Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.

Bild:
<< vorherige Seite

Würmer im Gehirne wachsen, und daß dadurch der meiste Zwiespalt in Religions-Sachen entstanden, und noch erhalten werde. Die Mathesin habe ich leider nicht gelerner, weil dieses höchst nützliche Studium auf Academien sowohl culpa docentium als discentium gemeiniglich verachtet und negligiret wird. Mit der Physic ist es mir sehr unglücklich gangen. Denn als ich gemeynet, ich hätte in denen Collegiis, so ich darüber gehalten, vortreffliche profectus erlanget / und meine privatorepetitiones deßhalben angestellet, bin ich so tumm gewesen, daß ich nicht verstehen können, was das heisse, daß die natura principium motus & quictis sey / ja ob mir gleich meine Praeceptores noch so deutlich vorgesagt, quod anima sit tota in toto corpore, & tota in qualibet parte corporis, ich auch einen gantzen Tag zugebracht in Aufsuchung derer Physicorum, und befunden, daß diese thesis so klar sey, daß niemahlsein rechtschaffener Philosophus daran gezweiffelt, so hat mir es doch gantz nicht in Kopff gewolt, daß meine Seele zu einer Zeit, wenn sie gantz und gar mit Haut und Haar in der kleinen Fußzähe sässe, auch zugleich ein Ohrläpgen seyn solte. Eben so ist es auch mit der herrlichen materia prima bey mir abgelauffen, welche doch der wahrhafstige lapis Philosophorum ist. Am allerschlimmesten aber ist mir es mit denen qualitatibus occultis ergangen. Denn als ich versuchen wollen, ob es mir vielleicht besser von statten gehen wolte, wenn ich selber etwas de meo erfände, und zu dem Ende auf eine definitionem qualitatis occultae bedacht gewesen, habe ich nach dreytägiger meditation, da ich zwey Buch Papier verschmieret, und ein halb Schock Federn verschrieben, anders nichts heraus bringen können, als: Qualitas occulta est vocabulum eleganter sonans, cujus vi Physicus ignor antiam suam obvelare, & incautam juventutem occulte pecunia emungere potest. Aber ich bin mit dieser Definition ankommen, daß ich bald darüber wäre zum Atheisten gemacht worden. Endlich so hat es auch in der Philosophia practica nicht mit mir fortgewolt. Denn ich bin gleich anfangs bey dem genere stutzig worden, und bin so ungläubig gewesen, daß, ob ich gleich augenscheinlich gesehen, daß diese disciplin von allen pro prudentia ausgegeben worden, dennoch mein Verstand so ungeschickt gewesen, daß er gemeynet, es schicke sich dieser Titul nicht für diese Philosophie, weil

Würmer im Gehirne wachsen, und daß dadurch der meiste Zwiespalt in Religions-Sachen entstanden, und noch erhalten werde. Die Mathesin habe ich leider nicht gelerner, weil dieses höchst nützliche Studium auf Academien sowohl culpa docentium als discentium gemeiniglich verachtet und negligiret wird. Mit der Physic ist es mir sehr unglücklich gangen. Denn als ich gemeynet, ich hätte in denen Collegiis, so ich darüber gehalten, vortreffliche profectus erlanget / und meine privatorepetitiones deßhalben angestellet, bin ich so tumm gewesen, daß ich nicht verstehen können, was das heisse, daß die natura principium motus & quictis sey / ja ob mir gleich meine Praeceptores noch so deutlich vorgesagt, quod anima sit tota in toto corpore, & tota in qualibet parte corporis, ich auch einen gantzen Tag zugebracht in Aufsuchung derer Physicorum, und befunden, daß diese thesis so klar sey, daß niemahlsein rechtschaffener Philosophus daran gezweiffelt, so hat mir es doch gantz nicht in Kopff gewolt, daß meine Seele zu einer Zeit, wenn sie gantz und gar mit Haut und Haar in der kleinen Fußzähe sässe, auch zugleich ein Ohrläpgen seyn solte. Ebẽ so ist es auch mit der herrlichen materia prima bey mir abgelauffen, welche doch der wahrhafstige lapis Philosophorum ist. Am allerschlim̃esten aber ist mir es mit denen qualitatibus occultis ergangen. Denn als ich versuchen wollen, ob es mir vielleicht besser von statten gehen wolte, wenn ich selber etwas de meo erfände, und zu dem Ende auf eine definitionem qualitatis occultae bedacht gewesen, habe ich nach dreytägiger meditation, da ich zwey Buch Papier verschmieret, und ein halb Schock Federn verschrieben, anders nichts heraus bringen können, als: Qualitas occulta est vocabulum eleganter sonans, cujus vi Physicus ignor antiam suam obvelare, & incautam juventutem occulte pecunia emungere potest. Aber ich bin mit dieser Definition ankommen, daß ich bald darüber wäre zum Atheisten gemacht worden. Endlich so hat es auch in der Philosophia practica nicht mit mir fortgewolt. Denn ich bin gleich anfangs bey dem genere stutzig worden, und bin so ungläubig gewesen, daß, ob ich gleich augenscheinlich gesehen, daß diese disciplin von allen pro prudentia ausgegeben worden, dennoch mein Verstand so ungeschickt gewesen, daß er gemeynet, es schicke sich dieser Titul nicht für diese Philosophie, weil

