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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792.

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nach der dritten Afrikanischen Reise.
ren sie mit solchen Kindern so, die gebrechlich zur Welt
kommen.

Diejenigen, welche in der Nachbarschaft Europäi-
scher Kolonien wohnen, begraben ihre Leichen in der Er-
de; die andern in Höhlen oder Klüften der Berge. Den
Todten nehmen sie durch ein Loch an der Seite, nicht
aber durch die Thüre heraus, und wickeln ihn in seinen
Anzug von Schaffellen ein. Darauf tragen drey oder
vier Träger ihn auf den Armen weg. Der Leiche folgt
ein Zug Manns- und Frauenspersonen in zwey verschied-
nen Haufen und mit vielem Geschrey. Zuletzt wird,
wenn der Verstorbne etwas Vermögen besaß, ein Stück
Vieh geschlachtet und gegessen.

Von Jahr- und Zeitrechnung findet man bey den
Hottentotten kaum die geringste Spur. Einen Neu-
jahrstag, dergleichen doch die meisten, selbst heidnische
Völker, fast in allen Ländern des Erdbodens als einen sehr
wichtigen Zeitpunkt bemerken und mit mehr oder weniger
Freude und Feyerlichkeit begehen, kennen sie gar nicht.
Eben so wenig berechnen sie auf irgend eine Art die Zeit
oder den Lauf der Natur. Das einzige, welches sie be-
merken, ist, daß sie jährlich zu gewissen Zeiten die Zwie-
belgewächse hervorkommen, blühen und verschwinden se-
hen. Dies ist gleichsam der Kalender, wonach sie auf
ihr Alter schließen, welches sie gleichwohl selten oder
niemahls mit einiger Gewißheit wissen. Die Erkundi-
gung, wie alt jemand ist, oder wie alt die Leute unter
ihnen zu werden pflegen, ist daher umsonst. Noch ver-
geblicher würde die Mühe seyn, die man sich geben wür-
de, aus alten Ueberbleibseln, Trümmern oder Denk-
mählern dem Alter dieses Volks nachzuforschen, und zu
erfahren, seit wie lange es bewohnt sey, woher seine
Einwohner gekommen, und was für Veränderungen

nach der dritten Afrikaniſchen Reiſe.
ren ſie mit ſolchen Kindern ſo, die gebrechlich zur Welt
kommen.

Diejenigen, welche in der Nachbarſchaft Europaͤi-
ſcher Kolonien wohnen, begraben ihre Leichen in der Er-
de; die andern in Hoͤhlen oder Kluͤften der Berge. Den
Todten nehmen ſie durch ein Loch an der Seite, nicht
aber durch die Thuͤre heraus, und wickeln ihn in ſeinen
Anzug von Schaffellen ein. Darauf tragen drey oder
vier Traͤger ihn auf den Armen weg. Der Leiche folgt
ein Zug Manns- und Frauensperſonen in zwey verſchied-
nen Haufen und mit vielem Geſchrey. Zuletzt wird,
wenn der Verſtorbne etwas Vermoͤgen beſaß, ein Stuͤck
Vieh geſchlachtet und gegeſſen.

Von Jahr- und Zeitrechnung findet man bey den
Hottentotten kaum die geringſte Spur. Einen Neu-
jahrstag, dergleichen doch die meiſten, ſelbſt heidniſche
Voͤlker, faſt in allen Laͤndern des Erdbodens als einen ſehr
wichtigen Zeitpunkt bemerken und mit mehr oder weniger
Freude und Feyerlichkeit begehen, kennen ſie gar nicht.
Eben ſo wenig berechnen ſie auf irgend eine Art die Zeit
oder den Lauf der Natur. Das einzige, welches ſie be-
merken, iſt, daß ſie jaͤhrlich zu gewiſſen Zeiten die Zwie-
belgewaͤchſe hervorkommen, bluͤhen und verſchwinden ſe-
hen. Dies iſt gleichſam der Kalender, wonach ſie auf
ihr Alter ſchließen, welches ſie gleichwohl ſelten oder
niemahls mit einiger Gewißheit wiſſen. Die Erkundi-
gung, wie alt jemand iſt, oder wie alt die Leute unter
ihnen zu werden pflegen, iſt daher umſonſt. Noch ver-
geblicher wuͤrde die Muͤhe ſeyn, die man ſich geben wuͤr-
de, aus alten Ueberbleibſeln, Truͤmmern oder Denk-
maͤhlern dem Alter dieſes Volks nachzuforſchen, und zu
erfahren, ſeit wie lange es bewohnt ſey, woher ſeine
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[173/0511] nach der dritten Afrikaniſchen Reiſe. ren ſie mit ſolchen Kindern ſo, die gebrechlich zur Welt kommen. Diejenigen, welche in der Nachbarſchaft Europaͤi- ſcher Kolonien wohnen, begraben ihre Leichen in der Er- de; die andern in Hoͤhlen oder Kluͤften der Berge. Den Todten nehmen ſie durch ein Loch an der Seite, nicht aber durch die Thuͤre heraus, und wickeln ihn in ſeinen Anzug von Schaffellen ein. Darauf tragen drey oder vier Traͤger ihn auf den Armen weg. Der Leiche folgt ein Zug Manns- und Frauensperſonen in zwey verſchied- nen Haufen und mit vielem Geſchrey. Zuletzt wird, wenn der Verſtorbne etwas Vermoͤgen beſaß, ein Stuͤck Vieh geſchlachtet und gegeſſen. Von Jahr- und Zeitrechnung findet man bey den Hottentotten kaum die geringſte Spur. Einen Neu- jahrstag, dergleichen doch die meiſten, ſelbſt heidniſche Voͤlker, faſt in allen Laͤndern des Erdbodens als einen ſehr wichtigen Zeitpunkt bemerken und mit mehr oder weniger Freude und Feyerlichkeit begehen, kennen ſie gar nicht. Eben ſo wenig berechnen ſie auf irgend eine Art die Zeit oder den Lauf der Natur. Das einzige, welches ſie be- merken, iſt, daß ſie jaͤhrlich zu gewiſſen Zeiten die Zwie- belgewaͤchſe hervorkommen, bluͤhen und verſchwinden ſe- hen. Dies iſt gleichſam der Kalender, wonach ſie auf ihr Alter ſchließen, welches ſie gleichwohl ſelten oder niemahls mit einiger Gewißheit wiſſen. Die Erkundi- gung, wie alt jemand iſt, oder wie alt die Leute unter ihnen zu werden pflegen, iſt daher umſonſt. Noch ver- geblicher wuͤrde die Muͤhe ſeyn, die man ſich geben wuͤr- de, aus alten Ueberbleibſeln, Truͤmmern oder Denk- maͤhlern dem Alter dieſes Volks nachzuforſchen, und zu erfahren, ſeit wie lange es bewohnt ſey, woher ſeine Einwohner gekommen, und was fuͤr Veraͤnderungen

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Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/511>, abgerufen am 22.11.2024.