Welche Ursache in der Welt kann es geben, daß ich Sie so lange nicht gesehn habe? -- Sie fangen ja an, so kalt gegen mich zu wer- den, wie es sich mein verstorbener Mann kaum erlaubte; wenn ich nun zur Strafe meine Nei- gung auf den jungen reizenden Engländer würfe und Sie völlig verabschiedete? -- oder sind Sie vielleicht gar schon eifersüchtig auf ihn? -- Wenn dies der Fall wäre, so würden Sie sich unnöthige Mühe machen, denn es scheint mir, als hielte eine langweilige Duegna von erster Liebe unerbittliche Wache vor seinem Herzen.
Der alte Graf Melun scheint irgend ei- nen Anschlag im Schilde zu führen, er hat vielleicht gar die Idee, mich von neuem zu einer Heyrath zu bereden, -- und zwar, -- so glaub' ich wenigstens, und Sie werden ge-
9. Louiſe Blainville an Roſa.
Paris.
Welche Urſache in der Welt kann es geben, daß ich Sie ſo lange nicht geſehn habe? — Sie fangen ja an, ſo kalt gegen mich zu wer- den, wie es ſich mein verſtorbener Mann kaum erlaubte; wenn ich nun zur Strafe meine Nei- gung auf den jungen reizenden Englaͤnder wuͤrfe und Sie voͤllig verabſchiedete? — oder ſind Sie vielleicht gar ſchon eiferſuͤchtig auf ihn? — Wenn dies der Fall waͤre, ſo wuͤrden Sie ſich unnoͤthige Muͤhe machen, denn es ſcheint mir, als hielte eine langweilige Duegna von erſter Liebe unerbittliche Wache vor ſeinem Herzen.
Der alte Graf Melun ſcheint irgend ei- nen Anſchlag im Schilde zu fuͤhren, er hat vielleicht gar die Idee, mich von neuem zu einer Heyrath zu bereden, — und zwar, — ſo glaub’ ich wenigſtens, und Sie werden ge-
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[117[115]/0125]
9.
Louiſe Blainville an Roſa.
Paris.
Welche Urſache in der Welt kann es geben,
daß ich Sie ſo lange nicht geſehn habe? —
Sie fangen ja an, ſo kalt gegen mich zu wer-
den, wie es ſich mein verſtorbener Mann kaum
erlaubte; wenn ich nun zur Strafe meine Nei-
gung auf den jungen reizenden Englaͤnder
wuͤrfe und Sie voͤllig verabſchiedete? — oder
ſind Sie vielleicht gar ſchon eiferſuͤchtig auf
ihn? — Wenn dies der Fall waͤre, ſo wuͤrden
Sie ſich unnoͤthige Muͤhe machen, denn es
ſcheint mir, als hielte eine langweilige Duegna
von erſter Liebe unerbittliche Wache vor ſeinem
Herzen.
Der alte Graf Melun ſcheint irgend ei-
nen Anſchlag im Schilde zu fuͤhren, er hat
vielleicht gar die Idee, mich von neuem zu
einer Heyrath zu bereden, — und zwar, —
ſo glaub’ ich wenigſtens, und Sie werden ge-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 117[115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/125>, abgerufen am 24.11.2024.
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