Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 4. Hauptst. von der vernünfftigen einander zu zeugen/ und den Trieb nach derLust/ die mit diesem Werck verknüpfft ist/ nicht mit einander vermischen. Der Trieb Kinder mit einander zu zeugen/ so ferne derselbe ver- nünfftig ist/ sol erst nach der Vereinigung der Gemüther folgen/ und auff nichts anders sein Absehen richten/ als daß zwey liebende Person- nen an denen Kindern allezeit etwas finden mö- gen/ davon sie sich der keuschen Vereinigung ihrer Seelen erinnern können/ als in welchen dieselbe gleichsam von beyden Theilen concen- triret worden. Und also trachtet dieser Trieb gantz nicht hauptsächlich auff die Geniessung der Wohllust des Leibes. Aber man wird auch die- sen Trieb bey denen allerwenigsten Menschen antreffen/ weil die allerwenigsten Menschen ver- nünfftig sind. 46. Was aber die allgemeine Neigung 47. Denn
Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen einander zu zeugen/ und den Trieb nach derLuſt/ die mit dieſem Werck verknuͤpfft iſt/ nicht mit einander vermiſchen. Der Trieb Kinder mit einander zu zeugen/ ſo ferne derſelbe ver- nuͤnfftig iſt/ ſol erſt nach der Vereinigung der Gemuͤther folgen/ und auff nichts anders ſein Abſehen richten/ als daß zwey liebende Perſon- nen an denen Kindern allezeit etwas finden moͤ- gen/ davon ſie ſich der keuſchen Vereinigung ihrer Seelen erinnern koͤnnen/ als in welchen dieſelbe gleichſam von beyden Theilen concen- triret worden. Und alſo trachtet dieſer Trieb gantz nicht hauptſaͤchlich auff die Genieſſung der Wohlluſt des Leibes. Aber man wird auch die- ſen Trieb bey denen allerwenigſten Menſchen antreffen/ weil die allerwenigſten Menſchen ver- nuͤnfftig ſind. 46. Was aber die allgemeine Neigung 47. Denn
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Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
einander zu zeugen/ und den Trieb nach der
Luſt/ die mit dieſem Werck verknuͤpfft iſt/ nicht
mit einander vermiſchen. Der Trieb Kinder
mit einander zu zeugen/ ſo ferne derſelbe ver-
nuͤnfftig iſt/ ſol erſt nach der Vereinigung der
Gemuͤther folgen/ und auff nichts anders ſein
Abſehen richten/ als daß zwey liebende Perſon-
nen an denen Kindern allezeit etwas finden moͤ-
gen/ davon ſie ſich der keuſchen Vereinigung
ihrer Seelen erinnern koͤnnen/ als in welchen
dieſelbe gleichſam von beyden Theilen concen-
triret worden. Und alſo trachtet dieſer Trieb
gantz nicht hauptſaͤchlich auff die Genieſſung der
Wohlluſt des Leibes. Aber man wird auch die-
ſen Trieb bey denen allerwenigſten Menſchen
antreffen/ weil die allerwenigſten Menſchen ver-
nuͤnfftig ſind.
46. Was aber die allgemeine Neigung
des menſchlichen Geſchlechts zu dieſer Wohl-
luſt des Leibes anbelanget; So iſt es zwar
an dem/ daß ein Menſch nach ſeiner bloſſen Ver-
nunfft/ wenn ihm die wahre Hiſtorie von dem
erſten Fall unſerer Eltern nicht bekandt iſt/ wie
wir allbereit erwehnet/ nicht klar und deutlich
begreiffen koͤnne/ daß dieſe Neigung ſo gantz
unvernuͤnfftig ſey/ weil er ſie bey allen Men-
ſchen antrifft. Jedoch wird er in ihrer Betrach-
tung auch genung finden/ warumb er ſie nicht
fuͤr gar zu vernuͤnfftig halten kan/ und wodurch
er erkennet/ daß dieſer Trieb nicht allemahl na-
tuͤrlich ſey.
47. Denn
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