ner Reise bereits Nachricht gegeben zu haben. Eben dies gilt von den Dörfern, von welchen ich hier also nur noch zwey Bemerkungen nachhohlen will. Sie unterschei- den sich von den Städten lediglich dadurch, daß sie of- fen sind, und nur eine einzige Straße haben. Ihre Länge ist oft unglaublich. Die meisten sind eine Viertel- meile lang. Bey einigen gebraucht man gar mehrere Stunden Zeit, um zu Fuß hindurch zu kommen. Manchmahl liegen sie auch so nahe bey einander, daß nur eine Brücke, ein Fluß, oder der Nahme sie un- terscheidet.
In den Dörfern steht der zu jedem Hause gehö- rige Abtritt allezeit an der Straße zur Seite des Wohn- hauses. Er ist unten offen, und unter demselben ist an der Straßenseite ein großes irdenes Geschirr in die Erde gegraben, wo jeder Vorbeygehende sein Wasser hin- ein lassen kann. Der von diesem gesammelten Urin, dem was sonst im Abtritte sich sammelt, und auch von dem was aus der Küchengosse hinein fließt (dies alles sammelt man hier zu Lande mit vieler Sorgfalt zum Düngen des Ackers), entstehende Gestank ist des Sommers an heißen Tagen so stark und unausstehlich, daß kein Zustopfen der Nase und keine Wohlgerüche dagegen helfen. Die Ein- wohner haben sich daran gewöhnt, aber er ist auch den Augen höchst schädlich. Daß so viele, besonders alte Leute, mit rothen, wunden und triefenden Augen geplagt sind, kommt hauptsächlich von den scharfen Ausdünstun- gen jener Sammlungen her. Das gestehe ich inzwi- schen gern, daß dieser Gestank und die haushälterische Mühe und Sorgfalt, welche man anwendet, das alles aufs genaueste zusammen zu sammeln, durch den Ertrag des Ackers reichlich belohnt wird.
Fuͤnfte Abtheilung. Dritter Abſchnitt.
ner Reiſe bereits Nachricht gegeben zu haben. Eben dies gilt von den Doͤrfern, von welchen ich hier alſo nur noch zwey Bemerkungen nachhohlen will. Sie unterſchei- den ſich von den Staͤdten lediglich dadurch, daß ſie of- fen ſind, und nur eine einzige Straße haben. Ihre Laͤnge iſt oft unglaublich. Die meiſten ſind eine Viertel- meile lang. Bey einigen gebraucht man gar mehrere Stunden Zeit, um zu Fuß hindurch zu kommen. Manchmahl liegen ſie auch ſo nahe bey einander, daß nur eine Bruͤcke, ein Fluß, oder der Nahme ſie un- terſcheidet.
In den Doͤrfern ſteht der zu jedem Hauſe gehoͤ- rige Abtritt allezeit an der Straße zur Seite des Wohn- hauſes. Er iſt unten offen, und unter demſelben iſt an der Straßenſeite ein großes irdenes Geſchirr in die Erde gegraben, wo jeder Vorbeygehende ſein Waſſer hin- ein laſſen kann. Der von dieſem geſammelten Urin, dem was ſonſt im Abtritte ſich ſammelt, und auch von dem was aus der Kuͤchengoſſe hinein fließt (dies alles ſammelt man hier zu Lande mit vieler Sorgfalt zum Duͤngen des Ackers), entſtehende Geſtank iſt des Sommers an heißen Tagen ſo ſtark und unausſtehlich, daß kein Zuſtopfen der Naſe und keine Wohlgeruͤche dagegen helfen. Die Ein- wohner haben ſich daran gewoͤhnt, aber er iſt auch den Augen hoͤchſt ſchaͤdlich. Daß ſo viele, beſonders alte Leute, mit rothen, wunden und triefenden Augen geplagt ſind, kommt hauptſaͤchlich von den ſcharfen Ausduͤnſtun- gen jener Sammlungen her. Das geſtehe ich inzwi- ſchen gern, daß dieſer Geſtank und die haushaͤlteriſche Muͤhe und Sorgfalt, welche man anwendet, das alles aufs genaueſte zuſammen zu ſammeln, durch den Ertrag des Ackers reichlich belohnt wird.