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0016" n="10"/>
Würmer                      im Gehirne wachsen, und daß dadurch der meiste Zwiespalt in Religions-Sachen                      entstanden, und noch erhalten werde. Die <hi rendition="#i">Mathesin</hi> habe                      ich leider nicht gelerner, weil dieses höchst nützliche <hi rendition="#i">Studium</hi> auf <hi rendition="#i">Academi</hi>en sowohl <hi rendition="#i">culpa docentium</hi> als <hi rendition="#i">discentium</hi> gemeiniglich verachtet und <hi rendition="#i">negligir</hi>et wird. Mit der <hi rendition="#i">Physic</hi> ist es mir sehr unglücklich gangen. Denn als ich                      gemeynet, ich hätte in denen <hi rendition="#i">Collegiis</hi>, so ich darüber                      gehalten, vortreffliche <hi rendition="#i">profectus</hi> erlanget / und meine <hi rendition="#i">privatorepetitiones</hi> deßhalben angestellet, bin ich                      so tumm gewesen, daß ich nicht verstehen können, was das heisse, daß die <hi rendition="#i">natura principium motus &amp; quictis</hi> sey / ja ob                      mir gleich meine <hi rendition="#i">Praeceptores</hi> noch so deutlich                      vorgesagt, <hi rendition="#i">quod anima sit tota in toto corpore, &amp;                          tota in qualibet parte corporis</hi>, ich auch einen gantzen Tag zugebracht                      in Aufsuchung derer <hi rendition="#i">Physicorum</hi>, und befunden, daß diese <hi rendition="#i">thesis</hi> so klar sey, daß niemahlsein rechtschaffener <hi rendition="#i">Philosophus</hi> daran gezweiffelt, so hat mir es doch                      gantz nicht in Kopff gewolt, daß meine Seele zu einer Zeit, wenn sie gantz und                      gar mit Haut und Haar in der kleinen Fußzähe sässe, auch zugleich ein Ohrläpgen                      seyn solte. Ebe&#x0303; so ist es auch mit der herrlichen <hi rendition="#i">materia prima</hi> bey mir abgelauffen, welche doch der                      wahrhafstige <hi rendition="#i">lapis Philosophorum</hi> ist. Am allerschlim&#x0303;esten aber ist mir es mit denen <hi rendition="#i">qualitatibus                          occultis</hi> ergangen. Denn als ich versuchen wollen, ob es mir vielleicht                      besser von statten gehen wolte, wenn ich selber etwas <hi rendition="#i">de                      meo</hi> erfände, und zu dem Ende auf eine <hi rendition="#i">definitionem                          qualitatis occultae</hi> bedacht gewesen, habe ich nach dreytägiger <hi rendition="#i">meditation</hi>, da ich zwey Buch Papier verschmieret, und                      ein halb Schock Federn verschrieben, anders nichts heraus bringen können, als: <hi rendition="#i">Qualitas occulta est vocabulum eleganter sonans, cujus vi                          Physicus ignor antiam suam obvelare, &amp; incautam juventutem occulte                          pecunia emungere potest</hi>. Aber ich bin mit dieser <hi rendition="#i">Definition</hi> ankommen, daß ich bald darüber wäre zum Atheisten gemacht                      worden. Endlich so hat es auch in der <hi rendition="#i">Philosophia                      practica</hi> nicht mit mir fortgewolt. Denn ich bin gleich anfangs bey dem <hi rendition="#i">genere</hi> stutzig worden, und bin so ungläubig gewesen,                      daß, ob ich gleich augenscheinlich gesehen, daß diese <hi rendition="#i">disciplin</hi> von allen <hi rendition="#i">pro prudentia</hi> ausgegeben                      worden, dennoch mein Verstand so ungeschickt gewesen, daß er gemeynet, es                      schicke sich dieser Titul nicht für diese <hi rendition="#i">Philosophie</hi>,                      weil
