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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 1. H. von der Geschickligkeit
sten Menschen ihre Wissenschafft davon mehr
in der autorität ihrer Eltern oder anderer
Menschen/ die ihnen solches beygebracht/ als
in denen darzu gehörigen Grund-Warheiten
gegründet ist. Alles dasjenige aber/ was sich
hauptsächlich auff menschliche autorität grün-
det/ kan so lange als es keinen andern Grund
hat/ für keine unstreitige Warheit ausgegeben
werden.

79. Und ob schon kein vernünfftiger Mensch
laugnen wird/ daß der höchst nöthige Lehr-Satz
von GOttes existenz und von der göttlichen
Vorsorge allen Heyden in das Hertze ge-
schrieben
sey; so folget doch noch lange nicht/
daß derselbe eben so leichte und unmittelbar er-
kennt werde/ als daß zweymal drey sechse sey/
oder daß dieser Stock gerade und nicht krum
sey. Denn alles dasjenige heist denen Men-
schen in das Hertze geschrieben seyn/ zu dessen
unstreitigen Erkäntniß derselbige aus natür-
lichen Kräfften und Vermögen ohne Beytrag
einer göttlichen Offenbahrung gelangen kan/
ob er schon hierzu öffters einer langwierigen
raisonirung vonnöthen hat. Also ist denen
Heyden auch nie in das Hertze geschrieben/ daß
drey Winckel eines Triangels so viel austra-

gen

Das 1. H. von der Geſchickligkeit
ſten Menſchen ihre Wiſſenſchafft davon mehr
in der autoritaͤt ihrer Eltern oder anderer
Menſchen/ die ihnen ſolches beygebracht/ als
in denen darzu gehoͤrigen Grund-Warheiten
gegruͤndet iſt. Alles dasjenige aber/ was ſich
hauptſaͤchlich auff menſchliche autoritaͤt gruͤn-
det/ kan ſo lange als es keinen andern Grund
hat/ fuͤr keine unſtreitige Warheit ausgegeben
werden.

79. Und ob ſchon kein vernuͤnfftiger Menſch
laugnen wird/ daß der hoͤchſt noͤthige Lehr-Satz
von GOttes exiſtenz und von der goͤttlichen
Vorſorge allen Heyden in das Hertze ge-
ſchrieben
ſey; ſo folget doch noch lange nicht/
daß derſelbe eben ſo leichte und unmittelbar er-
kennt werde/ als daß zweymal drey ſechſe ſey/
oder daß dieſer Stock gerade und nicht krum
ſey. Denn alles dasjenige heiſt denen Men-
ſchen in das Hertze geſchrieben ſeyn/ zu deſſen
unſtreitigen Erkaͤntniß derſelbige aus natuͤr-
lichen Kraͤfften und Vermoͤgen ohne Beytrag
einer goͤttlichen Offenbahrung gelangen kan/
ob er ſchon hierzu oͤffters einer langwierigen
raiſonirung vonnoͤthen hat. Alſo iſt denen
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[36/0062] Das 1. H. von der Geſchickligkeit ſten Menſchen ihre Wiſſenſchafft davon mehr in der autoritaͤt ihrer Eltern oder anderer Menſchen/ die ihnen ſolches beygebracht/ als in denen darzu gehoͤrigen Grund-Warheiten gegruͤndet iſt. Alles dasjenige aber/ was ſich hauptſaͤchlich auff menſchliche autoritaͤt gruͤn- det/ kan ſo lange als es keinen andern Grund hat/ fuͤr keine unſtreitige Warheit ausgegeben werden. 79. Und ob ſchon kein vernuͤnfftiger Menſch laugnen wird/ daß der hoͤchſt noͤthige Lehr-Satz von GOttes exiſtenz und von der goͤttlichen Vorſorge allen Heyden in das Hertze ge- ſchrieben ſey; ſo folget doch noch lange nicht/ daß derſelbe eben ſo leichte und unmittelbar er- kennt werde/ als daß zweymal drey ſechſe ſey/ oder daß dieſer Stock gerade und nicht krum ſey. Denn alles dasjenige heiſt denen Men- ſchen in das Hertze geſchrieben ſeyn/ zu deſſen unſtreitigen Erkaͤntniß derſelbige aus natuͤr- lichen Kraͤfften und Vermoͤgen ohne Beytrag einer goͤttlichen Offenbahrung gelangen kan/ ob er ſchon hierzu oͤffters einer langwierigen raiſonirung vonnoͤthen hat. Alſo iſt denen Heyden auch nie in das Hertze geſchrieben/ daß drey Winckel eines Triangels ſo viel austra- gen

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/62>, abgerufen am 19.05.2024.