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0206"n="172"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Fuͤnfte Abtheilung. Dritter Abſchnitt.</hi></fw><lb/>
ner Reiſe bereits Nachricht gegeben zu haben. Eben<lb/>
dies gilt von den Doͤrfern, von welchen ich hier alſo nur<lb/>
noch zwey Bemerkungen nachhohlen will. Sie unterſchei-<lb/>
den ſich von den Staͤdten lediglich dadurch, daß ſie of-<lb/>
fen ſind, und nur eine einzige Straße haben. Ihre<lb/>
Laͤnge iſt oft unglaublich. Die meiſten ſind eine Viertel-<lb/>
meile lang. Bey einigen gebraucht man gar mehrere<lb/>
Stunden Zeit, um zu Fuß hindurch zu kommen.<lb/>
Manchmahl liegen ſie auch ſo nahe bey einander, daß<lb/>
nur eine Bruͤcke, ein Fluß, oder der Nahme ſie un-<lb/>
terſcheidet.</p><lb/><p>In den Doͤrfern ſteht der zu jedem Hauſe gehoͤ-<lb/>
rige Abtritt allezeit an der Straße zur Seite des Wohn-<lb/>
hauſes. Er iſt unten offen, und unter demſelben iſt<lb/>
an der Straßenſeite ein großes irdenes Geſchirr in die<lb/>
Erde gegraben, wo jeder Vorbeygehende ſein Waſſer hin-<lb/>
ein laſſen kann. Der von dieſem geſammelten Urin, dem<lb/>
was ſonſt im Abtritte ſich ſammelt, und auch von dem<lb/>
was aus der Kuͤchengoſſe hinein fließt (dies alles ſammelt<lb/>
man hier zu Lande mit vieler Sorgfalt zum Duͤngen des<lb/>
Ackers), entſtehende Geſtank iſt des Sommers an heißen<lb/>
Tagen ſo ſtark und unausſtehlich, daß kein Zuſtopfen der<lb/>
Naſe und keine Wohlgeruͤche dagegen helfen. Die Ein-<lb/>
wohner haben ſich daran gewoͤhnt, aber er iſt auch den<lb/>
Augen hoͤchſt ſchaͤdlich. Daß ſo viele, beſonders alte<lb/>
Leute, mit rothen, wunden und triefenden Augen geplagt<lb/>ſind, kommt hauptſaͤchlich von den ſcharfen Ausduͤnſtun-<lb/>
gen jener Sammlungen her. Das geſtehe ich inzwi-<lb/>ſchen gern, daß dieſer Geſtank und die haushaͤlteriſche<lb/>
Muͤhe und Sorgfalt, welche man anwendet, das alles<lb/>
aufs genaueſte zuſammen zu ſammeln, durch den Ertrag<lb/>
des Ackers reichlich belohnt wird.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[172/0206]
Fuͤnfte Abtheilung. Dritter Abſchnitt.
ner Reiſe bereits Nachricht gegeben zu haben. Eben
dies gilt von den Doͤrfern, von welchen ich hier alſo nur
noch zwey Bemerkungen nachhohlen will. Sie unterſchei-
den ſich von den Staͤdten lediglich dadurch, daß ſie of-
fen ſind, und nur eine einzige Straße haben. Ihre
Laͤnge iſt oft unglaublich. Die meiſten ſind eine Viertel-
meile lang. Bey einigen gebraucht man gar mehrere
Stunden Zeit, um zu Fuß hindurch zu kommen.
Manchmahl liegen ſie auch ſo nahe bey einander, daß
nur eine Bruͤcke, ein Fluß, oder der Nahme ſie un-
terſcheidet.
In den Doͤrfern ſteht der zu jedem Hauſe gehoͤ-
rige Abtritt allezeit an der Straße zur Seite des Wohn-
hauſes. Er iſt unten offen, und unter demſelben iſt
an der Straßenſeite ein großes irdenes Geſchirr in die
Erde gegraben, wo jeder Vorbeygehende ſein Waſſer hin-
ein laſſen kann. Der von dieſem geſammelten Urin, dem
was ſonſt im Abtritte ſich ſammelt, und auch von dem
was aus der Kuͤchengoſſe hinein fließt (dies alles ſammelt
man hier zu Lande mit vieler Sorgfalt zum Duͤngen des
Ackers), entſtehende Geſtank iſt des Sommers an heißen
Tagen ſo ſtark und unausſtehlich, daß kein Zuſtopfen der
Naſe und keine Wohlgeruͤche dagegen helfen. Die Ein-
wohner haben ſich daran gewoͤhnt, aber er iſt auch den
Augen hoͤchſt ſchaͤdlich. Daß ſo viele, beſonders alte
Leute, mit rothen, wunden und triefenden Augen geplagt
ſind, kommt hauptſaͤchlich von den ſcharfen Ausduͤnſtun-
gen jener Sammlungen her. Das geſtehe ich inzwi-
ſchen gern, daß dieſer Geſtank und die haushaͤlteriſche
Muͤhe und Sorgfalt, welche man anwendet, das alles
aufs genaueſte zuſammen zu ſammeln, durch den Ertrag
des Ackers reichlich belohnt wird.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/206>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.