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Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.

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Stücke des Ehestandes gar füglich aus der gesunden Vernunfft und aus der Lehre des Rechts der Natur erkennet werden mögen. Hiernächst gehöret zu dem Amt der weltlichen Obrigkeit, daß sie zu dem Nutzen des gemeinen Wesens die Kennzeichen und requisita rechtmäßiger Ehen, und die Verhinderungen derselbigen durch ihre Gesetze bestimme und determinire. Ob nun wohl die Gebräuche der Völcker in Ehesachen sehr unterschieden und zuweilen einander zuwieder sind, so ist doch die gesunde Vernunfft schon zureichend zu urtheilen, welche von diesen Gebräuchen löblicher oder unvollkommener sind, oder aus Furcht eines grössern Ubels können entschuldiget werden. Denn, obschon die Jüdische Republick, als von GOtt eingerichtet, die allervollkommenste ist, so zeigen doch die bißherige Gründe, daß GOtt bey den Jüden in Ehesachen etliche Dinge ein grösseres Ubel dadurch zu vermeiden, zugelassen habe. Und da hernach die PharisäerVerderbnüs derselben durch die Pharisäer das Göttliche Gesetz durch viel falsche Auslegungen verfälschet hatten, und unter diesen Verfälschungen auch etliche waren, die die Ehesachen angiengen, hat der liebe Heyland dieselben nach denen vernünfftigen Reguln einer rechtmäßigen Auslegung entdecket, und sich dabey nicht als einen Gesetzgeber, sondern als einen Lehrer und geschickten Ausleger des Mosaischen Gesetzes aufgeführet, geschweige denn, daß man ihn deßhalben für einen neuen Gesetzgeber ansehen solte. Allein die sogenannten Kirchväter, die nach demDurch die lieben Kirchväter. Zustand der damahligen Zeiten weder eine rechte Lehre von der Auslgung gelernet hatten, noch mit der Wissenschafft der Römischen und Jüdischen Antiqvitäten versehen waren, am allerwenigsten aber wusten, worinnen die Grund-Lehren einer vernünfftigen Morale und Politic bestünden, haben die Ehefragen gröstentheils dergestalt beantwortet, daß ihre Auslegungen der H. Schrifft, der gesunden Vernunfft und denen Regeln einer guten Auslegung offenbahr zuwieder seyn. Dieweil sie aber Leute von grosser Autorität waren, und eine gute intention hatten, als haben ihre Irrthümer bey vielen Völckern Gehör gefunden und sind auf die Nachkommen fortgepflantzet worden. Eben diese Kirchväter haben das der heiligenDie auch Gelegenheit gegeben / daß die Ehe zum Sacrament gemacht worden. Schrifft unbekannte Wort Sacrament zum allerersten auch von dem Ehestand gebraucht, ob schon in einer gantz andern Bedeutung, als wenn sie von der Tauffe und dem Abendmahl reden. Da wir aber anjetzo die subsidia, daran es denen Kirchvätern mangelte, in Uberfluß haben, so dürffen wir uns nicht mehr wundern, wie es komme, daß auch die hertzhafftesten unter denen Catholischen so wol als Protestirenden (wiewohl auf beyden Theilen noch derer wenig sind) die bisher vorgetragenen Warheiten gleichsam mit Händen greiffen, und andere ein gleiches zu thun, antreiben.

