- denn folgendermaaßen: — »Hoͤrt, meine Kin- »der, ihr werdet es wahrſcheinlich alle wiſſen, »wie das Weſen, welches Menſch heißt, von »uns in Geſellſchaft bewohnt und abwechſelnd

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 202[200]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/210>, abgerufen am 02.05.2024.