Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Vierdter Theil. Halle, 1725.

Bild:
<< vorherige Seite

sen, oder Gutes thun und an Christum glauben, oder in eben dem Verstande, Glauben, Lieben und Hoffen: glauben, daß um Christi willen unsere Sünde vergeben werden sollen, GOtt und den Nächsten lieben, und das gnädigst zugesagte ewige Leben getrost abwarten; als ist solcher kurtze und vollkommene Inhalt der Kern und Marck des gantzen Christenthums. Wer selbiges von Hertzen fasset, auch münd- und thätlich bekennet, sey Lutherisch oder Catholisch, ist GOtt angenehm, und des ewigen Lebens theilhafftig. Nachdem so dann der Fürwitz der Menschen absonderlich Gelehrten in allerhand Religionen durch die Menge der Zeit und Musse tausenderley Neben-Fragen auf die Bahn gebracht, auch so gar, um Unordnungen zu verhüten, vielfältige Neben-Lehren fürgeschrieben, sind alle solche Fragen, Sätze und Gewohnheiten nicht anders als veränderliche Neben-Sachen anzusehen, welche sich nach Orten, Zeiten und Begebnüssen, nach der Weißheit der Fürsteher und Regenten ändern lassen, weil die Einfalt der Leute unter der Menge des Volcks mit Ordnung und Ceremonien nothwendig will geleitet und zum Guten gebracht werden. Können derohalben alle solche Ubungen und Gewohnheiten gehalten, verwandelt, oder abgethan werden, wie es die Nothdurfft der Zeit und Besserung der Leute beym Gebrauch uud Mißbrauch, in welcher Religion es wolle, erfordert, weil sie der Seeligkeit an sich nichts abnoch zutragen. Welcherley Zu- oder Neben-Satz von Lehr- und Ceremonien in allerhand Religionen Christlichen Nahmens überflüßig zu finden, wie niemand verständiger und gescheider in Abrede seyn kan. Dannenhero an dem Exempel Christi und der Apostel selbst zu sehen, wie sie den euserlichen Gottesdienst so gar der Juden ihrer Zeiten als ein Neben-Werck mit observiret, ob sie gleich den Verderb und Mißbrauch vor Augen sahen, gnug, daß ihr Hertz gut, und im Gebrauch der hergebrachten Ceremonien sie aufrichtige Intention hatten. Sie giengen in den Jüdischen Tempel, sie beteten darinn, sie opfferten darinn, so lange sie darinn geduldet worden. Das Leben und Wandel der Juden tadelten sie, und suchten es zu bessern, übrige Ceremonien liessen sie, ausser den Mißbrauch, paßiren. So ist bekandt und unläugbar, wie fast alle Patres, von derer meisten man gleichwohl die Seeligkeit vermuthet, ausser, daß sie in dem obigen Grund des Glaubens einig, eine grosse Anzahl Neben-Fragen, Lehren, Ceremonien gehabt und gehalten, mit welchen deren Zuhörer, als mit ihren Bischöffen, in gleicher Hofnung der Seeligkeit alles beybehalten. Würde unmenschlich zu gedencken seyn, keine Seelen würden in so viel hundert Jahren, Zeit solcher Väter und

sen, oder Gutes thun und an Christum glauben, oder in eben dem Verstande, Glauben, Lieben und Hoffen: glauben, daß um Christi willen unsere Sünde vergeben werden sollen, GOtt und den Nächsten lieben, und das gnädigst zugesagte ewige Leben getrost abwarten; als ist solcher kurtze und vollkommene Inhalt der Kern und Marck des gantzen Christenthums. Wer selbiges von Hertzen fasset, auch münd- und thätlich bekennet, sey Lutherisch oder Catholisch, ist GOtt angenehm, und des ewigen Lebens theilhafftig. Nachdem so dann der Fürwitz der Menschen absonderlich Gelehrten in allerhand Religionen durch die Menge der Zeit und Musse tausenderley Neben-Fragen auf die Bahn gebracht, auch so gar, um Unordnungen zu verhüten, vielfältige Neben-Lehren fürgeschrieben, sind alle solche Fragen, Sätze und Gewohnheiten nicht anders als veränderliche Neben-Sachen anzusehen, welche sich nach Orten, Zeiten und Begebnüssen, nach der Weißheit der Fürsteher und Regenten ändern lassen, weil die Einfalt der Leute unter der Menge des Volcks mit Ordnung und Ceremonien nothwendig will geleitet und zum Guten gebracht werden. Können derohalben alle solche Ubungen und Gewohnheiten gehalten, verwandelt, oder abgethan werden, wie es die Nothdurfft der Zeit und Besserung der Leute beym Gebrauch uud Mißbrauch, in welcher Religion es wolle, erfordert, weil sie der Seeligkeit an sich nichts abnoch zutragen. Welcherley Zu- oder Neben-Satz von Lehr- und