Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.Zorn und Ungnade unerachrer / diese Woche noch eine dergleichen Conversation anstellen, und dabey Chrestophili seine Gesundheit trincken. Ich konte dieses phlegma nicht begreiffen, und dachte in meinen Hertzen: ist Socrates so ein weiser Mann, und hat nicht mehr Empfindlichkeit für seine Ehre und renommee? Ja ich konte nicht unterlassen, ihn zu fragen; ob er denn diese Beschimpffung ungeahnder wolte hingehen lassen? Chrestophilus hätte ja sein heiliges Amt mit diesen calumnien augenscheinlich entheiliget. Es wäre in allen wohlbestellten Republiquen heilsamlich verordnet, daß die Prediger auch in straffbahren Dingen keine personalia auf denen Cantzeln tractiren solten, geschweige denn, daß sie selbsten die Leute, denen sie Ehrerbietung zu erweisen schuldig wären, schimpff ich injurirten, bey denen Unterthanen eine Verachtung ihrer Obrigkeit erweckten, und den geheiligten Predigt Stuhl zu einem Schmähe-Stuhl machten, auf dem sie ihre sündlichen und ärgerlichen affecten auslassen könten Socrates wäre, vermöge seines Christentbums, vermöge seines Amts, und vermöge politischer Klugheit schuldig, Chrestaphilo zu weisen, daß er bey ihm unrecht ankäme, massen er sonst künfftig dergleichen Begünstigungen von ihm mehr würde gewärtig seyn müssen, auch Chrestophilus ohne Zweifsel in seinen frevelhafften Vornehmen würde gestärcket werden, wenn ihm dieses so für genossen ausgienge / und würde hernach dasjenige, was er jetzo dem Socrati gethan, andern geringen Leuten desto ungescheuter thun, und sich einbilden, daß der heilige Ort ein theatrum sey, darauf er diejenigen, die es nicht nach seinen Kopff machten, gleichsam per modum privilegii schänden und schmähen dürffte. Und dieses würde man ihm dem Socrati hernach alles imputiren, daß er diesen Ubel nicht gesteuret hätte, da ihm doch jetzo die beste Gelegenheit darzu vorstiesse. Socrates antwortete mir in seiner gewöhnlichen Sanfftmuth: Ich dancke den Herrn zwar für seine gute intention gegen mich; aber ich bin gantz anderer Meynung, als der Herr. Er kennet den Herrn Chrestophilum noch nicht. Wenn man einen ungeistlichen Geistlichen vorstellen wolte, dürffte man nichts thun / als sein currieulum vitae drucken lassen. In seinem Amte bindet er sich weder an geistliche noch weltliche Ordnungen, sondern sein eigen Gehirne ist ihm an statt einer Richtschnur; den ihm vor- Zorn und Ungnade unerachrer / diese Woche noch eine dergleichen Conversation anstellen, und dabey Chrestophili seine Gesundheit trincken. Ich konte dieses phlegma nicht begreiffen, und dachte in meinen Hertzen: ist Socrates so ein weiser Mann, und hat nicht mehr Empfindlichkeit für seine Ehre und renommée? Ja ich konte nicht unterlassen, ihn zu fragen; ob er denn diese Beschimpffung ungeahnder wolte hingehen lassen? Chrestophilus hätte ja sein heiliges Amt mit diesen calumnien augenscheinlich entheiliget. Es wäre in allen wohlbestellten Republiquen heilsamlich verordnet, daß die Prediger auch in straffbahren Dingen keine personalia auf denen Cantzeln tractiren solten, geschweige denn, daß sie selbsten die Leute, denen sie Ehrerbietung zu erweisen schuldig wären, schimpff ich injurirten, bey denen Unterthanen eine Verachtung ihrer Obrigkeit erweckten, und den geheiligten Predigt Stuhl zu einem Schmähe-Stuhl machten, auf dem sie ihre sündlichen und ärgerlichen affecten auslassen könten Socrates wäre, vermöge seines Christentbums, vermöge seines Amts, und vermöge politischer Klugheit schuldig, Chrestaphilo zu weisen, daß er bey ihm unrecht ankäme, massen er sonst künfftig dergleichen Begünstigungen von ihm mehr würde gewärtig seyn müssen, auch Chrestophilus ohne Zweifsel in seinen frevelhafften Vornehmen würde gestärcket