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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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Das 2. H. von der Geschichligkeit
belustigenden Wissenschafften sich leget/ oder
auch in denen nützlichen nicht so wohl das was
nützlich/ als was tieffsinnig und subtil ist/ su-
chet. Und solchergestalt sey es nichts absurdes
zu sagen/ daß ein Schuster und Schneider/
der einen natürlichen Verstand hat/ und sei-
nem Verstande nach rechtschaffen gemäß le-
bet/ viel gelehrter sey/ als ein vornehmer und
dem Ruff nach Gelehrter/ der solches nicht
thut.

105. 4. Denen aber/ die wegen ihrer Jahre
verzweiffeln wollen/ daß sie zu alt wären/ et-
was rechts zu lernen/ mustu vorstellen/ daß
man niemahls zu alt sey die Weißheit zu ler-
nen/ denn daß sie es bißher nicht weiter ge-
bracht/ sey die Ursache/ weil sie der Warheit
verfehlet/ und die Jrrthümer/ weil sie keine
rechtschaffene connexion haben und vielfältig
sind/ viel schwerer zu fassen sind als die War-
heit/ die nur einig und gantz leichte ist/ und daß
dannenhero bey ihnen nichts mehr erfordert
werde/ als daß sie eine rechtschaffene Begier-
de haben zur Warheit/ und daß sie alle bißhe-
rigen Vorurtheile und autoritäten wegwerf-
fen/ und gleichsam alles/ was sie bißher nur
in spem fortunae oblivionis gelernet/ wiederum

ver-

Das 2. H. von der Geſchichligkeit
beluſtigenden Wiſſenſchafften ſich leget/ oder
auch in denen nuͤtzlichen nicht ſo wohl das was
nuͤtzlich/ als was tieffſinnig und ſubtil iſt/ ſu-
chet. Und ſolchergeſtalt ſey es nichts abſurdes
zu ſagen/ daß ein Schuſter und Schneider/
der einen natuͤrlichen Verſtand hat/ und ſei-
nem Verſtande nach rechtſchaffen gemaͤß le-
bet/ viel gelehrter ſey/ als ein vornehmer und
dem Ruff nach Gelehrter/ der ſolches nicht
thut.

105. 4. Denen aber/ die wegen ihrer Jahre
verzweiffeln wollen/ daß ſie zu alt waͤren/ et-
was rechts zu lernen/ muſtu vorſtellen/ daß
man niemahls zu alt ſey die Weißheit zu ler-
nen/ denn daß ſie es bißher nicht weiter ge-
bracht/ ſey die Urſache/ weil ſie der Warheit
verfehlet/ und die Jrrthuͤmer/ weil ſie keine
rechtſchaffene connexion haben und vielfaͤltig
ſind/ viel ſchwerer zu faſſen ſind als die War-
heit/ die nur einig und gantz leichte iſt/ und daß
dannenhero bey ihnen nichts mehr erfordert
werde/ als daß ſie eine rechtſchaffene Begier-
de haben zur Warheit/ und daß ſie alle bißhe-
rigen Vorurtheile und autoritaͤten wegwerf-
fen/ und gleichſam alles/ was ſie bißher nur
in ſpem fortunæ oblivionis gelernet/ wiederum

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[124/0150] Das 2. H. von der Geſchichligkeit beluſtigenden Wiſſenſchafften ſich leget/ oder auch in denen nuͤtzlichen nicht ſo wohl das was nuͤtzlich/ als was tieffſinnig und ſubtil iſt/ ſu- chet. Und ſolchergeſtalt ſey es nichts abſurdes zu ſagen/ daß ein Schuſter und Schneider/ der einen natuͤrlichen Verſtand hat/ und ſei- nem Verſtande nach rechtſchaffen gemaͤß le- bet/ viel gelehrter ſey/ als ein vornehmer und dem Ruff nach Gelehrter/ der ſolches nicht thut. 105. 4. Denen aber/ die wegen ihrer Jahre verzweiffeln wollen/ daß ſie zu alt waͤren/ et- was rechts zu lernen/ muſtu vorſtellen/ daß man niemahls zu alt ſey die Weißheit zu ler- nen/ denn daß ſie es bißher nicht weiter ge- bracht/ ſey die Urſache/ weil ſie der Warheit verfehlet/ und die Jrrthuͤmer/ weil ſie keine rechtſchaffene connexion haben und vielfaͤltig ſind/ viel ſchwerer zu faſſen ſind als die War- heit/ die nur einig und gantz leichte iſt/ und daß dannenhero bey ihnen nichts mehr erfordert werde/ als daß ſie eine rechtſchaffene Begier- de haben zur Warheit/ und daß ſie alle bißhe- rigen Vorurtheile und autoritaͤten wegwerf- fen/ und gleichſam alles/ was ſie bißher nur in ſpem fortunæ oblivionis gelernet/ wiederum ver-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/150>, abgerufen am 08.05.2024.