Ceremonien in allerhand Religionen Christlichen Nahmens überflüßig zu finden, wie niemand verständiger und gescheider in Abrede seyn kan. Dannenhero an dem Exempel Christi und der Apostel selbst zu sehen, wie sie den euserlichen Gottesdienst so gar der Juden ihrer Zeiten als ein Neben-Werck mit observiret, ob sie gleich den Verderb und Mißbrauch vor Augen sahen, gnug, daß ihr Hertz gut, und im Gebrauch der hergebrachten Ceremonien sie aufrichtige Intention hatten. Sie giengen in den Jüdischen Tempel, sie beteten darinn, sie opfferten darinn, so lange sie darinn geduldet worden. Das Leben und Wandel der Juden tadelten sie, und suchten es zu bessern, übrige Ceremonien liessen sie, ausser den Mißbrauch, paßiren. So ist bekandt und unläugbar, wie fast alle Patres, von derer meisten man gleichwohl die Seeligkeit vermuthet, ausser, daß sie in dem obigen Grund des Glaubens einig, eine grosse Anzahl Neben-Fragen, Lehren, Ceremonien gehabt und gehalten, mit welchen deren Zuhörer, als mit ihren Bischöffen, in gleicher Hofnung der Seeligkeit alles beybehalten. Würde unmenschlich zu gedencken seyn, keine Seelen würden in so viel hundert Jahren, Zeit solcher Väter und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0044" n="36"/>
sen, oder Gutes                      thun und an Christum glauben, oder in eben dem Verstande, Glauben, Lieben und                      Hoffen: glauben, daß um Christi willen unsere Sünde vergeben werden sollen, GOtt                      und den Nächsten lieben, und das gnädigst zugesagte ewige Leben getrost                      abwarten; als ist solcher kurtze und vollkommene Inhalt der Kern und Marck des                      gantzen Christenthums. Wer selbiges von Hertzen fasset, auch münd- und thätlich                      bekennet, sey Lutherisch oder Catholisch, ist GOtt angenehm, und des ewigen                      Lebens theilhafftig. Nachdem so dann der Fürwitz der Menschen absonderlich                      Gelehrten in allerhand Religionen durch die Menge der Zeit und Musse                      tausenderley Neben-Fragen auf die Bahn gebracht, auch so gar, um Unordnungen zu                      verhüten, vielfältige Neben-Lehren fürgeschrieben, sind alle solche Fragen,                      Sätze und Gewohnheiten nicht anders als veränderliche Neben-Sachen anzusehen,                      welche sich nach Orten, Zeiten und Begebnüssen, nach der Weißheit der Fürsteher                      und Regenten ändern lassen, weil die Einfalt der Leute unter der Menge des                      Volcks mit Ordnung und Ceremonien nothwendig will geleitet und zum Guten                      gebracht werden. Können derohalben alle solche Ubungen und Gewohnheiten                      gehalten, verwandelt, oder abgethan werden, wie es die Nothdurfft der Zeit und                      Besserung der Leute beym Gebrauch uud Mißbrauch, in welcher Religion es wolle,                      erfordert, weil sie der Seeligkeit an sich nichts abnoch zutragen. Welcherley                      Zu- oder Neben-Satz von Lehr- und Ceremonien in allerhand Religionen                      Christlichen Nahmens überflüßig zu finden, wie niemand verständiger und                      gescheider in Abrede seyn kan. Dannenhero an dem Exempel Christi und der Apostel                      selbst zu sehen, wie sie den euserlichen Gottesdienst so gar der Juden ihrer                      Zeiten als ein Neben-Werck mit observiret, ob sie gleich den Verderb und                      Mißbrauch vor Augen sahen, gnug, daß ihr Hertz gut, und im Gebrauch der                      hergebrachten Ceremonien sie aufrichtige Intention hatten. Sie giengen in den                      Jüdischen Tempel, sie beteten darinn, sie opfferten darinn, so lange sie darinn                      geduldet worden. Das Leben und Wandel der Juden tadelten sie, und suchten es zu                      bessern, übrige Ceremonien liessen sie, ausser den Mißbrauch, paßiren. So ist                      bekandt und unläugbar, wie fast alle Patres, von derer meisten man gleichwohl                      die Seeligkeit vermuthet, ausser, daß sie in dem obigen Grund des Glaubens                      einig, eine grosse Anzahl Neben-Fragen, Lehren, Ceremonien gehabt und gehalten,                      mit welchen deren Zuhörer, als mit ihren Bischöffen, in gleicher Hofnung der                      Seeligkeit alles beybehalten. Würde unmenschlich zu gedencken seyn, keine Seelen                      würden in so viel hundert Jahren, Zeit solcher Väter und
