Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

Bild:
<< vorherige Seite
von anderer Meinungen zu urtheilen.

59. Ein Calumniante betrachtet in Beur-
theilung eines Buchs nicht/ aus was für In-
tention
und Absehen ein Autor geredet/
sondern er drehet alles nach dem Vorhaben sei-
ner bösen Intention, und ist ihm dißfalls einer-
ley/ ob der Scribente aus. Ernst oder aus
Schertz/ ausführlich und mit Bedacht/ oder
nur Zufalls weife und obenhin/ Frags und
Bejahungs Weise/ auff seinen eigenen oder
anderer Leute Antrieb etwas geschrieben; ob er
seine Lehre vertheydigen und behaupten/ oder
seinen Gegner widerlegen/ und auff dessen
Einwürffe antworten/ oder wider ihn aus sei-
nem eigenen Geständniß disputiren wollen; ob
er von denen Sachen rede/ wie sie an sich selb-
sten
sind/ oder wie sie von dem gemeinen
Mann
in allgemeiner Redens-Art betrachtet
werden/ u. s. w. da doch unter diesen Umbstän-
den allen ein mercklicher unterscheid ist/ nach de-
rer Veränderung auch ein weiser Mann seine
Auslegung und Urtheil billig verändern muß.

60. Ein Calumniante hütet sich sehr/ daß er
die dunckeln Oerter mit den deutlichern
nicht
conferiret/ sondern fället alsobald auff
das zu/ wenn ein Autor etwas kurtz/ dunckel/ o-
der in gemein gesetzt/ und über gehet muthwillig

die
R 3
von anderer Meinungen zu urtheilen.

59. Ein Calumniante betrachtet in Beur-
theilung eines Buchs nicht/ aus was fuͤr In-
tention
und Abſehen ein Autor geredet/
ſondern er drehet alles nach dem Vorhaben ſei-
ner boͤſen Intention, und iſt ihm dißfalls einer-
ley/ ob der Scribente aus. Ernſt oder aus
Schertz/ ausfuͤhrlich und mit Bedacht/ oder
nur Zufalls weife und obenhin/ Frags und
Bejahungs Weiſe/ auff ſeinen eigenen oder
anderer Leute Antrieb etwas geſchrieben; ob er
ſeine Lehre vertheydigen und behaupten/ oder
ſeinen Gegner widerlegen/ und auff deſſen
Einwuͤrffe antworten/ oder wider ihn aus ſei-
nem eigenen Geſtaͤndniß diſputiren wollen; ob
er von denen Sachen rede/ wie ſie an ſich ſelb-
ſten
ſind/ oder wie ſie von dem gemeinen
Mann
in allgemeiner Redens-Art betrachtet
werden/ u. ſ. w. da doch unter dieſen Umbſtaͤn-
den allen ein mercklicher unterſcheid iſt/ nach de-
rer Veraͤnderung auch ein weiſer Mann ſeine
Auslegung und Urtheil billig veraͤndern muß.

60. Ein Calumniante huͤtet ſich ſehr/ daß er
die dunckeln Oerter mit den deutlichern
nicht
conferiret/ ſondern faͤllet alſobald auff
das zu/ wenn ein Autor etwas kurtz/ dunckel/ o-
der in gemein geſetzt/ und uͤber gehet muthwillig

