Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der Eröffnung des Testamentes alles ohne Pro-
zeß entwickeln werde.

Wenn meine Bitten etwas über Dich ver-
mögen, so komm nach London und leiste mir
wenigstens einige Wochen über Gesellschaft. Ich
bin so trübsinnig, daß Du mich kaum wieder-
erkennen wirst, meine gute Laune kann nur durch
einen Freund wieder geweckt werden, der mich
so genau kennt, wie Du. -- Verlaß einmahl
Bonstreet und erbarme Dich einer armen, ver-
lassenen Seele die Deiner so sehr bedarf, ich
möchte oft zu Lovell zurückreisen, um mich in
Italien zu zerstreuen: aber ich bin auch des
Herumwanderns so müde, daß es mir ordent-
lich wohl thut, die Thürme und Häuser meiner
Geburtsstadt einmahl wieder so dicht vor mir
zu haben.

Der alte Lovell, den ich itzt mehrmahls be-
sucht habe, gehört zu den schätzbarsten Leuten,
die ich je habe kennen lernen. Ohne die Prä-
tension, die bei vielen Gelehrten von Profession
eben so lästig als lächerlich ist, verbindet er
eine große Menge von Kenntnissen mit eben so
vielen Erfahrungen und einem sehr ausgebilde-
ten Verstande. Er empfindet eben so fein als

der Eroͤffnung des Teſtamentes alles ohne Pro-
zeß entwickeln werde.

Wenn meine Bitten etwas uͤber Dich ver-
moͤgen, ſo komm nach London und leiſte mir
wenigſtens einige Wochen uͤber Geſellſchaft. Ich
bin ſo truͤbſinnig, daß Du mich kaum wieder-
erkennen wirſt, meine gute Laune kann nur durch
einen Freund wieder geweckt werden, der mich
ſo genau kennt, wie Du. — Verlaß einmahl
Bonſtreet und erbarme Dich einer armen, ver-
laſſenen Seele die Deiner ſo ſehr bedarf, ich
moͤchte oft zu Lovell zuruͤckreiſen, um mich in
Italien zu zerſtreuen: aber ich bin auch des
Herumwanderns ſo muͤde, daß es mir ordent-
lich wohl thut, die Thuͤrme und Haͤuſer meiner
Geburtsſtadt einmahl wieder ſo dicht vor mir
zu haben.

Der alte Lovell, den ich itzt mehrmahls be-
ſucht habe, gehoͤrt zu den ſchaͤtzbarſten Leuten,
die ich je habe kennen lernen. Ohne die Praͤ-
tenſion, die bei vielen Gelehrten von Profeſſion
eben ſo laͤſtig als laͤcherlich iſt, verbindet er
eine große Menge von Kenntniſſen mit eben ſo
vielen Erfahrungen und einem ſehr ausgebilde-
ten Verſtande. Er empfindet eben ſo fein als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="197[195]"/>
der Ero&#x0364;ffnung des Te&#x017F;tamentes alles ohne Pro-<lb/>
zeß entwickeln werde.</p><lb/>
          <p>Wenn meine Bitten etwas u&#x0364;ber Dich ver-<lb/>
mo&#x0364;gen, &#x017F;o komm nach London und lei&#x017F;te mir<lb/>
wenig&#x017F;tens einige Wochen u&#x0364;ber Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Ich<lb/>
bin &#x017F;o tru&#x0364;b&#x017F;innig, daß Du mich kaum wieder-<lb/>
erkennen wir&#x017F;t, meine gute Laune kann nur durch<lb/>
einen Freund wieder geweckt werden, der mich<lb/>
&#x017F;o genau kennt, wie Du. &#x2014; Verlaß einmahl<lb/>
Bon&#x017F;treet und erbarme Dich einer armen, ver-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;enen Seele die Deiner &#x017F;o &#x017F;ehr bedarf, ich<lb/>
mo&#x0364;chte oft zu Lovell zuru&#x0364;ckrei&#x017F;en, um mich in<lb/>
Italien zu zer&#x017F;treuen: aber ich bin auch des<lb/>
Herumwanderns &#x017F;o mu&#x0364;de, daß es mir ordent-<lb/>
lich wohl thut, die Thu&#x0364;rme und Ha&#x0364;u&#x017F;er meiner<lb/>
Geburts&#x017F;tadt einmahl wieder &#x017F;o dicht vor mir<lb/>
zu haben.</p><lb/>
          <p>Der alte <hi rendition="#g">Lovell</hi>, den ich itzt mehrmahls be-<lb/>
&#x017F;ucht habe, geho&#x0364;rt zu den &#x017F;cha&#x0364;tzbar&#x017F;ten Leuten,<lb/>
die ich je habe kennen lernen. Ohne die Pra&#x0364;-<lb/>
ten&#x017F;ion, die bei vielen Gelehrten von Profe&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
eben &#x017F;o la&#x0364;&#x017F;tig als la&#x0364;cherlich i&#x017F;t, verbindet er<lb/>
eine große Menge von Kenntni&#x017F;&#x017F;en mit eben &#x017F;o<lb/>
vielen Erfahrungen und einem &#x017F;ehr ausgebilde-<lb/>
ten Ver&#x017F;tande. Er empfindet eben &#x017F;o fein als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197[195]/0205] der Eroͤffnung des Teſtamentes alles ohne Pro- zeß entwickeln werde. Wenn meine Bitten etwas uͤber Dich ver- moͤgen, ſo komm nach London und leiſte mir wenigſtens einige Wochen uͤber Geſellſchaft. Ich bin ſo truͤbſinnig, daß Du mich kaum wieder- erkennen wirſt, meine gute Laune kann nur durch einen Freund wieder geweckt werden, der mich ſo genau kennt, wie Du. — Verlaß einmahl Bonſtreet und erbarme Dich einer armen, ver- laſſenen Seele die Deiner ſo ſehr bedarf, ich moͤchte oft zu Lovell zuruͤckreiſen, um mich in Italien zu zerſtreuen: aber ich bin auch des Herumwanderns ſo muͤde, daß es mir ordent- lich wohl thut, die Thuͤrme und Haͤuſer meiner Geburtsſtadt einmahl wieder ſo dicht vor mir zu haben. Der alte Lovell, den ich itzt mehrmahls be- ſucht habe, gehoͤrt zu den ſchaͤtzbarſten Leuten, die ich je habe kennen lernen. Ohne die Praͤ- tenſion, die bei vielen Gelehrten von Profeſſion eben ſo laͤſtig als laͤcherlich iſt, verbindet er eine große Menge von Kenntniſſen mit eben ſo vielen Erfahrungen und einem ſehr ausgebilde- ten Verſtande. Er empfindet eben ſo fein als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/205
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 197[195]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/205>, abgerufen am 25.11.2024.