Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den
fühlenden Menschen vom kalten, den Guten vom
Unwürdigen unterscheiden willst, zu einer stillen
innern Glut zurückgesunken ist: unbesonnen
vertraust Du Dich dem nichtigen Enthusiasmus
eines andern, und findest Dich endlich in einer
dunkeln, einsamen Gruft verirrt, in der Du
ängstlich nach der Oeffnung tappst. Charaktere
wie Du können am leichtesten um die Freuden
ihres Lebens betrogen werden, sie sind Maschi-
nen in der Hand eines jeden Menschenkenners.
-- In meiner Krankheit hab' ich mich in man-
che Scenen meines Lebens zurückgeträumt; viel-
leicht schick' ich Dir nächstens kleine Bruchstücke
aus meiner Geschichte, vielleicht lernst Du aus
Beispielen mehr, als aus den bloß hingestellten
Resultaten meiner theuer erkauften Erfahrun-
gen. Ich war oft einem allgemeinen Menschen-
hasse nahe, allenthalben ward meine Liebe verra-
then; Menschen, die ich für Pythias und
Euryalus gehalten hatte, eröffneten mir plötz-
lich einen Blick in ihr Innres, und ich sahe
mit Schrecken elenden, verächtlichen Eigennutz
auf demselben Throne sitzen, auf welchem ich
Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war schon

aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den
fuͤhlenden Menſchen vom kalten, den Guten vom
Unwuͤrdigen unterſcheiden willſt, zu einer ſtillen
innern Glut zuruͤckgeſunken iſt: unbeſonnen
vertrauſt Du Dich dem nichtigen Enthuſiasmus
eines andern, und findeſt Dich endlich in einer
dunkeln, einſamen Gruft verirrt, in der Du
aͤngſtlich nach der Oeffnung tappſt. Charaktere
wie Du koͤnnen am leichteſten um die Freuden
ihres Lebens betrogen werden, ſie ſind Maſchi-
nen in der Hand eines jeden Menſchenkenners.
— In meiner Krankheit hab’ ich mich in man-
che Scenen meines Lebens zuruͤckgetraͤumt; viel-
leicht ſchick’ ich Dir naͤchſtens kleine Bruchſtuͤcke
aus meiner Geſchichte, vielleicht lernſt Du aus
Beiſpielen mehr, als aus den bloß hingeſtellten
Reſultaten meiner theuer erkauften Erfahrun-
gen. Ich war oft einem allgemeinen Menſchen-
haſſe nahe, allenthalben ward meine Liebe verra-
then; Menſchen, die ich fuͤr Pythias und
Euryalus gehalten hatte, eroͤffneten mir ploͤtz-
lich einen Blick in ihr Innres, und ich ſahe
mit Schrecken elenden, veraͤchtlichen Eigennutz
auf demſelben Throne ſitzen, auf welchem ich
Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war ſchon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="114[112]"/>
aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den<lb/>
fu&#x0364;hlenden Men&#x017F;chen vom kalten, den Guten vom<lb/>
Unwu&#x0364;rdigen unter&#x017F;cheiden will&#x017F;t, zu einer &#x017F;tillen<lb/>
innern Glut zuru&#x0364;ckge&#x017F;unken i&#x017F;t: unbe&#x017F;onnen<lb/>
vertrau&#x017F;t Du Dich dem nichtigen Enthu&#x017F;iasmus<lb/>
eines andern, und finde&#x017F;t Dich endlich in einer<lb/>
dunkeln, ein&#x017F;amen Gruft verirrt, in der Du<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tlich nach der Oeffnung tapp&#x017F;t. Charaktere<lb/>
wie Du ko&#x0364;nnen am leichte&#x017F;ten um die Freuden<lb/>
ihres Lebens betrogen werden, &#x017F;ie &#x017F;ind Ma&#x017F;chi-<lb/>
nen in der Hand eines jeden Men&#x017F;chenkenners.<lb/>
&#x2014; In meiner Krankheit hab&#x2019; ich mich in man-<lb/>
che Scenen meines Lebens zuru&#x0364;ckgetra&#x0364;umt; viel-<lb/>
leicht &#x017F;chick&#x2019; ich Dir na&#x0364;ch&#x017F;tens kleine Bruch&#x017F;tu&#x0364;cke<lb/>
aus meiner Ge&#x017F;chichte, vielleicht lern&#x017F;t Du aus<lb/>
Bei&#x017F;pielen mehr, als aus den bloß hinge&#x017F;tellten<lb/>
Re&#x017F;ultaten meiner theuer erkauften Erfahrun-<lb/>
gen. Ich war oft einem allgemeinen Men&#x017F;chen-<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;e nahe, allenthalben ward meine Liebe verra-<lb/>
then; Men&#x017F;chen, die ich fu&#x0364;r <hi rendition="#g">Pythias</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Euryalus</hi> gehalten hatte, ero&#x0364;ffneten mir plo&#x0364;tz-<lb/>
lich einen Blick in ihr Innres, und ich &#x017F;ahe<lb/>
mit Schrecken elenden, vera&#x0364;chtlichen Eigennutz<lb/>
auf dem&#x017F;elben Throne &#x017F;itzen, auf welchem ich<lb/>
Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war &#x017F;chon<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114[112]/0122] aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den fuͤhlenden Menſchen vom kalten, den Guten vom Unwuͤrdigen unterſcheiden willſt, zu einer ſtillen innern Glut zuruͤckgeſunken iſt: unbeſonnen vertrauſt Du Dich dem nichtigen Enthuſiasmus eines andern, und findeſt Dich endlich in einer dunkeln, einſamen Gruft verirrt, in der Du aͤngſtlich nach der Oeffnung tappſt. Charaktere wie Du koͤnnen am leichteſten um die Freuden ihres Lebens betrogen werden, ſie ſind Maſchi- nen in der Hand eines jeden Menſchenkenners. — In meiner Krankheit hab’ ich mich in man- che Scenen meines Lebens zuruͤckgetraͤumt; viel- leicht ſchick’ ich Dir naͤchſtens kleine Bruchſtuͤcke aus meiner Geſchichte, vielleicht lernſt Du aus Beiſpielen mehr, als aus den bloß hingeſtellten Reſultaten meiner theuer erkauften Erfahrun- gen. Ich war oft einem allgemeinen Menſchen- haſſe nahe, allenthalben ward meine Liebe verra- then; Menſchen, die ich fuͤr Pythias und Euryalus gehalten hatte, eroͤffneten mir ploͤtz- lich einen Blick in ihr Innres, und ich ſahe mit Schrecken elenden, veraͤchtlichen Eigennutz auf demſelben Throne ſitzen, auf welchem ich Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/122
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 114[112]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/122>, abgerufen am 28.11.2024.