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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 1. H. von der Geschickligkeit.
halten/ unter denen doch ja so ein mercklicher
Untescheid ist/ als z. e. zwischen nicht sehen und
blind seyn. Wer an etwas zweiffelt/ hält
dasselbige freylich so lange als er daran zweiffelt
nicht für wahr/ weil er solches weder für wahr
noch falsch hält; aber eben diese raison versi-
chert mich auch zugleich/ daß er es nicht für
falsch halten könne.

71. 4. Sonst ist auch eine ziemliche Unförm-
ligkeit darinnen/ wenn man sagt/ man solte
alles daran man zweiffelt/ und also nach der-
selben Meinung für falsch hält/ aus seinem
Kopff ausschütten. Denn auff diese Art wür-
de folgen/ weil eben diese Leute sagen/ daß man
an allen Gedancken zweiffeln müsse/ daß man
ale Gedancken ausschmeissen/ und folglich sich
einbilden müsse/ der Kopff sey mit Gritze
angefüllet/
oder habe doch zum wenigsten kein
Gehirne mehr.

72. Wolte man auch schon vorwenden/ daß
dieses alles nicht aus Ernst und mit dem
Vorsatz geschehe/ daß man alles wahre zu-
gleich mit verstossen/ und sich auff ewig dessen
berauben wolle/ sondern daß es nur zu dem
Ende ad interim geschehe/ damit man von
dem falschen nicht etwan was ohnversehens zu-

rück

Das 1. H. von der Geſchickligkeit.
halten/ unter denen doch ja ſo ein mercklicher
Unteſcheid iſt/ als z. e. zwiſchen nicht ſehen und
blind ſeyn. Wer an etwas zweiffelt/ haͤlt
daſſelbige freylich ſo lange als er daran zweiffelt
nicht fuͤr wahr/ weil er ſolches weder fuͤr wahr
noch falſch haͤlt; aber eben dieſe raiſon verſi-
chert mich auch zugleich/ daß er es nicht fuͤr
falſch halten koͤnne.

71. 4. Sonſt iſt auch eine ziemliche Unfoͤrm-
ligkeit darinnen/ wenn man ſagt/ man ſolte
alles daran man zweiffelt/ und alſo nach der-
ſelben Meinung fuͤr falſch haͤlt/ aus ſeinem
Kopff ausſchuͤtten. Denn auff dieſe Art wuͤr-
de folgen/ weil eben dieſe Leute ſagen/ daß man
an allen Gedancken zweiffeln muͤſſe/ daß man
ale Gedancken ausſchmeiſſen/ und folglich ſich
einbilden muͤſſe/ der Kopff ſey mit Gritze
angefuͤllet/
oder habe doch zum wenigſten kein
Gehirne mehr.

72. Wolte man auch ſchon vorwenden/ daß
dieſes alles nicht aus Ernſt und mit dem
Vorſatz geſchehe/ daß man alles wahre zu-
gleich mit verſtoſſen/ und ſich auff ewig deſſen
berauben wolle/ ſondern daß es nur zu dem
Ende ad interim geſchehe/ damit man von
dem falſchen nicht etwan was ohnverſehens zu-

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[32/0058] Das 1. H. von der Geſchickligkeit. halten/ unter denen doch ja ſo ein mercklicher Unteſcheid iſt/ als z. e. zwiſchen nicht ſehen und blind ſeyn. Wer an etwas zweiffelt/ haͤlt daſſelbige freylich ſo lange als er daran zweiffelt nicht fuͤr wahr/ weil er ſolches weder fuͤr wahr noch falſch haͤlt; aber eben dieſe raiſon verſi- chert mich auch zugleich/ daß er es nicht fuͤr falſch halten koͤnne. 71. 4. Sonſt iſt auch eine ziemliche Unfoͤrm- ligkeit darinnen/ wenn man ſagt/ man ſolte alles daran man zweiffelt/ und alſo nach der- ſelben Meinung fuͤr falſch haͤlt/ aus ſeinem Kopff ausſchuͤtten. Denn auff dieſe Art wuͤr- de folgen/ weil eben dieſe Leute ſagen/ daß man an allen Gedancken zweiffeln muͤſſe/ daß man ale Gedancken ausſchmeiſſen/ und folglich ſich einbilden muͤſſe/ der Kopff ſey mit Gritze angefuͤllet/ oder habe doch zum wenigſten kein Gehirne mehr. 72. Wolte man auch ſchon vorwenden/ daß dieſes alles nicht aus Ernſt und mit dem Vorſatz geſchehe/ daß man alles wahre zu- gleich mit verſtoſſen/ und ſich auff ewig deſſen berauben wolle/ ſondern daß es nur zu dem Ende ad interim geſchehe/ damit man von dem falſchen nicht etwan was ohnverſehens zu- ruͤck

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/58>, abgerufen am 19.05.2024.