Stücke des Ehestandes gar füglich aus der gesunden Vernunfft und aus der Lehre des Rechts der Natur erkennet werden mögen. Hiernächst gehöret zu dem Amt der weltlichen Obrigkeit, daß sie zu dem Nutzen des gemeinen Wesens die Kennzeichen und requisita rechtmäßiger Ehen, und die Verhinderungen derselbigen durch ihre Gesetze bestimme und determinire. Ob nun wohl die Gebräuche der Völcker in Ehesachen sehr unterschieden und zuweilen einander zuwieder sind, so ist doch die gesunde Vernunfft schon zureichend zu urtheilen, welche von diesen Gebräuchen löblicher oder unvollkommener sind, oder aus Furcht eines grössern Ubels können entschuldiget werden. Denn, obschon die Jüdische Republick, als von GOtt eingerichtet, die allervollkommenste ist, so zeigen doch die bißherige Gründe, daß GOtt bey den Jüden in Ehesachen etliche Dinge ein grösseres Ubel dadurch zu vermeiden, zugelassen habe. Und da hernach die PharisäerVerderbnüs derselben durch die Pharisäer das Göttliche Gesetz durch viel falsche Auslegungen verfälschet hatten, und unter diesen Verfälschungen auch etliche waren, die die Ehesachen angiengen, hat der liebe Heyland dieselben nach denen vernünfftigen Reguln einer rechtmäßigen Auslegung entdecket, und sich dabey nicht als einen Gesetzgeber, sondern als einen Lehrer und geschickten Ausleger des Mosaischen Gesetzes aufgeführet, geschweige denn, daß man ihn deßhalben für einen neuen Gesetzgeber ansehen solte. Allein die sogenannten Kirchväter, die nach demDurch die lieben Kirchväter. Zustand der damahligen Zeiten weder eine rechte Lehre von der Auslgung gelernet hatten, noch mit der Wissenschafft der Römischen und Jüdischen Antiqvitäten versehen waren, am allerwenigsten aber wusten, worinnen die Grund-Lehren einer vernünfftigen Morale und Politic bestünden, haben die Ehefragen gröstentheils dergestalt beantwortet, daß ihre Auslegungen der H. Schrifft, der gesunden Vernunfft und denen Regeln einer guten Auslegung offenbahr zuwieder seyn. Dieweil sie aber Leute von grosser Autorität waren, und eine gute intention hatten, als haben ihre Irrthümer bey vielen Völckern Gehör gefunden und sind auf die Nachkommen fortgepflantzet worden. Eben diese Kirchväter haben das der heiligenDie auch Gelegenheit gegeben / daß die Ehe zum Sacrament gemacht worden. Schrifft unbekannte Wort Sacrament zum allerersten auch von dem Ehestand gebraucht, ob schon in einer gantz andern Bedeutung, als wenn sie von der Tauffe und dem Abendmahl reden. Da wir aber anjetzo die subsidia, daran es denen Kirchvätern mangelte, in Uberfluß haben, so dürffen wir uns nicht mehr wundern, wie es komme, daß auch die hertzhafftesten unter denen Catholischen so wol als Protestirenden (wiewohl auf beyden Theilen noch derer wenig sind) die bisher vorgetragenen Warheiten gleichsam mit Händen greiffen, und andere ein gleiches zu thun, antreiben.

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Stücke des                      Ehestandes gar füglich aus der gesunden Vernunfft und aus der Lehre des Rechts                      der Natur erkennet werden mögen. Hiernächst gehöret zu dem Amt der weltlichen                      Obrigkeit, daß sie zu dem Nutzen des gemeinen Wesens die Kennzeichen und                      requisita rechtmäßiger Ehen, und die Verhinderungen derselbigen durch ihre                      Gesetze bestimme und determinire. Ob nun wohl die Gebräuche der Völcker in                      Ehesachen sehr unterschieden und zuweilen einander zuwieder sind, so ist doch                      die gesunde Vernunfft schon zureichend zu urtheilen, welche von diesen                      Gebräuchen löblicher oder unvollkommener sind, oder aus Furcht eines grössern                      Ubels können entschuldiget werden. Denn, obschon die Jüdische Republick, als von                      GOtt eingerichtet, die allervollkommenste ist, so zeigen doch die bißherige                      Gründe, daß GOtt bey den Jüden in Ehesachen etliche Dinge ein grösseres Ubel                      dadurch zu vermeiden, zugelassen habe. Und da hernach die Pharisäer<note place="right">Verderbnüs derselben durch die Pharisäer</note> das                      Göttliche Gesetz durch viel falsche Auslegungen verfälschet hatten, und unter                      diesen Verfälschungen auch etliche waren, die die Ehesachen angiengen, hat der                      liebe Heyland dieselben nach denen vernünfftigen Reguln einer rechtmäßigen                      Auslegung entdecket, und sich dabey nicht als einen Gesetzgeber, sondern als                      einen Lehrer und geschickten Ausleger des Mosaischen Gesetzes aufgeführet,                      geschweige denn, daß man ihn deßhalben für einen neuen Gesetzgeber ansehen                      solte. Allein die sogenannten Kirchväter, die nach dem<note place="right">Durch die lieben Kirchväter.