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0016] Würmer im Gehirne wachsen, und daß dadurch der meiste Zwiespalt in Religions-Sachen entstanden, und noch erhalten werde. Die Mathesin habe ich leider nicht gelerner, weil dieses höchst nützliche Studium auf Academien sowohl culpa docentium als discentium gemeiniglich verachtet und negligiret wird. Mit der Physic ist es mir sehr unglücklich gangen. Denn als ich gemeynet, ich hätte in denen Collegiis, so ich darüber gehalten, vortreffliche profectus erlanget / und meine privatorepetitiones deßhalben angestellet, bin ich so tumm gewesen, daß ich nicht verstehen können, was das heisse, daß die natura principium motus & quictis sey / ja ob mir gleich meine Praeceptores noch so deutlich vorgesagt, quod anima sit tota in toto corpore, & tota in qualibet parte corporis, ich auch einen gantzen Tag zugebracht in Aufsuchung derer Physicorum, und befunden, daß diese thesis so klar sey, daß niemahlsein rechtschaffener Philosophus daran gezweiffelt, so hat mir es doch gantz nicht in Kopff gewolt, daß meine Seele zu einer Zeit, wenn sie gantz und gar mit Haut und Haar in der kleinen Fußzähe sässe, auch zugleich ein Ohrläpgen seyn solte. Ebẽ so ist es auch mit der herrlichen materia prima bey mir abgelauffen, welche doch der wahrhafstige lapis Philosophorum ist. Am allerschlim̃esten aber ist mir es mit denen qualitatibus occultis ergangen. Denn als ich versuchen wollen, ob es mir vielleicht besser von statten gehen wolte, wenn ich selber etwas de meo erfände, und zu dem Ende auf eine definitionem qualitatis occultae bedacht gewesen, habe ich nach dreytägiger meditation, da ich zwey Buch Papier verschmieret, und ein halb Schock Federn verschrieben, anders nichts heraus bringen können, als: Qualitas occulta est vocabulum eleganter sonans, cujus vi Physicus ignor antiam suam obvelare, & incautam juventutem occulte pecunia emungere potest. Aber ich bin mit dieser Definition ankommen, daß ich bald darüber wäre zum Atheisten gemacht worden. Endlich so hat es auch in der Philosophia practica nicht mit mir fortgewolt. Denn ich bin gleich anfangs bey dem genere stutzig worden, und bin so ungläubig gewesen, daß, ob ich gleich augenscheinlich gesehen, daß diese disciplin von allen pro prudentia ausgegeben worden, dennoch mein Verstand so ungeschickt gewesen, daß er gemeynet, es schicke sich dieser Titul nicht für diese Philosophie, weil

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Obrigkeitskritik und Fürstenberatung: Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568-1714: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI. (2013-02-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss.
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-15T13:54:31Z)
Marcus Baumgarten, Frederike Neuber, Frank Wiegand: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription. (2013-02-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Ligaturen werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Kolumnentitel, Bogensignaturen und Kustoden werden nicht erfasst.
  • Griechische Schrift wird nicht transkribiert, sondern im XML mit <foreign xml:lang="el"><gap reason="fm"/></foreign> vermerkt.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/16
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte03_1724/16>, abgerufen am 27.04.2024.