aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den fühlenden Menschen vom kalten, den Guten vom Unwürdigen unterscheiden willst, zu einer stillen innern Glut zurückgesunken ist: unbesonnen vertraust Du Dich dem nichtigen Enthusiasmus eines andern, und findest Dich endlich in einer dunkeln, einsamen Gruft verirrt, in der Du ängstlich nach der Oeffnung tappst. Charaktere wie Du können am leichtesten um die Freuden ihres Lebens betrogen werden, sie sind Maschi- nen in der Hand eines jeden Menschenkenners. -- In meiner Krankheit hab' ich mich in man- che Scenen meines Lebens zurückgeträumt; viel- leicht schick' ich Dir nächstens kleine Bruchstücke aus meiner Geschichte, vielleicht lernst Du aus Beispielen mehr, als aus den bloß hingestellten Resultaten meiner theuer erkauften Erfahrun- gen. Ich war oft einem allgemeinen Menschen- hasse nahe, allenthalben ward meine Liebe verra- then; Menschen, die ich für Pythias und Euryalus gehalten hatte, eröffneten mir plötz- lich einen Blick in ihr Innres, und ich sahe mit Schrecken elenden, verächtlichen Eigennutz auf demselben Throne sitzen, auf welchem ich Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war schon
aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den fuͤhlenden Menſchen vom kalten, den Guten vom Unwuͤrdigen unterſcheiden willſt, zu einer ſtillen innern Glut zuruͤckgeſunken iſt: unbeſonnen vertrauſt Du Dich dem nichtigen Enthuſiasmus eines andern, und findeſt Dich endlich in einer dunkeln, einſamen Gruft verirrt, in der Du aͤngſtlich nach der Oeffnung tappſt. Charaktere wie Du koͤnnen am leichteſten um die Freuden ihres Lebens betrogen werden, ſie ſind Maſchi- nen in der Hand eines jeden Menſchenkenners. — In meiner Krankheit hab’ ich mich in man- che Scenen meines Lebens zuruͤckgetraͤumt; viel- leicht ſchick’ ich Dir naͤchſtens kleine Bruchſtuͤcke aus meiner Geſchichte, vielleicht lernſt Du aus Beiſpielen mehr, als aus den bloß hingeſtellten Reſultaten meiner theuer erkauften Erfahrun- gen. Ich war oft einem allgemeinen Menſchen- haſſe nahe, allenthalben ward meine Liebe verra- then; Menſchen, die ich fuͤr Pythias und Euryalus gehalten hatte, eroͤffneten mir ploͤtz- lich einen Blick in ihr Innres, und ich ſahe mit Schrecken elenden, veraͤchtlichen Eigennutz auf demſelben Throne ſitzen, auf welchem ich Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war ſchon
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[114[112]/0122]
aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den
fuͤhlenden Menſchen vom kalten, den Guten vom
Unwuͤrdigen unterſcheiden willſt, zu einer ſtillen
innern Glut zuruͤckgeſunken iſt: unbeſonnen
vertrauſt Du Dich dem nichtigen Enthuſiasmus
eines andern, und findeſt Dich endlich in einer
dunkeln, einſamen Gruft verirrt, in der Du
aͤngſtlich nach der Oeffnung tappſt. Charaktere
wie Du koͤnnen am leichteſten um die Freuden
ihres Lebens betrogen werden, ſie ſind Maſchi-
nen in der Hand eines jeden Menſchenkenners.
— In meiner Krankheit hab’ ich mich in man-
che Scenen meines Lebens zuruͤckgetraͤumt; viel-
leicht ſchick’ ich Dir naͤchſtens kleine Bruchſtuͤcke
aus meiner Geſchichte, vielleicht lernſt Du aus
Beiſpielen mehr, als aus den bloß hingeſtellten
Reſultaten meiner theuer erkauften Erfahrun-
gen. Ich war oft einem allgemeinen Menſchen-
haſſe nahe, allenthalben ward meine Liebe verra-
then; Menſchen, die ich fuͤr Pythias und
Euryalus gehalten hatte, eroͤffneten mir ploͤtz-
lich einen Blick in ihr Innres, und ich ſahe
mit Schrecken elenden, veraͤchtlichen Eigennutz
auf demſelben Throne ſitzen, auf welchem ich
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 114[112]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/122>, abgerufen am 28.11.2024.
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