</note> Zustand der damahligen Zeiten weder                      eine rechte Lehre von der Auslgung gelernet hatten, noch mit der Wissenschafft                      der Römischen und Jüdischen Antiqvitäten versehen waren, am allerwenigsten aber                      wusten, worinnen die Grund-Lehren einer vernünfftigen Morale und Politic                      bestünden, haben die Ehefragen gröstentheils dergestalt beantwortet, daß ihre                      Auslegungen der H. Schrifft, der gesunden Vernunfft und denen Regeln einer guten                      Auslegung offenbahr zuwieder seyn. Dieweil sie aber Leute von grosser Autorität                      waren, und eine gute intention hatten, als haben ihre Irrthümer bey vielen                      Völckern Gehör gefunden und sind auf die Nachkommen fortgepflantzet worden. Eben                      diese Kirchväter haben das der heiligen<note place="right">Die auch                          Gelegenheit gegeben / daß die Ehe zum Sacrament gemacht worden.</note>                      Schrifft unbekannte Wort Sacrament zum allerersten auch von dem Ehestand                      gebraucht, ob schon in einer gantz andern Bedeutung, als wenn sie von der Tauffe                      und dem Abendmahl reden. Da wir aber anjetzo die subsidia, daran es denen                      Kirchvätern mangelte, in Uberfluß haben, so dürffen wir uns nicht mehr wundern,                      wie es komme, daß auch die hertzhafftesten unter denen Catholischen so wol als                      Protestirenden (wiewohl auf beyden Theilen noch derer wenig sind) die bisher                      vorgetragenen Warheiten gleichsam mit Händen greiffen, und andere ein gleiches                      zu thun, antreiben.</p>
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[269/0277] Stücke des Ehestandes gar füglich aus der gesunden Vernunfft und aus der Lehre des Rechts der Natur erkennet werden mögen. Hiernächst gehöret zu dem Amt der weltlichen Obrigkeit, daß sie zu dem Nutzen des gemeinen Wesens die Kennzeichen und requisita rechtmäßiger Ehen, und die Verhinderungen derselbigen durch ihre Gesetze bestimme und determinire. Ob nun wohl die Gebräuche der Völcker in Ehesachen sehr unterschieden und zuweilen einander zuwieder sind, so ist doch die gesunde Vernunfft schon zureichend zu urtheilen, welche von diesen Gebräuchen löblicher oder unvollkommener sind, oder aus Furcht eines grössern Ubels können entschuldiget werden. Denn, obschon die Jüdische Republick, als von GOtt eingerichtet, die allervollkommenste ist, so zeigen doch die bißherige Gründe, daß GOtt bey den Jüden in Ehesachen etliche Dinge ein grösseres Ubel dadurch zu vermeiden, zugelassen habe. Und da hernach die Pharisäer das Göttliche Gesetz durch viel falsche Auslegungen verfälschet hatten, und unter diesen Verfälschungen auch etliche waren, die die Ehesachen angiengen, hat der liebe Heyland dieselben nach denen vernünfftigen Reguln einer rechtmäßigen Auslegung entdecket, und sich dabey nicht als einen Gesetzgeber, sondern als einen Lehrer und geschickten Ausleger des Mosaischen Gesetzes aufgeführet, geschweige denn, daß man ihn deßhalben für einen neuen Gesetzgeber ansehen solte. Allein die sogenannten Kirchväter, die nach dem Zustand der damahligen Zeiten weder eine rechte Lehre von der Auslgung gelernet hatten, noch mit der Wissenschafft der Römischen und Jüdischen Antiqvitäten versehen waren, am allerwenigsten aber wusten, worinnen die Grund-Lehren einer vernünfftigen Morale und Politic bestünden, haben die Ehefragen gröstentheils dergestalt beantwortet, daß ihre Auslegungen der H. Schrifft, der gesunden Vernunfft und denen Regeln einer guten Auslegung offenbahr zuwieder seyn. Dieweil sie aber Leute von grosser Autorität waren, und eine gute intention hatten, als haben ihre Irrthümer bey vielen Völckern Gehör gefunden und sind auf die Nachkommen fortgepflantzet worden. Eben diese Kirchväter haben das der heiligen Schrifft unbekannte Wort Sacrament zum allerersten auch von dem Ehestand gebraucht, ob schon in einer gantz andern Bedeutung, als wenn sie von der Tauffe und dem Abendmahl reden. Da wir aber anjetzo die subsidia, daran es denen Kirchvätern mangelte, in Uberfluß haben, so dürffen wir uns nicht mehr wundern, wie es komme, daß auch die hertzhafftesten unter denen Catholischen so wol als Protestirenden (wiewohl auf beyden Theilen noch derer wenig sind) die bisher vorgetragenen Warheiten gleichsam mit Händen greiffen, und andere ein gleiches zu thun, antreiben. Verderbnüs derselben durch die Pharisäer Durch die lieben Kirchväter. Die auch Gelegenheit gegeben / daß die Ehe zum Sacrament gemacht worden.

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/277>, abgerufen am 18.05.2024.