Wir haben endlich Paris verlassen und mir ist besser. Die Reise hieher hat mich wieder heiter gemacht, die schöne Natur hat die fin- stern Phantasien verscheucht, die mich marter- ten, ich denke wieder freudig an Dich und an Amalien, ich habe mit meiner Seele einen Frie- den geschlossen. -- Ach, Eduard, es ist eine traurige Bemerkung für mich, daß die gepriese- ne Stärke des Menschen so wenig Konsistenz hat; ohne Versuchung traut man sich die Kräfte eines Herkules zu, -- aber wie bald erliegt der Held im Kampfe. -- In Louisens Armen vergaß ich Dich und Amalien; erröthend schreibt es der Freund dem Freunde nieder, ja ich schämte mich des Andenkens an euch, weil es mich pei- nigte, ich suchte ihm zu entfliehen; -- aber ver- gebens. -- Doch kamen meine schönern Gefühle bald zu mir zurück, ich söhnte mich bald mit meinen theuersten Schätzen aus, der Rausch der Sinnlichkeit sank itzt zu jener Verächtlichkeit
Lovell, I. Bd. M
26. William Lovell an Eduard Burton.
Lyon.
Wir haben endlich Paris verlaſſen und mir iſt beſſer. Die Reiſe hieher hat mich wieder heiter gemacht, die ſchoͤne Natur hat die fin- ſtern Phantaſien verſcheucht, die mich marter- ten, ich denke wieder freudig an Dich und an Amalien, ich habe mit meiner Seele einen Frie- den geſchloſſen. — Ach, Eduard, es iſt eine traurige Bemerkung fuͤr mich, daß die geprieſe- ne Staͤrke des Menſchen ſo wenig Konſiſtenz hat; ohne Verſuchung traut man ſich die Kraͤfte eines Herkules zu, — aber wie bald erliegt der Held im Kampfe. — In Louiſens Armen vergaß ich Dich und Amalien; erroͤthend ſchreibt es der Freund dem Freunde nieder, ja ich ſchaͤmte mich des Andenkens an euch, weil es mich pei- nigte, ich ſuchte ihm zu entfliehen; — aber ver- gebens. — Doch kamen meine ſchoͤnern Gefuͤhle bald zu mir zuruͤck, ich ſoͤhnte mich bald mit meinen theuerſten Schaͤtzen aus, der Rauſch der Sinnlichkeit ſank itzt zu jener Veraͤchtlichkeit
Lovell, I. Bd. M
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[177[175]/0185]
26.
William Lovell an Eduard Burton.
Lyon.
Wir haben endlich Paris verlaſſen und mir
iſt beſſer. Die Reiſe hieher hat mich wieder
heiter gemacht, die ſchoͤne Natur hat die fin-
ſtern Phantaſien verſcheucht, die mich marter-
ten, ich denke wieder freudig an Dich und an
Amalien, ich habe mit meiner Seele einen Frie-
den geſchloſſen. — Ach, Eduard, es iſt eine
traurige Bemerkung fuͤr mich, daß die geprieſe-
ne Staͤrke des Menſchen ſo wenig Konſiſtenz
hat; ohne Verſuchung traut man ſich die Kraͤfte
eines Herkules zu, — aber wie bald erliegt der
Held im Kampfe. — In Louiſens Armen vergaß
ich Dich und Amalien; erroͤthend ſchreibt es
der Freund dem Freunde nieder, ja ich ſchaͤmte
mich des Andenkens an euch, weil es mich pei-
nigte, ich ſuchte ihm zu entfliehen; — aber ver-
gebens. — Doch kamen meine ſchoͤnern Gefuͤhle
bald zu mir zuruͤck, ich ſoͤhnte mich bald mit
meinen theuerſten Schaͤtzen aus, der Rauſch der
Sinnlichkeit ſank itzt zu jener Veraͤchtlichkeit
Lovell, I. Bd. M
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 177[175]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/185>, abgerufen am 24.11.2024.
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