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Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826.

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auf dem benachbarten Gute nicht mehr völlig zutreffen,
vielweniger also noch auf sehr entfernten Gütern, unter
einem andern Himmelsstrich, mit Arbeitern von einem
andern Nationalcharakter. Aber ich frage: wird der Land-
wirth, der lange auf einem Gute gewohnt, und der durch
die möglichst genaue Beachtung aller gemachten Erfahrun-
gen sich eine genaue Kenntniß der Kosten und des Rein-
ertrags des Landbaues verschafft hat, -- wird dieser Land-
wirth, nach einem andern Gute versetzt, von seinen auf
dem ersten Gute erworbenen Kenntnissen nun nichts mehr
gebrauchen können? Wäre dies der Fall, so würde jeder
Landwirth mit einer Ortsveränderung seine Lehrjahre von
Neuem beginnen müssen, ehe er die Wirthschaft zu füh-
ren verstände, so könnte keiner die Landwirthschaft anders
als an dem Orte, wo er künftig wohnen sollte, erlernen.
Dies kann und wird man nicht zugeben wollen. Also
muß auch in den, an einem Orte erworbenen Kennt-
nissen etwas liegen, was allgemein gültig und nicht an
Zeit und Ort gebunden ist. Und grade dies Allgemein-
gültige ist es, was wir hier zu erforschen streben.

In dem Vorhergehenden sind hauptsächlich drei Sätze
ausgesprochen, deren Allgemeingültigkeit behauptet wird,
und von deren Richtigkeit die Richtigkeit unserer Unter-
suchung abhängig ist, weshalb ich sie hier zusammenstelle
und wiederhole.

Erster Satz. Der Werth des Getreides auf dem
Gute selbst nimmt ab mit der größern Entfernung des
Guts vom Marktplatze.

Je entfernter das Gut vom Marktplatze ist, desto
größer sind die Transportkosten des Getreides, folglich um
so geringer der Werth desselben auf dem Gute selbst.

Das Getreide hat eben so, wie jede andere Waare,
gar keinen Werth, wenn sich kein Konsument findet, der
dessen bedarf. In unserm isolirten Staat finden sich für

auf dem benachbarten Gute nicht mehr voͤllig zutreffen,
vielweniger alſo noch auf ſehr entfernten Guͤtern, unter
einem andern Himmelsſtrich, mit Arbeitern von einem
andern Nationalcharakter. Aber ich frage: wird der Land-
wirth, der lange auf einem Gute gewohnt, und der durch
die moͤglichſt genaue Beachtung aller gemachten Erfahrun-
gen ſich eine genaue Kenntniß der Koſten und des Rein-
ertrags des Landbaues verſchafft hat, — wird dieſer Land-
wirth, nach einem andern Gute verſetzt, von ſeinen auf
dem erſten Gute erworbenen Kenntniſſen nun nichts mehr
gebrauchen koͤnnen? Waͤre dies der Fall, ſo wuͤrde jeder
Landwirth mit einer Ortsveraͤnderung ſeine Lehrjahre von
Neuem beginnen muͤſſen, ehe er die Wirthſchaft zu fuͤh-
ren verſtaͤnde, ſo koͤnnte keiner die Landwirthſchaft anders
als an dem Orte, wo er kuͤnftig wohnen ſollte, erlernen.
Dies kann und wird man nicht zugeben wollen. Alſo
muß auch in den, an einem Orte erworbenen Kennt-
niſſen etwas liegen, was allgemein guͤltig und nicht an
Zeit und Ort gebunden iſt. Und grade dies Allgemein-
guͤltige iſt es, was wir hier zu erforſchen ſtreben.

In dem Vorhergehenden ſind hauptſaͤchlich drei Saͤtze
ausgeſprochen, deren Allgemeinguͤltigkeit behauptet wird,
und von deren Richtigkeit die Richtigkeit unſerer Unter-
ſuchung abhaͤngig iſt, weshalb ich ſie hier zuſammenſtelle
und wiederhole.

Erſter Satz. Der Werth des Getreides auf dem
Gute ſelbſt nimmt ab mit der groͤßern Entfernung des
Guts vom Marktplatze.

Je entfernter das Gut vom Marktplatze iſt, deſto
groͤßer ſind die Transportkoſten des Getreides, folglich um
ſo geringer der Werth deſſelben auf dem Gute ſelbſt.

Das Getreide hat eben ſo, wie jede andere Waare,
gar keinen Werth, wenn ſich kein Konſument findet, der
deſſen bedarf. In unſerm iſolirten Staat finden ſich fuͤr

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[30/0044] auf dem benachbarten Gute nicht mehr voͤllig zutreffen, vielweniger alſo noch auf ſehr entfernten Guͤtern, unter einem andern Himmelsſtrich, mit Arbeitern von einem andern Nationalcharakter. Aber ich frage: wird der Land- wirth, der lange auf einem Gute gewohnt, und der durch die moͤglichſt genaue Beachtung aller gemachten Erfahrun- gen ſich eine genaue Kenntniß der Koſten und des Rein- ertrags des Landbaues verſchafft hat, — wird dieſer Land- wirth, nach einem andern Gute verſetzt, von ſeinen auf dem erſten Gute erworbenen Kenntniſſen nun nichts mehr gebrauchen koͤnnen? Waͤre dies der Fall, ſo wuͤrde jeder Landwirth mit einer Ortsveraͤnderung ſeine Lehrjahre von Neuem beginnen muͤſſen, ehe er die Wirthſchaft zu fuͤh- ren verſtaͤnde, ſo koͤnnte keiner die Landwirthſchaft anders als an dem Orte, wo er kuͤnftig wohnen ſollte, erlernen. Dies kann und wird man nicht zugeben wollen. Alſo muß auch in den, an einem Orte erworbenen Kennt- niſſen etwas liegen, was allgemein guͤltig und nicht an Zeit und Ort gebunden iſt. Und grade dies Allgemein- guͤltige iſt es, was wir hier zu erforſchen ſtreben. In dem Vorhergehenden ſind hauptſaͤchlich drei Saͤtze ausgeſprochen, deren Allgemeinguͤltigkeit behauptet wird, und von deren Richtigkeit die Richtigkeit unſerer Unter- ſuchung abhaͤngig iſt, weshalb ich ſie hier zuſammenſtelle und wiederhole. Erſter Satz. Der Werth des Getreides auf dem Gute ſelbſt nimmt ab mit der groͤßern Entfernung des Guts vom Marktplatze. Je entfernter das Gut vom Marktplatze iſt, deſto groͤßer ſind die Transportkoſten des Getreides, folglich um ſo geringer der Werth deſſelben auf dem Gute ſelbſt. Das Getreide hat eben ſo, wie jede andere Waare, gar keinen Werth, wenn ſich kein Konſument findet, der deſſen bedarf. In unſerm iſolirten Staat finden ſich fuͤr

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Zitationshilfe: Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuenen_staat_1826/44>, abgerufen am 16.04.2024.