die
R 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0287" n="261"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von anderer Meinungen zu urtheilen.</hi> </fw><lb/>
        <p>59. Ein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Calumniant</hi></hi>e betrachtet in Beur-<lb/>
theilung eines Buchs nicht/ <hi rendition="#fr">aus was fu&#x0364;r</hi> <hi rendition="#aq">In-<lb/>
tention</hi> <hi rendition="#fr">und Ab&#x017F;ehen ein</hi> <hi rendition="#aq">Autor</hi> <hi rendition="#fr">geredet/</hi><lb/>
&#x017F;ondern er drehet alles nach dem Vorhaben &#x017F;ei-<lb/>
ner bo&#x0364;&#x017F;en <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Intention,</hi></hi> und i&#x017F;t ihm dißfalls einer-<lb/>
ley/ ob der <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Scribent</hi></hi>e aus. <hi rendition="#fr">Ern&#x017F;t</hi> oder aus<lb/><hi rendition="#fr">Schertz/ ausfu&#x0364;hrlich</hi> und <hi rendition="#fr">mit Bedacht/</hi> oder<lb/>
nur Zufalls weife und obenhin/ <hi rendition="#fr">Frags</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">Bejahungs</hi> Wei&#x017F;e/ auff &#x017F;einen eigenen oder<lb/>
anderer Leute Antrieb etwas ge&#x017F;chrieben; ob er<lb/>
&#x017F;eine Lehre <hi rendition="#fr">vertheydigen</hi> und behaupten/ oder<lb/>
&#x017F;einen Gegner <hi rendition="#fr">widerlegen/</hi> und auff de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Einwu&#x0364;rffe antworten/ oder wider ihn aus &#x017F;ei-<lb/>
nem eigenen Ge&#x017F;ta&#x0364;ndniß <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">di&#x017F;putir</hi></hi>en wollen; ob<lb/>
er von denen Sachen rede/ wie &#x017F;ie <hi rendition="#fr">an &#x017F;ich &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten</hi> &#x017F;ind/ oder <hi rendition="#fr">wie &#x017F;ie von dem gemeinen<lb/>
Mann</hi> in allgemeiner Redens-Art betrachtet<lb/>
werden/ u. &#x017F;. w. da doch unter die&#x017F;en Umb&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den allen ein mercklicher unter&#x017F;cheid i&#x017F;t/ nach de-<lb/>
rer Vera&#x0364;nderung auch ein wei&#x017F;er Mann &#x017F;eine<lb/>
Auslegung und Urtheil billig vera&#x0364;ndern muß.</p><lb/>
        <p>60. Ein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Calumniant</hi></hi>e hu&#x0364;tet &#x017F;ich &#x017F;ehr/ daß <hi rendition="#fr">er<lb/>
die dunckeln Oerter mit den deutlichern<lb/>
nicht</hi> <hi rendition="#aq">conferir</hi><hi rendition="#fr">et/</hi> &#x017F;ondern fa&#x0364;llet al&#x017F;obald auff<lb/>
das zu/ wenn ein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Autor</hi></hi> etwas kurtz/ dunckel/ o-<lb/>
der in gemein ge&#x017F;etzt/ und u&#x0364;ber gehet muthwillig<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">R</hi> 3</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0287] von anderer Meinungen zu urtheilen. 59. Ein Calumniante betrachtet in Beur- theilung eines Buchs nicht/ aus was fuͤr In- tention und Abſehen ein Autor geredet/ ſondern er drehet alles nach dem Vorhaben ſei- ner boͤſen Intention, und iſt ihm dißfalls einer- ley/ ob der Scribente aus. Ernſt oder aus Schertz/ ausfuͤhrlich und mit Bedacht/ oder nur Zufalls weife und obenhin/ Frags und Bejahungs Weiſe/ auff ſeinen eigenen oder anderer Leute Antrieb etwas geſchrieben; ob er ſeine Lehre vertheydigen und behaupten/ oder ſeinen Gegner widerlegen/ und auff deſſen Einwuͤrffe antworten/ oder wider ihn aus ſei- nem eigenen Geſtaͤndniß diſputiren wollen; ob er von denen Sachen rede/ wie ſie an ſich ſelb- ſten ſind/ oder wie ſie von dem gemeinen Mann in allgemeiner Redens-Art betrachtet werden/ u. ſ. w. da doch unter dieſen Umbſtaͤn- den allen ein mercklicher unterſcheid iſt/ nach de- rer Veraͤnderung auch ein weiſer Mann ſeine Auslegung und Urtheil billig veraͤndern muß. 60. Ein Calumniante huͤtet ſich ſehr/ daß er die dunckeln Oerter mit den deutlichern nicht conferiret/ ſondern faͤllet alſobald auff das zu/ wenn ein Autor etwas kurtz/ dunckel/ o- der in gemein geſetzt/ und uͤber gehet muthwillig die R 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/287
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/287>, abgerufen am 26.11.2024.