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0044] sen, oder Gutes thun und an Christum glauben, oder in eben dem Verstande, Glauben, Lieben und Hoffen: glauben, daß um Christi willen unsere Sünde vergeben werden sollen, GOtt und den Nächsten lieben, und das gnädigst zugesagte ewige Leben getrost abwarten; als ist solcher kurtze und vollkommene Inhalt der Kern und Marck des gantzen Christenthums. Wer selbiges von Hertzen fasset, auch münd- und thätlich bekennet, sey Lutherisch oder Catholisch, ist GOtt angenehm, und des ewigen Lebens theilhafftig. Nachdem so dann der Fürwitz der Menschen absonderlich Gelehrten in allerhand Religionen durch die Menge der Zeit und Musse tausenderley Neben-Fragen auf die Bahn gebracht, auch so gar, um Unordnungen zu verhüten, vielfältige Neben-Lehren fürgeschrieben, sind alle solche Fragen, Sätze und Gewohnheiten nicht anders als veränderliche Neben-Sachen anzusehen, welche sich nach Orten, Zeiten und Begebnüssen, nach der Weißheit der Fürsteher und Regenten ändern lassen, weil die Einfalt der Leute unter der Menge des Volcks mit Ordnung und Ceremonien nothwendig will geleitet und zum Guten gebracht werden. Können derohalben alle solche Ubungen und Gewohnheiten gehalten, verwandelt, oder abgethan werden, wie es die Nothdurfft der Zeit und Besserung der Leute beym Gebrauch uud Mißbrauch, in welcher Religion es wolle, erfordert, weil sie der Seeligkeit an sich nichts abnoch zutragen. Welcherley Zu- oder Neben-Satz von Lehr- und Ceremonien in allerhand Religionen Christlichen Nahmens überflüßig zu finden, wie niemand verständiger und gescheider in Abrede seyn kan. Dannenhero an dem Exempel Christi und der Apostel selbst zu sehen, wie sie den euserlichen Gottesdienst so gar der Juden ihrer Zeiten als ein Neben-Werck mit observiret, ob sie gleich den Verderb und Mißbrauch vor Augen sahen, gnug, daß ihr Hertz gut, und im Gebrauch der hergebrachten Ceremonien sie aufrichtige Intention hatten. Sie giengen in den Jüdischen Tempel, sie beteten darinn, sie opfferten darinn, so lange sie darinn geduldet worden. Das Leben und Wandel der Juden tadelten sie, und suchten es zu bessern, übrige Ceremonien liessen sie, ausser den Mißbrauch, paßiren. So ist bekandt und unläugbar, wie fast alle Patres, von derer meisten man gleichwohl die Seeligkeit vermuthet, ausser, daß sie in dem obigen Grund des Glaubens einig, eine grosse Anzahl Neben-Fragen, Lehren, Ceremonien gehabt und gehalten, mit welchen deren Zuhörer, als mit ihren Bischöffen, in gleicher Hofnung der Seeligkeit alles beybehalten. Würde unmenschlich zu gedencken seyn, keine Seelen würden in so viel hundert Jahren, Zeit solcher Väter und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Obrigkeitskritik und Fürstenberatung: Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568-1714: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI. (2013-02-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss.
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-15T13:54:31Z)
Marcus Baumgarten, Frederike Neuber, Frank Wiegand: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription. (2013-02-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Ligaturen werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Kolumnentitel, Bogensignaturen und Kustoden werden nicht erfasst.
  • Griechische Schrift wird nicht transkribiert, sondern im XML mit <foreign xml:lang="el"><gap reason="fm"/></foreign> vermerkt.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte04_1725
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte04_1725/44
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Vierdter Theil. Halle, 1725, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte04_1725/44>, abgerufen am 29.03.2024.