werden, wenn ihm dieses so für genossen ausgienge / und würde hernach dasjenige, was er jetzo dem Socrati gethan, andern geringen Leuten desto ungescheuter thun, und sich einbilden, daß der heilige Ort ein theatrum sey, darauf er diejenigen, die es nicht nach seinen Kopff machten, gleichsam per modum privilegii schänden und schmähen dürffte. Und dieses würde man ihm dem Socrati hernach alles imputiren, daß er diesen Ubel nicht gesteuret hätte, da ihm doch jetzo die beste Gelegenheit darzu vorstiesse. Socrates antwortete mir in seiner gewöhnlichen Sanfftmuth: Ich dancke den Herrn zwar für seine gute intention gegen mich; aber ich bin gantz anderer Meynung, als der Herr. Er kennet den Herrn Chrestophilum noch nicht. Wenn man einen ungeistlichen Geistlichen vorstellen wolte, dürffte man nichts thun / als sein currieulum vitae drucken lassen. In seinem Amte bindet er sich weder an geistliche noch weltliche Ordnungen, sondern sein eigen Gehirne ist ihm an statt einer Richtschnur; den ihm vor- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0066" n="60"/> Zorn und Ungnade unerachrer / diese Woche noch eine dergleichen <hi rendition="#i">Conversation</hi> anstellen, und dabey <hi rendition="#i">Chrestophili</hi> seine Gesundheit trincken. 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Zorn und Ungnade unerachrer / diese Woche noch eine dergleichen Conversation anstellen, und dabey Chrestophili seine Gesundheit trincken. Ich konte dieses phlegma nicht begreiffen, und dachte in meinen Hertzen: ist Socrates so ein weiser Mann, und hat nicht mehr Empfindlichkeit für seine Ehre und renommée? Ja ich konte nicht unterlassen, ihn zu fragen; ob er denn diese Beschimpffung ungeahnder wolte hingehen lassen? Chrestophilus hätte ja sein heiliges Amt mit diesen calumnien augenscheinlich entheiliget. Es wäre in allen wohlbestellten Republiquen heilsamlich verordnet, daß die Prediger auch in straffbahren Dingen keine personalia auf denen Cantzeln tractiren solten, geschweige denn, daß sie selbsten die Leute, denen sie Ehrerbietung zu erweisen schuldig wären, schimpff ich injurirten, bey denen Unterthanen eine Verachtung ihrer Obrigkeit erweckten, und den geheiligten Predigt Stuhl zu einem Schmähe-Stuhl machten, auf dem sie ihre sündlichen und ärgerlichen affecten auslassen könten Socrates wäre, vermöge seines Christentbums, vermöge seines Amts, und vermöge politischer Klugheit schuldig, Chrestaphilo zu weisen, daß er bey ihm unrecht ankäme, massen er sonst künfftig dergleichen Begünstigungen von ihm mehr würde gewärtig seyn müssen, auch Chrestophilus ohne Zweifsel in seinen frevelhafften Vornehmen würde gestärcket werden, wenn ihm dieses so für genossen ausgienge / und würde hernach dasjenige, was er jetzo dem Socrati gethan, andern geringen Leuten desto ungescheuter thun, und sich einbilden, daß der heilige Ort ein theatrum sey, darauf er diejenigen, die es nicht nach seinen Kopff machten, gleichsam per modum privilegii schänden und schmähen dürffte. Und dieses würde man ihm dem Socrati hernach alles imputiren, daß er diesen Ubel nicht gesteuret hätte, da ihm doch jetzo die beste Gelegenheit darzu vorstiesse. Socrates antwortete mir in seiner gewöhnlichen Sanfftmuth: Ich dancke den Herrn zwar für seine gute intention gegen mich; aber ich bin gantz anderer Meynung, als der Herr. Er kennet den Herrn Chrestophilum noch nicht. Wenn man einen ungeistlichen Geistlichen vorstellen wolte, dürffte man nichts thun / als sein currieulum vitae drucken lassen. In seinem Amte bindet er sich weder an geistliche noch weltliche Ordnungen, sondern sein eigen Gehirne ist ihm an statt einer Richtschnur; den ihm vor-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/66>, abgerufen am 16.02.2025. |