Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt sein, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.

Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. "Das

Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt sein, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.

Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. „Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="7">
        <pb facs="#f0109"/>
        <p>Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben                Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher                gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen                Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das                ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt sein, sich an hohen Gesinnungen und                Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch,                wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles,                Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten                Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär'                es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und                der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist                mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen,                und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen.</p><lb/>
        <p>Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da                schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah                eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes                Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern                vergleicht, so lügt er schon. &#x201E;Das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] Der blasse Weinende reichte ihm die Hand und sagte: ach! Lieber, die Leute haben Recht, und Ihr habt Recht, und die ganze Welt hat Recht. Was Ihr so prophetisch daher gekugelt habt, geht über mein Verständniß, aber ich bin selig in meiner tiefen Rührung. Wenn Leute in die Komödie gehn, um für ihr Geld zu weinen, so kommt mir das ganz abgeschmackt vor; mag es Andern vergönnt sein, sich an hohen Gesinnungen und Thaten zu erheben und darüber Thränen zu vergießen, aber ich verstehe es nicht; doch, wenn solch guter Wein in mich hinein geht, so wirkt er wundersam, daß mir dann Alles, Alles, mag man sprechen was man will, mag man schweigen oder lachen, in der schönsten Rührung aufgeht. Seht, mein Herz möchte vor Wonne brechen, ich könnte Alles, und wär' es Euer lahmer Pudel, in die Arme schließen. Aber meine Augen leiden darunter, und der Doctor hat mir deshalb das Trinken ganz verbieten wollen. Aber dieser Gedanke ist mir eben die rührendste von allen Vorstellungen, darüber könnte ich Tage lang weinen, und deshalb hat er auch diese Verordnung wieder zurück nehmen müssen. Je mehr ich trinke, sagte der Pietist, je mehr hasse ich das, was Ihr, Eulenböck, da schwadronirt habt, je unvernünftiger kommt es mir vor. Lug und Trug! Es ist beinah eben so dumm, als beim Trinken die Lieder zu singen, die dazu gemacht sind. Jedes Wort darin ist gelogen. Wenn der Mensch nur einen Gegenstand mit dem andern vergleicht, so lügt er schon. „Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/109
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/109>, abgerufen am 18.05.2024.